Das Aktionsbündnis erlassjahr.de setzt sich für die Entschuldung armer Länder ein

Björn Lampes Stand beim Kirchentag in Osnabrück

VON ROBERT B. FISHMAN

Björn Lampe sitzt in seinem Büro in der Nähe des Rheins. An einem dieser Plätze in Düsseldorf, die nach dem Krieg neu aufgebaut werden konnten, weil Deutschland die Kriegsschulden erlassen wurden und mit dem 50er-Jahre-Wirtschaftswunder auch der Geldsegen kam. Auch Björn Lampe geht es um Geld, viel Geld: drei Billionen Dollar. Als Sprecher des Aktionsbündnisses "erlassjahr.de" setzt sich der 33-Jährige mit viel Geduld und nüchternen Zahlen gemeinsam mit vier Kollegen und vielen Ehrenamtlichen für die Entschuldung der armen Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika ein.

Dabei weiß der Politikwissenschaftler viele hinter sich: 850 Organisationen, darunter katholische Bistümer, die evangelische Kirche, Eine-Welt-Initiativen, Vereine, Kirchengemeinden und viele andere haben sich dem 1997 gegründeten Aktionsbündnis angeschlossen. "Entwicklung braucht Entschuldung", lautet das Motto der Initiative, die sich vor allem für ein internationales, faires Insolvenzverfahren einsetzt. Schuldenerlasse allein lösen das Problem nicht, weiß Björn Lampe.

Ghana und das Hähnchenfleisch

Nur wenn die Regierungen der Schuldnerländer das Geld, das sie nach einem Schuldenerlass behalten können, für Schulen, Gesundheitsversorgung und andere Programme zur Armutsbekämpfung ausgeben, verbessern sie die Lebensbedingungen der Menschen. Björn Lampe erklärt das am Beispiel Ghana: Internationale Entwicklungsbanken und der Internationale Währungsfonds (IWF) hatten dem westafrikanischen Land im Zuge seiner Initiative für die hoch verschuldeten armen Länder einen großen Teil seiner Schulden erlassen. Die Regierung ließ mit dem Geld Brunnen, Schulen und Krankenhäuser bauen. Der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung ist so seit der Jahrtausendwende von 40 auf 29 Prozent gesunken. Inzwischen gehen wie sonst kaum in Afrika neun von zehn ghanaischen Kindern zur Grundschule.

Auf 100 Milliarden US-Dollar beziffert "erlassjahr.de" die Summe der Schuldenerlasse für Entwicklungsländer seit Beginn der internationalen Kampagne für die Entschuldung der armen Länder vor zehn Jahren. Dennoch übersieht Björn Lampe nicht, wie hoch die Hürden noch immer sind. IWF, Weltbank und viele Gläubigerländer knüpfen die Schuldenerlasse an strenge Auflagen, die oft mehr schaden als nutzen.

So wurde Ghana gezwungen, die Leitzinsen zu erhöhen, die Inflation zu bremsen und Devisenreserven anzulegen. Gerade für Mittellose, die sich zum Beispiel mit einer Existenzgründung aus ihrer Not befreien wollen, wird es immer schwieriger, an bezahlbare Kredite zu kommen. Noch härter treffen das Land die Zollvorschriften des IWF. Um Schulden erlassen zu bekommen, musste Ghana die Erhöhung seiner Zölle auf Lebensmitteleinfuhren zurücknehmen. Seitdem überschwemmt tiefgefrorenes Hähnchenfleisch aus Europa die Märkte in Ghana wie in anderen westafrikanischen Ländern. Die EU zahlt ihren Geflügelfarmern Milliardenzuschüsse für die Produktion und die Ausfuhr ihrer Waren. Die afrikanischen Kleinbauern können so die Preise für europäisches Geflügel nicht mehr unterbieten. Der Marktanteil heimischer Produzenten ist zwischen 1992 und 2002 von 95 auf zehn Prozent gesunken.

Deutsche Schiffe und der Diktator

Finanzschwache Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens stehen mit umgerechnet fast 2000000000000 (Billionen) Euro vor allem bei westlichen Staaten und Banken in der Kreide. Korrupte Tyrannen haben sich viel Geld geliehen, um es unter anderem auf ihre privaten Auslandskonten zu leiten, sich davon Villen zu bauen oder Waffen zu kaufen, mit denen sie ihre Völker unterdrücken. Zahlen müssen nun vor allem die Opfer. So nahm Indonesiens Diktator Suharto 1992 in Deutschland rund 300 Millionen Euro auf, um 39 Kriegsschiffe der aufgelösten DDR-Marine zu kaufen.

