Paris ist teuer, für die meisten unerschwinglich. Die Gruppe "Jeudi Noir" sagt mit Partys und Hausbesetzungen dem Mietwucher in der Stadt den Kampf an

Der zweijährige Come wirbelt sein Kuscheltier durch die Luft, eines der wenigen Spielzeuge, die er hat. Das Zimmer ist karg eingerichtet. Sein Bett ist ein Baby-Reisebett zum Aufklappen. Es ist kalt an diesem Frühlingstag in Paris. Nicht nur draußen, sondern auch in Comes Zimmer. Eine Heizung gibt es nicht.

Come ist der jüngste Bewohner in dem Haus mit der Adresse 7, Impasse St-Claude, drittes Arrondissement in Paris. Gerne schlendern die Touristen hier ganz in der Nähe durchs Marais-Viertel. Bei den Preisen in den Cafés bekommen sie eine Ahnung davon, was es heißt, in Paris zu leben. Das Leben ist teuer, für die meisten unerschwinglich, vor allem weil die Mieten Wucher sind. 40 Euro pro Quadratmeter für ein Ein-Zimmer-"Loch" sind keine Seltenheit. Dazu kommen oft Garantieforderungen wie Kautionen bis zu einem Jahresgehalt.

1200 Euro Einkommen, 1000 Euro Miete

Comes Eltern sind jobben. Beide machen eine Ausbildung, erzählt Marion, Comes Tante, die gerade auf ihn aufpasst. Comes Vater verdient als Lehramtsreferendar 1200 Euro. Die Miete von knapp 1000 Euro für ihre alte 40m2-Wohnung konnten sie irgendwann nicht mehr zahlen. Deshalb zogen sie mit ihrem Sohn hier her, die Tante auch. "Die Situation ist immer noch prekär, aber es gibt uns allen die Möglichkeit zum Luftholen", sagt Marion, die sich selbst als Studentin keine Wohnung in Paris leisten kann.

Im Moment zahlen sie für ihr Zimmer im Marais-Viertel nichts. Sie haben das Haus einfach besetzt, zusammen mit 30 anderen jungen Leuten. Sie nennen sich "Jeudi Noir", sind Künstler, Studenten, Angestellte. Das Gebäude ist ein viergeschossiger, schmuckloser Zweckbau am Ende einer kleinen Sackgasse. Außen bröckelt der Putz, innen erschließen sich 5000 Quadratmeter, erstaunlich erhalten dafür, dass das Gebäude über zehn Jahre leer stand. Teilweise hängen noch Halogenlampen an der Decke, der Anstrich an den Wänden wirkt in einigen Räumen makellos. Besonders in einem Raum wirkt es so, als ob die letzten Bewohner Hals über Kopf geflohen wären. Eine blaue Fotostudiowand zieht sich bis zur Decke hoch. Das letzte Shooting scheint vor ein paar Minuten erst zu Ende gegangen zu sein. Kein geringerer als Modeschöpfer Pierre Cardin hatte hier seine Ateliers. Nun liegt neben der blauen Fotostudiowand eine Matratze, auf der ein Hausbesetzer schläft.

Unten am Hauseingang hängt heute ein Plakat mit handschriftlicher Info in fetter Filzschreiberschrift: Pressekonferenz, 3. Etage. Die Presse ist geladen, um der Einweihung der "L'impasse" beizuwohnen, der "Sackgasse", wie das besetzte Haus kurz genannt wird. Der Name impliziert eine politische Botschaft: Für viele Leute endet die Wohnungssuche in Paris in der Sackgasse. Banal, aber plakativ, so wie die Organisation "Jeudi Noir" von Anfang an auf sich aufmerksam gemacht hat.

Party als Protest

"Jeudi Noir" heißt "schwarzer Donnerstag" und spielt auf den Erscheinungstag des wichtigsten Pariser Wohnungsanzeigenblattes an. Die Vision des Kollektivs: Irgendwann brechen an einem schwarzen Donnerstag die Mietpreise in Paris genauso ein wie einst am schwarzen Freitag 1929 die internationalen Börsenkurse. Und dass es so kommt, dafür tun sie einiges: Anfangs erregten sie auf der Straße bei Disco-Musik in Perücken, Riesensonnenbrillen und glitzernden Schlaghosen Aufsehen. Termine für Wohnungsbesichtigungen wurden gesprengt. Mit Konfetti, Luftschlangen und Schaumwein sollte bei Vermietern Einsicht herbeigefeiert werden. Party als Protest. Was mit der Idee einiger Studenten Ende 2006 begann, wurde binnen Wochen zum viel beachteten politischen Statement. Neben Wohnungsbesichtigungsterminen stürmte das Party-Kollektiv Maklerbüros und Immobilienmessen. Aus kurzfristigen Besetzungen wurden langfristige.

