Ihre Identität können sie nicht preisgeben, aber auch sie haben Überlastungsanzeigen gestellt

Der enorme Stellenabbau in den deutschen Krankenhäusern gefährdet die Patienten-Versorgung. Schwestern und Pfleger schlagen Alarm

Sabine Schmidt, Thomas Zeise, Maria Müller, Julia Hansen, Friedrich Kaufmann und Monika Walther heißen in Wirklichkeit anders. Aber sie arbeiten alle als Schwestern und Pfleger in deutschen Kliniken. Und dort sind die Arbeitsbedingungen inzwischen so, dass eine gute Pflege nicht mehr möglich ist. 50000 Vollzeitkräfte wurden in den vergangenen zehn Jahren abgebaut. Nun geraten Pflegende und Patienten in Not. Allein in vier großen deutschen Kliniken sind innerhalb eines Jahres weit über 2000 Überlastungsanzeigen von Schwestern und Pflegern eingereicht worden. Aus den Anzeigen geht hervor: Verbände werden nicht gewechselt, Infusionen nicht kontrolliert, Blutdruck wird unzureichend überwacht. Eine Pflege auf diesem Niveau ist zum Gesundheitsproblem geworden. ver.di fordert daher die Politik auf, diese unhaltbaren Zustände zu beenden. ver.di PUBLIK dokumentiert Auszüge aus Anzeigen, die bei Klinikleitungen eingereicht wurden.

Uvs

Sabine Schmidt* Kinderkrankenschwester

"Zwei Kolleginnen krank und kein Ersatz in Sicht: Einem der schwerstbehinderten Kinder geht es sehr schlecht mit Atemproblemen, sodass es x-mal umgelagert und (sein Lungensekret) abgesaugt werden muss; dazu drei Säuglinge, zwei davon schwer krank, zwei andere Kinder sind frisch operiert, davon eines in schlechtem Allgemeinzustand, ein weiteres Kind kommt in schlechtem Zustand von der Intensivstation, sieben weitere Patienten sind ebenfalls sehr aufwändig.

Kontinuierliche Überwachung geht nicht mehr, Medikamente und Essen gibt es nur zeitverzögert, ein Kind nach Kopf-OP musste lange schreien, da keine Kapazität zum Füttern vorhanden war; auch Säuglinge mussten auf ihre Mahlzeiten warten."


Thomas Zeise Krankenpfleger Bauch- und Gefäßchirurgie

"So ist man je nachdem die ganze Nacht am Springen zwischen Verwirrten, die man irgendwie in Schach zu halten hat, um größeren Schaden zu vermeiden - am besten medikamentös, damit es schnell Ruhe gibt, weil der nächste kommt bestimmt ... - und Menschen, die man vorm Wundliegen zu schützen hat und nasse Pampers aus den Betten ziehen muss, denn man kann ja nicht allen einen (Blasen-)Katheter legen, da dann wieder Infektionsgefahr besteht.

Es sind fast in jeder Nacht irgendwelche Patienten präfinal gewesen, wo man wusste, die sterben heute Nacht und dürfen es auch. Nur Zeit hat man dafür bestimmt nicht. Man ist schnell wieder raus und kommt zwangsläufig dazu, sich zu denken: Hoffentlich ist es bald vorbei, dann habe ich eine Arbeit weniger. Betreuung, Hand halten - nichts davon ist möglich."


Maria Müller Krebsstation

"Drei Pflegekräfte und ein Schüler müssen die Krebsstation mit 26 Patient/innen versorgen, drei Stellen sind seit Jahres- mitte nicht besetzt, zwei Kolleg/innen sind krank und eine ist schwanger.

Blutzuckerbestimmungen und Verbandswechsel können nicht mehr gemacht werden, Grundpflege nur noch im Rahmen von Intimpflege und Zähneputzen, Anerkennungspraktikanten müssen ganze Bereiche übernehmen, ausreichende Dokumentation kann nicht mehr gewährleistet werden. Es besteht die dringende Gefahr, dass dem Personal unter diesem Druck Fehler unterlaufen, besonders im Hinblick auf die Zytostatikatherapien (Verabreichung von Krebsmedikamenten). Zu allem Überfluss ist noch die Streichung von vier unbesetzten Stellen ab Januar vorgesehen, so dass die Notsituation zum Dauerzustand wird."


Julia Hansen Fachkrankenschwester für Psychiatrie

"Drei examinierte Pflegekräfte sind mit 22 Patienten auf der psychiatrischen Station allein. Zahlreiche dieser Patienten sind extrem unruhig und müssen sehr eng beobachtet werden wegen Aggressivität und Sturzgefahr. Patienten sind nicht mehr in der Lage, sich allein zu waschen und anzuziehen, fünf von ihnen müssen bei jeder Mahlzeit gefüttert werden. Ein Patient muss wegen Krampfanfalles notfallmäßig versorgt werden, ein Patient muss notfallmäßig auf die internistische Station verlegt werden. Gangunsichere und aggressive Patienten mussten in solch einer Situation öfter und länger fixiert (gefesselt) werden, da es einfach nicht möglich war, sich so intensiv wie nötig um sie zu kümmern. Dass die Angehörigen von drei der Patienten aufgebracht, zum Teil sehr ungehalten waren, ist nachvollziehbar, bedeutet aber noch zusätzlichen Zeitaufwand."


Friedrich Kaufmann Fachkrankenpfleger für Intensivmedizin

"Sechs, manchmal nur fünf Pflegekräfte in der Schicht, davon in der Regel nur ein bis zwei mit Fachausbildung, haben 16 bis 18 Patienten zu versorgen. Davon sechs, manchmal acht Beatmungspatienten, Patienten mit Hämofiltration (Blutwäsche), MRSA-Infektion (gefährlicher Krankenhauskeim), Entwöhnung vom Beatmungsgerät ... das sind oft zehn Patienten, die eigentlich eine 1:1-Betreuung bräuchten. Wenn dann noch eine Reanimation (Wiederbelebung) dazukommt oder auch nur das relativ häufige Legen von zentralen Venenkathetern, dekompensiert das Ganze (bricht das Ganze zusammen). Auffüllarbeiten, Essen- und Apotheken-Bestellungen, Dokumentationen, Gespräche mit Angehörigen, Grundpflegemaßnahmen, Mittagspausen des Personals ... das alles ist oft genug nicht mehr machbar."


Monika Walther Krankenschwester Innere Medizin

"Am Morgen des 17.10. mussten sich die Patienten auf Station ganze zwei Pflegekräfte teilen. Einer war schon in der Nacht eingetrübt, war somnolent (hatte Bewusstseinsstörungen) und musste engmaschig überwacht werden. Wegen seiner Stuhl- und Harninkontinenz musste er mehrmals gebettet werden - das schafft einer nicht alleine. Bei Aufnahmeuntersuchung der neuen Patienten bestand der Arzt auf die Anwesenheit einer Pflegekraft, drei Patienten mussten zur Entlassung vorbereitet, ärztliche Verordnungen ausgeführt werden, sämtliche anderen Patienten waren komplett unterversorgt - keine Gespräche, keine Informationsweitergabe. Essensausgabe und Vitalzeichenkontrolle nur mit erheblicher Verzögerung. Keine Visite, kaum Dokumentation, notgedrungen gefährliche Pflege - während der ganzen Schicht."

*alle Namen von der Redaktion geändert

Siehe auch Bericht und Reportage