Versprochen hatte er der damaligen Bundesregierung, dass die Schiffe nur gegen Schmuggler und zum Küstenschutz eingesetzt würden. In Wahrheit ließ das Regime mit der Flotte Soldaten nach Ost-Timor und Iran Jaya (West-Papua) bringen, wo Einheimische für die Unabhängigkeit ihrer Halbinseln kämpften. Allein die 24 Jahre währende indonesische Besetzung Ost-Timors kostete mehr als 180000 Menschen das Leben.

Beim Kirchentag in Osnabrück lockte das "Schicksalsrad" die Menschen an Björn Lampes Stand

Kirchentag in Osnabrück, Mai 2008. Björn Lampe steht an seinem Info-Stand, spricht Passanten an und macht auf das Anliegen von erlassjahr.de aufmerksam. Er trägt ein T-Shirt mit dem Logo der Initiative, einer Kette, in der ein Glied gesprengt ist. Das ist es, was Björn Lampe und die anderen Aktivisten wollen, die Ketten sprengen, an die die armen Länder durch Schulden gefesselt sind. Zwei Frauen bleiben am Stand stehen. "Das Schicksalsrad bestimmt Dein Geburtsland", steht über einem großen Rad, an dem die Standbesucher drehen. Der Zeiger bleibt über Deutschland stehen. Glück gehabt. Auf Fotos umarmen glückliche Mütter ihre Kinder. Auf dem Feld, das für Somalia steht, ist eine leere Hand zu sehen und eine abgemagerte Frau, die in einer Blechschüssel ein karges Mahl stampft.

Immer wieder bleiben vor allem junge Leute stehen, drehen am Rad und fragen, worum es hier geht. Geduldig erklären Björn Lampe und seine Mitstreiter das Problem der Schuldenfalle. "Wir helfen den Menschen in den armen Ländern direkt", sagt Lampe. Dann sammelt er Unterschriften und bittet Interessierte, sich an Bundestagsabgeordnete zu wenden. Bis Jahresende will erlassjahr.de mindestens 60 Abgeordnete dazu bringen, die "Parlamentariererklärung" für einen Schuldenerlass und für ein internationales Insolvenzverfahren zu unterschreiben.

Anfang Juni legte der Wiener Völkerrechtler August Reinisch dem Bundestag ein Gutachten vor, in dem er die indonesischen Schulden aus dem Kauf der DDR-Schiffe als "nicht legitim" bezeichnete. Reinisch schlägt aber vor, dass Deutschland die noch ausstehenden 100 Millionen Euro nicht zurück verlangen sollte, wenn Indonesien das Geld in Entschädigungs- und Wiederaufbaufonds für Opfer von Menschenrechtsverletzungen zahle.

"Odious Debts" - etwa: unanständige oder verabscheuungswürdige Schulden - nennen viele Völkerrechtler Kredite, die undemokratische Regime für Zwecke aufnehmen, die nicht den Interessen ihrer Völker dienen. Solche Schulden sollten die Gläubiger, zumeist westliche Staaten und Banken, den verarmten Schuldnerländern erlassen, fordert das Aktionsbündnis erlassjahr.de.

Für alle anderen Kredite überschuldeter Länder verlangt die Initiative ein geregeltes, internationales Konkursverfahren. Vorbild könnte das Privatinsolvenzrecht sein. Verbraucher, die ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können, vereinbaren mit ihren Gläubigern, dass sie zumindest einen Teil der Außenstände nebst Zinsen bedienen. Halten sie sich sieben Jahre lang an diesen Vertrag, sind sie nach Abschluss des Verfahrens schuldenfrei. erlassjahr.de wünscht sich vor allem eine unabhängige Schiedsstelle, in der Vertreter aus Gläubiger- und Schuldnerländern die Ansprüche beurteilen.

"Das Interesse am Thema wächst - zumindest in der Politik", sagt Björn Lampe. Immerhin hätten sich nach einer Anhörung im Bundestag Anfang Juni Vertreter aller Fraktionen grundsätzlich für ein faires internationales Insolvenzverfahren ausgesprochen. Der Begriff illegitime oder unanständige Schulden sei vielen aber noch zu schwammig.

Über den Sommer wollten Lampe und seine Mitstreiter/innen die Fachleute im Wirtschafts-, Entwicklungs- und Finanzministerium für ihre Idee gewinnen. "Das dauert alles sehr, sehr lange", gesteht der erfahrene Aktivist, der seine Diplomarbeit über Lobbyisten geschrieben und in einer Wirtschafts-PR-Agentur gearbeitet hat. "Dort habe ich viel gelernt, hatte aber immer das Gefühl, dass ich auf der falschen Seite stehe".

erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e. V., Carl-Mosterts-Platz 1, 40477 Düsseldorf, Tel. 0211/4693-196, E-Mail buero@erlassjahr.de

www.erlassjahr.de