Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist dringend erforderllich, um den Beschäftigten Freiräume zu schaffen

Annette Mühlberg ist Referatsleiterin für eGovernment, Neue Medien, Verwaltungsmodernisierung im Fachbereich Gemeinden beim ver.di-Bundesvorstand

ver.di PUBLIK | Ist das Thema "elektronische Dienstleistungen" bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst angekommen?

ANNETTE MÜHLBERG | Es gibt gute Dienstvereinbarungen zum behördeninternen Umgang mit Daten, manche aber können nur als abschreckende Beispiele bezeichnet werden. Was die Umsetzung angeht, etwa der EU-Dienstleistungsrichtlinie, ergab sich bei unserer Konferenz folgendes Bild: Von gut 120 anwesenden Personalräten hatten weniger als zehn Prozent in ihren Dienststellen auch nur eine Informationsveranstaltung zu dem Thema erlebt. Dabei soll bereits bis Ende 2009 in allen 27 EU-Ländern das Konzept so genannter einheitlicher Ansprechpartner für Gewerbeanmeldungen realisiert sein. Eine gigantische Herausforderung.

ver.di PUBLIK | Das scheint rein technisch schwer realisierbar.

MÜHLBERG | Die einschlägigen Unternehmen sind in den Startlöchern: Oracle und SAP, Fujitsu Siemens, IBM und wie sie alle heißen. Man muss nur den Behördenspiegel, die Zeitschrift des öffentlichen Dienstes, aufschlagen, da preisen sie mit ganzseitigen Anzeigen und üppigen Beiträgen ihre Gesamtlösungen an. Problematisch wird es, wenn die Regierungen unter Zeitdruck geraten, um EU-Verordnungen einzuhalten. Wenn Aufträge kurzerhand an Unternehmen vergeben werden, die angeblich unkomplizierte Produkte verkaufen, besteht die Gefahr, dass die Anwendungen weder für die Bürger noch für die Beschäftigten freundlicher werden - und nicht unbedingt demokratischer.

ver.di PUBLIK | Die Bürger sind mit einer Vielzahl von Vorhaben konfrontiert, die zur Entbürokratisierung beitragen sollen. Wer soll das überschauen?

MÜHLBERG | In Vorbereitung der Konferenz habe ich beim Bundesinnenministerium angefragt, ob es möglich sei, uns einen Überblick zu verschaffen über die eGovernment-Projekte dieses Ministeriums. Unmöglich! Es gibt so viele, teilweise widersprüchliche Projekte, die alle nach einer qualifizierten Technikfolgenabschätzung schreien. Welche Folgen bedeutet die Anwendung für die Bürger, für die Beschäftigten, für die Demokratie? Es gibt Bürgerportale, es gibt den neuen Pass, es gibt die Gesundheitskarte - die Liste ist lang!

ver.di PUBLIK | "Freiheit statt Angst!" lautet das Motto der Demonstration gegen Überwachungswahn, zu der ver.di aufruft. Das Motto ist erklärungsbedürftig.

MÜHLBERG | Es zeigt, dass wir freie Menschen sein wollen. Dass wir nicht überall, wo wir gehen und stehen, Angst haben wollen, überwacht zu werden. Mich freut, dass im Demonstrati-onsaufruf ausdrücklich die Koalitionsfreiheit verteidigt wird - das ist für Gewerkschafter sehr wichtig. Denn das meint auch, dass Kontakte von Beschäftigten zu ihren Betriebs- und Personalräten, zu ihrer Gewerkschaft geschützt werden. Wenn jederzeit - sei es die Spreicherung deiner E-Mail-Zugänge oder Handy-Ortung - dein Verhalten kontrolliert werden kann, passt du dich irgendwann dieser Überwachung an. Das hat mit freiem Denken und freien Menschen nichts zu tun.

ver.di PUBLIK | Hat nicht der 11. September 2001 alle Vorstellungen von Freiheit auf den Kopf gestellt? Wenn ein Innenminister Daten braucht, um Attentate zu vermeiden, kann ein Bürger sie ernsthaft verweigern?

MÜHLBERG | Das Thema Sicherheit und speziell die Bedrohung durch Selbstmordattentäter ist für uns alle wichtig. Doch die Frage ist, ob man selbst Hand an seine Demokratie legt, die man vor diesen Leuten schützen will. Sind solch gigantische Datensammlungen, die selbst Ziel krimineller Aktivitäten werden können, ein Ausweg? Wir brauchen andere Lösungen. Wir Otto-Normal-Verbraucher sind sonst Opfer, wir nutzen ein einfaches Handy oder ein simples Softwareprogramm. Wer etwas zu verbergen hat, spezialisiert sich, sorgt für Verschlüsselung.

ver.di PUBLIK | Verbraucher werden aufgefordert, nicht jedes Gewinnspiel, jede Rabattaktion mitzumachen. Andererseits soll staatliche Datenbevorratung akzeptiert werden.

MÜHLBERG | Man kann nicht alles auf den Bürger abwälzen. Wenn ich Joghurt oder Kleidung nur billiger bekomme, wenn ich meine Daten zur Verfügung stelle, bin ich in einer Zwangslage. Persönliche Daten dürfen nicht erpresst werden.

ver.di PUBLIK | Wo sind die Handlungsspielräume auf der politischen Ebene und auf betrieblicher Ebene?

MÜHLBERG | Wir müssen schauen, dass die Beschäftigten nicht lückenlos überwacht werden, dass sie sowohl im virtuellen als auch im physischen Bereich Freiräume haben. Das wäre in einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz zu verankern sowie in Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Betriebs- und Personalräte müssen geschult werden, damit Daten gar nicht erst erhoben werden, weder im technischen, noch im organisatorischen Ablauf. Da arbeiten wir mit den Technologie-Beratungsstellen zusammen, mit Datenschützern und Juristen. Und man muss das politische Bewusstsein wecken, bei Bürgern, Politikern und Beschäftigten. Ein Schritt dazu ist unser Berliner Manifest.

Interview: Petra Groll