Der Boom für Biotreibstoffe treibt weltweit die Getreidepreise und wird so zum sozialen Sprengsatz

Mehr als 80 Dollar pro Barrel! Im September hat der Ölpreis sein altes Allzeithoch aus dem wilden Hurrikanherbst 2005 getoppt. Trotz einer gigantischen Ölförderung von 85 Millionen Barrel täglich kann die Versorgung kaum noch mit der Nachfrage Schritt halten. Der Öldurst der Welt ist unermesslich, und der Preis marschiert. 100 Dollar pro Barrel sind keine Utopie mehr. Parallel zum Öl erreichte auch ein anderer Rohstoff neue Rekorde: Weizen. Ein Scheffel (ca. 27 Kilogramm) wurde Mitte September am Terminmarkt in Chicago erstmals über neun Dollar gehandelt. Die Lagerbestände für das weltweit wichtigste Getreide sind auf den tiefsten Stand seit 30 Jahren geschrumpft.

Erdöl und Weizen: Zwei der wichtigsten Rohstoffe der Menschheit sind zunehmend enger verknüpft. Die Verbindung heißt Bio-Kraftstoffe. Aus nachwachsenden pflanzlichen Rohstoffen gewonnen, soll Benzin vom Acker das sünd-teure, immer knapper werdende Erdöl ersetzen. Gleichzeitig soll es die verrußten Klimabilanzen der Industriestaaten aufbessern. Weil bei der Verbrennung von Bio-Kraftstoff nur diejenige CO2-Menge frei wird, die die Pflanze zuvor gespeichert hat, gilt Bio-Sprit als klimafreundlich. Biodiesel und Bioethanol heißen die neuen Hoffnungsträger der weltweiten Autoflotte von derzeit 850 Millionen Fahrzeugen. Bis zur Jahrhundertmitte könnte sich diese Zahl nach Schätzungen des Weltklimarats mehr als verdoppeln.

Statt des Tigers wird also immer öfter Raps, Zuckerrohr oder Getreide in den Tank gepackt. Die Welt giert nach Bio-Kraftstoffen. Nach Vorgaben der EU sollen sie bis 2010 mindestens 5,75 Prozent des europäischen Spritbedarfs decken. Die Bundesregierung hat noch einen draufgesetzt: In ihrem Ende August beschlossenen Klimapaket wird der Anteil der Bio-Kraftstoffe bis 2020 auf "zirka 20 Volumenprozente" festgelegt. Jeder fünfte Liter Sprit soll dann aus Raps und Roggen, aus Mais, Weizen oder Zuckerrüben kommen. Heute liegen wir bei 3,6 Prozent. In den USA hat Präsident Bush ähnlich ehrgeizige Ziele: Bis 2017 soll die Produktion 100 Millionen Tonnen erreichen.

Subventionen heizen den Boom an

Doch was die Politik als Erfolgsmeldung im Kampf gegen Klimawandel und Öl-Abhängigkeit verbucht, wird von der Welternährungsorganisation FAO zunehmend kritisch gesehen. In ihrem gemeinsam mit der OECD vorgelegten "Landwirtschaftlichen Ausblick 2007" monieren die Ernährungswächter, dass der Bio-Sprit die Weltagrarmärkte durcheinander wirbelt. Sie sehen "grundlegende Verschiebungen", die "die Preise nach oben treiben". Weil mit dem Getreide auch die Futtermittelpreise das Fliegen gelernt haben, ist auch die gesamte Tierhaltung betroffen. Der Verlierer, fürchtet die FAO, ist die arme Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die buchstäblich um ihr tägliches Brot gebracht werden könnte. Die Tortilla-Aufstände von 100000 Demonstranten in Mexiko-City, die Anfang des Jahres gegen die Verdoppelung der Maismehlpreise auf die Straße gingen, unterstreichen die Warnungen.

So provoziert der mit staatlichen Subventionen zusätzlich befeuerte Boom der Bio-Kraftstoffe einen fundamentalen Konflikt. Der heißt: Tank oder Teller, Sprit- oder Nahrungsmittelproduktion. 260 Kilo Weizen braucht es, so die Berechnungen der Zeitschrift Natur, um den Tank eines dicken Geländewagens mit 100 Litern Bioethanol zu füllen. Mit derselben Menge ließen sich mehr als 400 Brote backen, die Tagesration für einige hundert Familien. Derzeit können zwar in Europa noch stillgelegte Flächen für den Anbau von Spritpflanzen genutzt werden. Doch mit wachsender Produktion wird sich die Konkurrenz verschärfen. Und die Preise werden weiter steigen.

Zum Flächenverbrauch der Bio-Kraftstoffe liefert das EMPA-Forschungsinstitut Zürich eindrucksvolle Zahlen. Am besten schneidet noch die Zuckerrübe ab. 9700 Kilometer weit kann ein Auto bei einem Verbrauch von fünf Litern vom Ertrag eines Hektars Zuckerrüben (100 mal 100 Meter) fahren. Beim Mais, der in den USA als Ethanol-Lieferant favorisiert wird, sind es nur 4500 Kilometer. Mit dem Hektarertrag des in Brasilien verwendeten Zuckerrohrs fährt ein Fünf- Liter-Auto 7000 Kilometer.

Brasilien ist der große Vorreiter beim Biosprit. Schon seit 30 Jahren wird im Land der weltweit größten Zuckerrohr-Plantagen dem Benzin Ethanol beigemischt. Derzeit werden jährlich 17 Milliarden Liter Bio-Ethanol erzeugt zu 16 bis 18 Cent je Liter. Der seit 2001 um mehr als das Dreifache gestiegene Ölpreis puscht den Zuckerrohr-Anbau, der seit 2000 in Brasilien jährlich um 9,9 Prozent zugelegt hat. Weltweit hat sich die Ethanol-Produktion zwischen 1990 und 2003 verdoppelt, bis 2010 wird sie sich vervierfachen. Und mit jedem weiteren Anstieg des Ölpreises werden die Geschäfte attraktiver.

