90 Südafrikaner/innen klagen gegen 23 internationale Konzerne auf Entschädigung, weil sie das Apartheidregime unterstützten. Es geht darum, einen Präzedenzfall zu schaffen.

Johannesburg, November 2002: Südafrikanerinnen feiern die Zulassung ihrer Entschädigungsklage

VON ROMIN KHAN

Charles Abrahams wirkt zufrieden: "Wir sind heute in einer sehr viel stärkeren Position, als wir es noch vor ein paar Jahren waren. Damals, als wir das Verfahren anstrengten, hätte niemand für möglich gehalten, dass wir so weit kommen und noch sechs Jahre die Gerichte beschäftigen würden." Die ruhige und bedächtige Art, in der der schwarze Rechtsanwalt aus Kapstadt spricht, lässt kaum erahnen, dass er gerade eines der größten Gerichtsverfahren gegen internationale Konzerne, das es je gab, kommentiert. Ein Verfahren, welches in den vergangenen zehn Jahren nicht nur sein berufliches Engagement, sondern auch die Hoffnungen und Zukunftsaussichten von über 90 Klägerinnen und Klägern aus Südafrika bestimmte. Und zugleich die Rechtsabteilungen vieler internationaler Konzerne auf Trab hält.

Seit 2002 läuft in New York das Entschädigungsverfahren gegen 23 internationale Konzerne, die mit dem rassistischen Apartheidregime in Südafrika florierende Geschäftsverbindungen unterhielten. Die Liste der angeklagten Unternehmen liest sich wie ein Who is Who der internationalen Geschäftswelt. Neben US-amerikanischen und britischen Konzernen wie IBM, Shell und British Petroleum sind mit Daimler, Rheinmetall, der Commerzbank sowie der Deutschen und der Dresdener Bank auch führende deutsche Unternehmen angeklagt.

Ihnen wird vorgeworfen, direkt oder indirekt die Sicherheitsapparate des Apartheidsystems unterstützt zu haben. In der Anklageschrift wird minutiös aufgelistet, wie Daimler mindestens 2500 Unimogs an die südafrikanische Armee geliefert hat. Diese halfen dabei, die Aufstände in den Townships niederzuschlagen und die umliegenden Länder zu destabilisieren. Nachdem die Apartheid 1973 von der UN als "Verbrechen an der Menschheit" gebrandmarkt worden war, umging Daimler das gleichzeitig verhängte Waffenembargo und beteiligte sich an der südafrikanischen Firma ADE, die Dieselmotoren für Kriegsfahrzeuge herstellte. Der durch den Widerstand der schwarzen Bevölkerung und die internationale Isolation in die Krise geratene Apartheid-Staat fand in deutschen Unternehmen enge Verbündete. Besonders die deutschen Banken trugen mit ihren Anleihen und Krediten von mehreren Milliarden DM dazu bei, die Lebensdauer des weißen Regimes bis 1993 zu verlängern. Ein untrügliches Zeichen für die Vorreiterrolle der deutschen Banken ist deren übergroßer Anteil an den südafrikanischen Auslandsschulden, die bis zum Ende der Apartheid aufgenommen wurden. Die Streichung dieser "illegitimen Schulden" wird seit vielen Jahren von der "Internationalen Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika" erhoben. In Deutschland gehören der Kampagne Organisationen wie medico international an.

Sprich es aus!

Die Frankfurter Hilfsorganisation setzt sich seit ihrer Gründung 1968 für ein demokratisches Südafrika ein und hat die Geschäftspolitik der deutschen Unternehmen am Kap von Anfang an angeprangert. Laut den Berechnungen, die medico international zusammen mit Ökonomen durchführte, belaufen sich die Gewinne, die deutsche Unternehmen in Südafrika von 1971 bis 1993 erzielten, auf 4,3 Milliarden Euro: "Wir hatten nach dem Ende der Apartheid nicht von Beginn an vor, diese Profite juristisch anzufechten", sagt Anne Jung, die als Campaignerin bei der Nichtregierungsorganisation arbeitet. Doch es half nichts, auf den guten Willen der Unternehmen zu setzen. "Nach vielen Jahren, die wir den Prozess nun begleiten, bin ich zu der Einsicht gekommen, dass die Unternehmen kein Interesse haben, die illegitim erwirtschafteten Gewinne in den Aufbau eines demokratischen Südafrikas zu stecken. Es braucht juristischen Druck."

