Ausgabe 06/2008-07
ManagersGierVolkesZorn
Managers Gier – Volkes Zorn
Neuhausen, Kanton Schaffhausen, Schweiz: Hier schäumt nicht nur der Rhein, sondern auch ein Unternehmer: Zahnpasta-Fabrikant Thomas Minder ist erzürnt über die Millionen-Gehälter der Manager. Dank seiner "Volksinitiative gegen Abzockerei" wird die Schweiz als erstes Land der Welt abstimmen: Muss die Gier Grenzen haben?
Manager Josef Ackermann
VON CHRISTOF MOSERWäre das dichte Laub der Bäume nicht, man würde vom Fabrikgebäude aus den Rheinfall sehen. So aber ist an der Rheinstraße 86 in Neuhausen nur sein Rauschen und Brodeln zu hören. Und der Mann, der hier Zahnpasta in Tuben abfüllt, weiß: Es brodelt auch im Volk.
Thomas Minder, 47, Chef des Mundhygiene-Unternehmens Trybol, hat über ein Jahr lang nichts anderes gemacht als Unterschriften sortiert, gezählt, an die Gemeinden verschickt, beglaubigt zurück erhalten und wieder gezählt. Vor zwei Monaten hat er in Bern die "Volksinitiative gegen Abzockerei" eingereicht. An einer Seitentür des Parlamentsgebäudes. Dort landet der Volkszorn immer, wenn er in einer Initiative mündet: am Büroeingang der Abteilung politische Rechte, zuständig für Initiativen und Referenden. Der Volkszorn, das sind 100000 Unterschriften auf Bögen, fein säuberlich in Kartons verpackt.
Ausgerechnet die Schweizer!
Jeder, der die Initiative unterschrieben hat, geht mit Minder einig: In der Schweiz soll Schluss sein mit den Millionen, die sich Manager für ihr managen auszahlen lassen. Bewilligt von Ausschüssen, in denen auch Manager sitzen. "Das ist eine Kaste", sagt Minder. "Eine gierige Kaste, die den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet." Bald schon, nächstes Jahr, wird die Bevölkerung über die Initiative abstimmen können. "Die Schweizer werden der Gier der Manager einen Riegel vorschieben", ist er überzeugt. "Ausgerechnet die Schweizer! Kein anderes kontinentaleuropäisches Land hat den amerikanischen Superkapitalismus derart übernommen wie die Schweiz."
Minder sitzt in seinem holzgetäfelten Büro, zieht ein Papier mit Excel-Tabellen aus der Schublade und tippt mit dem Finger auf eine der Kolonnen: "Schauen Sie! Bei Nestlé wurden die Chefs im Jahr 2002 mit insgesamt 17 Millionen Euro entschädigt. 2006 waren es bereits 33 Millionen. Das ist ein Plus von 95 Prozent!" Jetzt ist Minder in Rage, die Zahlen sprudeln nur so aus ihm heraus: "Credit Suisse, 2002: 58 Millionen. 2006: 110 Millionen. Plus 88 Prozent! Und hier: Zurich, 2002: 13 Millionen. 2006: 40 Millionen. Plus 188 Prozent!" Er holt Luft. "Solche Vergütungen sind wirtschaftskriminell, Diebstahl am Vermögen der Aktionäre!"
Endgültig geplatzt ist ihm der Kragen nach dem Kollaps der Swissair im Jahr 2001. Sein Unternehmen, ein Familienbetrieb mit 30 Angestellten, lieferte der Fluggesellschaft Mundwasser und Zahnpasta. "Als ich nach dem Swissair-Konkurs auf meiner Rechnung sitzen blieb und aus der Presse erfuhr, dass sich der letzte Swissair-Chef im Voraus fünf Jahresgehälter hatte ausbezahlen lassen, kam in mir eine riesige Wut hoch", sagt Minder. "7,6 Millionen Euro! Und wir mussten schauen, wo wir blieben."
Damals spielte er im Freundeskreis erstmals offen mit dem Gedanken, eine Initiative zu lancieren. Man belächelte ihn. Manche im Dorf hielten ihn für einen Spinner. Dass Minder in der Freizeit gerne Nistkästen für Vögel aufstellt, hatte das Gerede eher noch verstärkt.
Nicht radikal, sondern einfach
Aber Minder ließ sich nicht beirren: "Ich wusste, es musste etwas passieren. Und ich wusste, dass ich etwas dagegen tun musste. Die Politiker schauen ja nur zu." Er setzte sich hin und arbeitete über mehrere Jahre hinweg einen Initiativtext aus. Nichts Radikales und im Prinzip ganz einfach: Das Schweizer Modell der direkten Demokratie soll auch für den Kapitalismus gelten. Die Aktionäre sollen bestimmen, wie die Manager in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen der börsennotierten Schweizer Unternehmen entlohnt und vergütet werden. Und Abgangsentschädigungen sollen ganz wegfallen.