Ausgerechnet gegenüber der Pariser Börse fand sich ein leer stehendes Haus, das nach Meinung von Jeudi Noir nur darauf gewartet hatte, dass endlich jemand den Hausfrieden bricht und ein Zeichen setzt gegen die Wohnungsnot in Paris. Heute ist es so etwas wie der offizielle Sitz der Organisation. In dem besetzten Haus wohnen 40 Leute. Das Haus gehörte einer Bank. Einige Monate nach Beginn der Besetzung entschloss sie sich, das Gebäude an die städtische Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau zu verkaufen. Die hat angekündigt, hier tatsächlich Sozialwohnungen zu schaffen. "Im speziellen Fall dieses Hauses ist das ein Erfolg", sagt Jeudi Noir-Mitbegründer Lionel, "an der schlechten Gesamtsituation hat das allerdings leider sehr wenig geändert."

Jeudi Noir nennt das Haus "Ministerium gegen die Wohnungskrise". Das Party-Völkchen hat sich als eine wichtige politische Stimme über die Pariser Stadtgrenzen hinaus etabliert. Zwar verlor Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy noch kein Wort über die Aktivisten, aber selbst bei ihm ist das Problem des knappen erschwinglichen Wohnraums angekommen. Die Kautionen für Mietwohnungen sollten auf eine Monatsmiete festgesetzt und die Mietpreise an die allgemeine Preissteigerung gekoppelt werden, um Mietwucher zu stoppen, meinte der Präsident kürzlich. Es blieb bislang bei diesen Ankündigungen.

Akzeptanz der Nachbarschaft ist wichtig

In der "Sackgasse" im dritten Stock duftet es nach Quiche. In der Gemeinschaftsküche wird letzte Hand an das Buffet für die Einweihungsparty gelegt. Auf einer großen Tafel steht eine To-Do-Liste. "Dreckiges Geschirr wegräumen!" Wenn die Presse kommt, will man einen guten Eindruck hinterlassen. An der Wand im Gemeinschaftsraum hängen mehrere Empfehlungsschreiben von Nachbarn. Die Akzeptanz der Nachbarschaft ist so wichtig, weil die "Sackgasse" akut von der Zwangsräumung bedroht ist. Einige Tage vor der Einweihung verfügte ein Gericht im Arrondissement die "sofortige Räumung".

Der zweijährige Come versteht das alles noch nicht. Er beobachtet die Fernsehkameras. Die sind spannend. Mit seiner Tante Marion sitzt er neben einem Dutzend weiterer Neubewohner der "Sackgasse". Manuel Domergue von Jeudi Noir spricht für sie: "Wir haben eine militante Besetzung gemacht. Wir wollen, dass hier Sozialwohnungen entstehen. Wir verlassen das Gebäude erst, wenn die Bauarbeiten dafür beginnen."

"Sie können jeden Morgen zum Räumen anrücken", meint Marion etwas weniger abgeklärt. Das Leben in der "Sackgasse" sei für sie zwar auch ein politisches Statement, aber vor allem eine Chance, ihr Studium abzuschließen und im Leben jenseits der "Sackgasse" anzukommen.

Zu viele Häuser stehen leer

In der dritten Reihe sitzt ein Mann Mitte 60 im Lodenmantel. Es ist der Bügermeister des dritten Arrondissements. Pierre Aidenbaum von der sozialistischen Partei (PS) sympathisiert mit den jungen Leuten. "Ja, es ist illegal", sagt Aidenbaum, "aber um etwas zu ändern, muss man manchmal etwas Illegales tun." Das gelte natürlich nicht für ihn, schiebt er hinterher. Doch die Aktionen von Jeudi Noir scheinen ihm gerade recht zu kommen. Es sei ihm als Bürgermeister schon lange ein Dorn im Auge, dass er keine Möglichkeiten habe, jahrelang leer stehenden Wohnraum in Sozialwohnungen umzuwandeln. Und wie in ganz Paris stünden auch im dritten Arrondissement viel zu viele Häuser leer.

Das Gebäude in der Impasse St-Claude gehört einer so genannten SCI, einer französischen Immobiliengesellschaft. Zugeständnisse an die Hausbesetzer oder an Bürgermeister Aidenbaum gibt es nicht. Immobilienspekulation und sozialer Wohnungsbau schließen sich aus.

Keine Einweihungsparty ohne Disco King. Plötzlich ist er da - hinten im Raum: Perücke, überdimensionale Sonnenbrille, Schlaghosen, Glitzerlook. Wer sich auf der Homepage von Jeudi Noir umschaut, findet selbst produzierte Filme von den früheren "Discologements", den Wohnungsbesichtigungspartys. Und Disco King ist so etwas wie der Showmaster. "Diese Aktionen sind Vergangenheit", sagt Disco King ohne Wehmut. "Wir wollten die Öffentlichkeit auf uns aufmerksam machen und das hat funktioniert. Wir sind jetzt politischer, seriöser geworden." Trotzdem wird anschließend gefeiert, die Einweihung der "Sackgasse" und dass wieder ein Tag vorüber ist, an dem nicht geräumt wurde.

Jeudi Noir hat sich verändert, die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht.

www.jeudi-noir.org

Eine Million Menschen leben in Frankreich wegen zu hoher Mieten in Hütten, Zelten oder Obdachlosenheimen, 100000 so genannte sans domicile fixe haben sich ohne ein festes Dach über dem Kopf auf der Straße eingerichtet. Ab dem 1. Dezember 2008 werden sie alle das Recht haben, einen angemessenen Wohnraum einzuklagen.Fotos:afp