Seit den neunziger Jahren unterstützt medico international die südafrikanische Selbsthilfegruppe Khulumani Support Group, die treibende Kraft hinter der Entschädigungsklage. Der Name der Organisation steht für ihr wichtigstes Anliegen und bedeutet in der südafrikanischen Sprache isiZulu "Sprich es aus!". Ihre Mitglieder wollen nicht länger schweigende Opfer sein. Mittlerweile haben sich ihnen über 30000 Überlebende der Apartheidgewalt angeschlossen, davon 90 Prozent Frauen, die aus den ärmsten Schichten der Gesellschaft stammen. Eine von ihnen ist Maureen Mazibuko. Sie lebt in der Armensiedlung Phillipi am Rande Kapstadts. Hier dominieren Wellblechhütten das Straßenbild, kaum ein Bewohner verfügt über ein gemauertes Haus.

Frauen von Khulumani

Der 56-Jährigen sieht man auf den ersten Blick kaum den Schmerz an, den die Apartheid über sie gebracht hat. Doch in den 80ern, in der Hochphase der Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und dem Widerstand in den Townships, gab es selbst für das Leben in den Blechhütten keine Garantie. Weiße Polizisten machten mit dem Gewehr im Anschlag Jagd auf schwarze Jugendliche, Bulldozer zerstörten Blechhütten, die nach Ansicht des Regimes illegal errichtet worden waren. Maureen Mazibuko erinnert sich an das Jahr 1986: "Die Polizei und ihre lokalen Helfer zogen durch unser Viertel und zündeten unsere Wohnungen an. Wir mussten alles stehen und liegen lassen. Vor meinen Augen verbrannte mein Heim und mein gesamtes Hab und Gut."

Zusammen mit vielen Frauen, die gleiches erlebten, organisierte sie einen Protestmarsch in die Innenstadt von Kapstadt. "Wir sangen und weinten. Die Polizei prügelte auf uns ein. Dabei wurde mein Arm gebrochen." Infolge der fehlenden medizinischen Versorgung für die schwarze Bevölkerung zu Zeiten der Apartheid ist ihr Arm heute fast steif: "Ich bräuchte dringend Physiotherapie, kann mir aber die Behandlung nicht leisten." Es sind die Erfahrungen der Traumatisierung, der Polizeiwillkür und rassistischen Behandlung, die Maureen Mazibuko mit vielen schwarzen Menschen in Südafrika teilt. Und sie teilt die Erfahrung, dass der im Ausland viel gelobte Versöhnungsprozess nicht dazu geeignet war, die Würde dieser Opfer wiederherzustellen.

Ein Großteil der Opfer wusste nichts von den Fristen und Möglichkeiten, um Eingaben bei der Wahrheits- und Versöhnungskommission zu machen. Diejenigen wie Maureen Mazibuko, die es taten, hatten die Hoffung, dass ihre soziale Situation verbessert würde. "Wir haben nicht für Geld gekämpft. Aber die Anerkennung unseres Leids muss mit einer finanziellen Entschädigung einhergehen", sagt sie kämpferisch. Lange wartete sie auf die abschließende Zahlung von wenigen hundert Euro durch die zuständigen Behörden. Ihre Lage hat sich damit kaum verbessert.

Ihre letzte Chance

Als eine letzte Chance auf Gerechtigkeit stellt sich die Entschädigungsklage dar, der sich Maureen Mazibuko mit 90 weiteren Kläger/innen von Khulumani angeschlossen hat. Stellvertretend für die Opfer der Apartheid verlangen die Klagenden umfangreiche soziale Programme für den Wiederaufbau und die Entwicklung armer Gemeinschaften. Auch viele Beobachter inner- und außerhalb Südafrikas bewerten das Gerichtsverfahren als eine letzte Chance zur Aufdeckung der Zusammenarbeit zwischen internationalen Unternehmen und dem rassistischen Regime.

Warum dieses Verfahren in New York geführt wird, erklärt Rechtsanwalt Charles Abrahams: "In den USA existiert das Aliens-Torts-Claims-Gesetz, welches amerikanische Gerichte berechtigt, inländische und bei einer Niederlassung in den USA auch ausländische Unternehmen anzuklagen, die nationales oder internationales Recht verletzt haben." Dies ist durch den Bruch des UN Waffen- und Wirtschaftsembargos, den die Unternehmen begangen haben, unzweifelhaft der Fall.

Jetzt geht es darum, einen Präzedenzfall zu schaffen, um nicht weniger als sicherzustellen, dass internationale Unternehmen auch im Zeitalter der Globalisierung zur Verantwortung für ihre Firmenpolitik gezogen werden können: "Zwei Fliegen wollen wir bei dem Verfahren mit einer Klappe schlagen", erklärt Abrahams, "eine Entschädigung erwirken und menschenrechtliche Standards durchsetzen." Eine endgültige Entscheidung über den weiteren Fortgang des Verfahrens ist für nächstes Jahr zu erwarten.

Fortlaufende Infos unter:

www.medico.de/themen/vernetztes-handeln/apartheid