Am 30. Oktober 2006 startete Minder zusammen mit seinen Eltern, seiner Lebenspartnerin, einer Bekannten und zwei Angestellten aus der Firma die Initiative. Und weil sein Initiativ-Komitee zu klein war, um das zu tun, was Initiatoren normalerweise tun müssen, nämlich auf Dorfplätzen, vor Einkaufszentren und in Stadtparks tage-, wochen-, monatelang Unterschriften sammeln, nahm Minder 90000 Euro aus der Firmenkasse und schaltete in großen Schweizer Zeitungen Anzeigen: "Volksinitiative gegen Abzockerei", mit Unterschriftenbogen zum Herausschneiden. "Das schlug ein wie eine Bombe", sagt Minder.
"Schämen Sie sich nicht?" Thomas Minder während seiner Rede bei der Generalversammlung der Großbank UBS
Nicht nur erreichten die Fabrik am Rheinfall fortan täglich stapelweise ausgefüllte Unterschriftenbögen, sondern auch Berge von Briefen. "Von aufgebrachten Bankern, Bewohnern der Zürcher Goldküste, von Doktoren, Hausfrauen, Arbeitern und Arbeitslosen", erzählt Minder. Sie alle schrieben ihm das Gleiche: "Es kann nicht mehr so weitergehen. Die Abzocker-Initiative ist die gescheiteste Initiative seit 100 Jahren." Darunter war aber auch viel Post, in der sich der Unmut der Bürger entlud: "Hängt sie auf, aber mit dem Kopf nach unten."
Minder hatte seine Mission gefunden und eine Mission ihren Missionar. Wer wäre besser geeignet, gegen die Abzocker vorzugehen als ein Mann, der Zahnpasta verkauft? Minder sagt: "Eine Zahnpasta besteht zu 50 Prozent aus Wasser. Der Rest ist Marketing." Und so tat der 47-jährige Unternehmer, was er am Besten kann: für sein Anliegen werben.
Er besuchte Generalversammlungen, geißelte unter dem Applaus der Aktionäre die Bezüge der Vorstände, und manchmal schlug sein Kampf auch medienwirksam aus. Bei der Generalversammlung der Großbank UBS zum Beispiel, als Minder den Verwaltungsrats-Präsident Marcel Ospel frontal angriff, nachdem dieser mit seiner Bank in den USA 16 Milliarden in faulen Hypotheken versenkt hatte und sich seinen Abgang vergolden ließ. Minder rief in den Saal: "Sie, Herr Ospel, haben sich Ihr Gehalt in drei Jahren auf über 14 Millionen Euro verdoppelt und verdienten einen Stundenlohn von über 8000 Euro - das sind etwa 580 Mal so viel wie der Mindestlohn. Und jetzt auch noch ein goldener Fallschirm von 12 Millionen! Schämen Sie sich nicht?"
Als Minder dann dem UBS-Chef auf dem Podium ein Exemplar des Schweizer Obligationenrechts übergeben wollte, griffen die Sicherheitskräfte ein. Sie drehten ihm den rechten Arm auf den Rücken und drängten ihn von der Bühne. Keine Zeitung verzichtete am nächsten Tag auf dieses Bild.
Jetzt belächelte ihn niemand mehr. Jetzt machte er sich Feinde. "Es ging soweit, dass mir die Autoreifen aufgeschlitzt wurden", sagt Minder. Der mächtige Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ließ seine PR-Maschine gegen den Aktionärsdemokraten anlaufen. Das Hauptargument gegen die Initiative: Wenn in der Schweiz die Löhne beschränkt werden, dann wandern die Firmen ins Ausland ab. Minder lächelt müde: "Dann sollen sie doch gehen. Abzocker schaden der Schweizer Wirtschaft. Wir brauchen sie nicht."
Die Initiative zielt in die Mitte der Gesellschaft
Unterstützung aus der Politik erhielt Minder nur ideell. Von den Sozialdemokraten, den Grünen, von einigen linken Splittergruppen. Minder selbst ist kein Linker, er bezeichnet sich als "gutbürgerlich", fühlt sich der rechtskonservativen SVP nahe. "Ich will den Kapitalismus retten, nicht bekämpfen", sagt Minder. "Wir haben immer gesagt: Es ist egal, welche Farbe die Unterschrift hat. Es ist kein linkes, kein rechtes, kein Arbeitslosen-, kein Wirtschafts-Thema. Vom Text her zielt die Initiative in die Mitte der Gesellschaft."
Thomas Minder bei seinem Rauswurf
Minder steht auf. Streicht sich seine Krawatte mit den vielen kleinen Schweizerkreuzen glatt. Die Initiative ist eingereicht, der Abstimmungskampf steht erst noch bevor. Jetzt muss er gehen. Zu einem Fußballspiel des FC Schaffhausen, einem Club in der Regionalliga. Minder unterstützt ihn finanziell. Der Mann, der den Mund vom Geruch und den Kapitalismus von der Gier befreien will, steigt in seinen uralten, blauen BMW. Eine Frage noch, Herr Minder: Wie viel verdienen sie? Minder kurbelt das Autofenster runter und sagt: "3700 Euro pro Monat. Mehr brauche ich nicht."