Ein Teufelsweib am Werk

It's A Free World | Wo immer es Veränderungen in der Arbeitswelt zu beobachten gab, Regisseur Ken Loach hat sie in einem Spielfilm eingefangen. Er war bei streikenden Hafenarbeitern, bei Bahnarbeitern kurz vor der Privatisierung, bei mexikanischen Einwanderern. Sein neuer Film It's A Free World widmet sich dem System der Zeit- und Leiharbeit und entlarvt es als die Spitze eines Berges aus Dreck: aus Menschenschmuggel, unverhohlener Ausbeutung und rein marktorientiertem Unternehmertum. Doch wo er sich stets in die Schuhe der Opfer stellte, sind die Rollen diesmal nicht so eindeutig verteilt.

Die attraktive Großstadtfrau Angie aus rechtschaffener Arbeiterfamilie hat eine ungeheure Energie, verliert aber einen Job nach dem anderen. Als sie auch aus der Agentur für Vermittlung von Gastarbeitern fliegt, beschließt sie, die Seiten zu wechseln. Mit ihrer Freundin macht sie sich selbstständig, um fortan selber die armen Teufel vor den Toren Londons an zwielichtige Unternehmen zu vermitteln. Natürlich nur, bis die beiden sich finanziell saniert haben, dann soll Schluss sein mit dem schmutzigen Gewerbe. Mit Angie hat Ken Loach eine seiner stärksten und widersprüchlichsten Frauenrollen entwickelt. Ihre Wandlung zur Geschäftsfrau, die das System erkennt und wild entschlossen für sich anwendet, zeigt die Schauspielentdeckung Kierston Wareing mit ihrer Stimme. Der Ton, in dem sie die Männer einteilt oder wegschickt, bekommt schon nach kurzer Zeit etwas Schneidendes und brutal Darwinistisches: Entweder - oder! So einfach ist man sie los in der Welt der Leiharbeit, die Moral und das Mitgefühl.

Es bleibt nicht bei der Vermittlung legaler Einwanderer. Die Versuchung ist zu groß, das Risiko allerdings auch. Als sich die Chefs eines Unternehmens mit den Firmengeldern davonmachen, können Angie und Rose ihre Arbeiter nicht mehr bezahlen. Starke Szenen sind das, wenn sie die aufgebrachten und bedrohlich wirkenden Männer versucht zu beruhigen. Eine Demonstration der Macht, die in Wirklichkeit keine ist. Denn die Situation spitzt sich weiter zu, und Angie, die Unternehmerin, muss einen hohen privaten Preis für ihre unternehmerische Freiheit bezahlen.

Das ist kein Wohlfühlfilm sozialen Widerstands. Hier tunkt man ein in die ganze Widersprüchlichkeit einer Existenz, die sich dem Spiel der freien Märkte ergeben muss. Angie ist Täter und Opfer zugleich. Ken Loach zeigt Sympathie und Verständnis für beide.

Jenny Mansch

GB/D/I/SP/ 2007, R.: Ken Loach; D.: Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek; L. 92 Min., Kinostart: 27.11.08


Mach doch, was du willst: 11 Kurzfilme zum Wandel der Arbeit | Mutti rechnet sich nicht mehr. Vater und Tochter haben einen Leistungsabfall von acht Prozent festgestellt. Deshalb habe man einen Sanierungsplan entworfen. Küche und Schlafzimmer werden geschlossen, ihr Auto ist bereits verkauft, sie selbst soll zur Schwiegermutter ziehen, bis das Familienunternehmen wieder schwarze Zahlen schreibt. Die kleine Satire war ein Ergebnis des Kurzfilmwettbewerbs. Thema: Zukunft der Arbeit. Phantasie-, aber auch angstvoll sind die Einsendungen geraten, darunter auch die große Filmidee im kleinen Format: Eine mobile Dienstleistungs-Eingreiftruppe verschönert und verbessert ungefragt drauflos, anschließend macht sie dem Kunden einen guten Preis. Das läuft wie meistens mit der Arbeitsuche. Mal klappt es, mal nicht.

JM

DVD, KURZFILMAGENTUR, 133 MIN., www.shortfilm.com/shop, 11 €


So viele Jahre liebe ich Dich | Juliette hat nicht aus niederen Motiven ihr einziges Kind getötet. Es müssen kaum vorstellbare, tragische Gründe vorgelegen haben. Philippe Claudel spannt uns lange auf die Folter, bringt die Auflösung erst ganz am Schluss. Das schürt Spannung, ist aber in diesem sensiblen Kammerspiel sekundär. Im Vordergrund steht die Beziehung zwischen Juliette und ihrer Schwester Léa, die sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis bei sich aufnimmt. Getragen wird der Film durch seine Hauptdarstellerin: Kristin Scott Thomas gelingt bei reduzierter Mimik und Gestik grandios die Wandlung von einer beharrlichen Schweigerin, die ausdruckslos ins Leere starrt, zu einer Frau, die allmählich wieder Lebensenergie spürt. Das geht unter die Haut!

KL

F 2008, R: Philippe Claudel, D: K. S. Thomas, Elsa Zylberstein, 115 Min. Kinostart: 13.11.