Aus Brasilien kommt auch die bisher schärfste Kritik. "Treibstoffe des Todes" nennt der bekannte Theologe Frei Betto den Sprit vom Acker. Angesichts des Hungers in der Welt sei es unverantwortlich und unmenschlich, immer größere Flächen zur Spritproduktion zu missbrauchen. Betto erinnert zugleich an "Ausbeutung und Umweltzerstörung" durch die Ethanolproduktion. Dazu gehören vor allem die Brandrodungen des Regenwaldes, um Flächen zu gewinnen. In Indonesien ist für Palmöl-Plantagen zur Treibstoffproduktion in den letzten fünf Jahren eine Fläche von der Größe Niedersachsens abgeholzt worden. "Stirbt der Tiger im Tank?" fragt die Welt.

Profitieren Bauern oder Konzerne?

Der bundesdeutsche Verband der Biokraftstoffe wehrt sich gegen solche Vorwürfe, vor allem gegen das Argument, dass Biosprit den Hunger in der Welt verstärke. Nicht die fehlenden Nahrungsmittel, sondern die Armut sei Hauptursache von Hunger und Unterernährung. Drei Viertel der Menschen, die unter absoluter Armut leiden, lebten aber auf dem Land. Dort hätten die Bio-Kraftstoffe jetzt den Preisverfall von Agrarprodukten gestoppt, was gerade den ländlichen Kleinbauern zugute komme. Außerdem könnten viele Millionen Hektar an Brachflächen sinnvoll genutzt und die Erträge leicht vervielfacht werden.

Die Bauern als neue Profiteure? In Europa mag das noch stimmen. Doch Joao Pedro Stedile von der brasilianischen Landlosen-Bewegung hält dagegen: Nicht die Kleinbauern, sondern die großen Konzerne, die Agroindustrie, Ölfirmen und Automobilhersteller hätten bisher vom weltweiten Geschäft mit Biotreibstoffen profitiert.

In Deutschland ist die Ethanol-Produktion aus Getreide und Zuckerrüben derzeit noch bescheiden. Die Firma "Verbio" hat wegen der Billigimporte aus Übersee und den kräftig gestiegenen Getreidepreisen ihre Produktionsanlagen in Schwedt im September herunter gefahren und Kurzarbeit angekündigt. Besser läuft die Biodiesel-Herstellung. Dieses Jahr wird in Deutschland ein Ausstoß von 3,5 Millionen Tonnen erwartet, zwölf Prozent mehr als 2006. Der Rapsanbau hat sich auf 1,5 Millionen Hektar ausgedehnt, das Ende der Fahnenstange dürfte bei 1,8 Millionen liegen. Um auch nur fünf Prozent des in der Bundesrepublik benötigten Diesels mit Sprit aus eigenem Anbau zu ersetzen, müsste nach Berechnungen des Umweltbundesamts "bereits die Hälfte der gesamten deutschen Ackerfläche in vierjähriger Fruchtfolge zum Rapsanbau genutzt werden". Absurd! Deshalb werden immer größere Rapsmengen aus Osteuropa eingeführt.

Während die Konkurrenz zur Nahrung langsam in den Mittelpunkt rückt, wird die ökologische Bilanz des Bio-Sprits beinahe vergessen. Auch die sieht keineswegs rosig aus. Das Umweltbundesamt kritisiert Dünger- und Pestizidorgien auf den Feldern und den großen Energieaufwand für die Herstellung. Da ist der Klimabonus schnell aufgebraucht.

Bleibt die Hoffnung auf die zweite Generation der Bio-Kraftstoffe, die nicht nur Öl oder Stärke einer Pflanze, sondern ihre gesamte Biomasse nutzen. Sollte es tatsächlich gelingen, aus Energiepflanzen wie schnell wachsenden Baumarten oder aus Rest- und Abfallstoffen über das BTL-Verfahren (Biomass to Liquid) Sprit im großen Stil zu vernünftigen Preisen zu erzeugen? Bisher gibt es nur Pilotprojekte. "Wir brauchen nicht nur ein paar Eimer, wir brauchen jetzt mal einige Millionen Liter", fordert Ulrich Kasparick, Staatssekretär im Berliner Verkehrsministerium, das die BTL-Technik mit 40 Millionen Euro fördert. Doch vor 2020, da sind sich die Fachleute einig, wird sie keine großen Mengen liefern. Bis dahin sollen Biodiesel und Ethanol die Lücke schließen.

Die Bäcker machen mobil

"Lebensmittel müssen Vorrang haben vor der Energieerzeugung", erklärt der Zentralverband des Bäckerhandwerks. Er wirft der Bundesregierung vor, sie subventioniere die Verknappung von Lebensmitteln durch die Förderung der Biokraftstoffe. Berücksichtigt man Bau und Planungen für weitere Bioethanol-Anlagen, würden bereits 19 Prozent der Gesamtgetreidemenge entzogen. "Dieses Getreide ist jedoch zwingend für die Versorgung der Bevölkerung notwendig." Besorgniserregend sei außerdem, dass die Saatgutzüchter auf Sorten umstellen, die für die Energieerzeugung geeignet seien. Die Bäcker fordern: Pflanzen, die als Lebensmittel genutzt werden, müssen von der Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ausgenommen werden.