In der Allianz für den freien Sonntag arbeiten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit aktiven Christen zusammen

Maria Höflich auf der Hauptstraße in Fechenheim

Sonntag, Zeit zum Spielen. Abalone heißt das Denkspiel mit den dunklen und hellen Kugeln. Antonia möchte gegen Luzia gewinnen, schließlich ist Luzia erwachsen und Antonia erst sieben. Ein Sieg wäre zu schön! Ihre kleinen Brüder toben neben dem Spielbrett, das stört. So ist es eben am Sonntag, weiß Antonia. Mit einem Unterschied: Sie sind an diesem Herbsttag nicht zu Hause, sondern unter einem Zeltdach, draußen auf der Hauptstraße in Fechenheim. Leute schlendern vorbei. Luzia Goihl ruft einer Bekannten zu: "Heute genießen wir den Sonntag hier!" Sie gießt Kaffee aus der Thermoskanne nach. Freier Sonntag. Nicht für alle; es ist verkaufsoffener Sonntag in Fechenheim, einem Ortsteil von Frankfurt am Main, in dem 25000 Menschen leben.

Rund um die Uhr

In den letzten Jahren wurde in allen Bundesländern außer Bayern das Ladenschlussgesetz neu geregelt, auch in Hessen. Dort heißt es seit November 2006 "Ladenöffnungsgesetz" und erlaubt vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr, drei für die Innenstädte und einen für die Stadtteile am Rande. Fechenheim probiert es an diesem Herbsttag aus. Ab mittags kann man auf der Hauptstraße essen und trinken, Musik hören und einkaufen: Brot und Kuchen, aber auch Brillen, Lampen oder Möbel. Mittendrin trifft man auf den Stand der Frankfurter Allianz für den freien Sonntag: auf Luzia Goihl, Referentin der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde, Bernhard Schiederig, Leiter des ver.di-Landesfachbereichs Handel, und andere Unterstützer des freien Sonntags. Eine Unterschriftenliste liegt aus, langsam füllt sie sich. Wer unterschreibt, spricht sich gegen die "zunehmende Ausdehnung der Öffnungszeiten" und für freie Sonn- und Feier- tage in Hessen aus. Ein älterer Mann ist überzeugt: "Der Sonntag ist der siebente Tag der Woche, an dem man ruhen soll! Ist noch gar nicht lange her, da waren die Läden auch in der Woche nur bis halb sieben geöffnet - und wir sind auch nicht verhungert." Eine Frau fügt hinzu: "Man kann schließlich nicht mehr ausgeben, als man hat, und wenn die Läden noch so lange offen sind."

Maria Höflich kommt von einem Auftritt mit ihrem Chor. Sie kennt die Aktiven von der Allianz und unterschreibt "selbstverständlich", wie sie sagt. Müsste sie sonntags arbeiten, wo bliebe der Chor? Eine junge Frau bleibt am Stand stehen. Eigentlich liebt sie ihren Shoppingbummel. Sonntags hat sie mehr Zeit dafür - falls sie nicht selbst arbeitet. Sie ist Kellnerin.

Bernhard Schiederig kennt das Argument, schon jetzt müssten viele sonntags arbeiten - warum nicht auch Verkäuferinnen? Aber sollen immer mehr Menschen auf den freien Sonntag verzichten, nur weil Ärztinnen, Krankenschwestern, Köche, Busfahrer und viele andere rund um die Uhr gebraucht werden? Im Jahr 2006 arbeitete schon fast ein Drittel der Berufstätigen bundesweit an Sonn- und Feiertagen, und ihr Anteil steigt Jahr für Jahr. Ob das sein muss, fragt die Allianz. Für alle, bei denen Sonntagsarbeit unumgänglich ist, sollten die Arbeitszeitregelungen vielmehr umso genauer bedacht werden, damit auch für sie freie Wochenenden mit Chor, Fußball, Familie, Garten oder Nichtstun möglich sind. Die Kellnerin trägt sich trotzdem nicht in die Liste ein. "Aber ich überleg's mir noch mal."

Im September 2006 haben Vertreter/in-nen von ver.di und aus kirchlichen Einrichtungen die Allianz für den freien Sonntag gegründet, bundesweit. Ein Vorläufer - mit der Gewerkschaft HBV und kirchlichen Organisationen - war in Bayern schon seit Mitte der 90-er Jahre aktiv. Die Kirchen sind seither durch Organisationen aus der Arbeitswelt vertreten, die Katholische Arbeitnehmerbewegung, die Katholische Betriebsseelsorge, den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt und den Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen. Die Aktiven sind meist auch Gewerkschaftsmitglieder.

Allianz breitet sich aus

Für die Allianz ist klar: Der Sonntag ist kein Tag wie jeder andere. Unser Leben wird vom Sieben-Tage-Rhythmus geprägt, ob wir am Sonntag in die Kirche gehen oder nicht. Wir brauchen ihn als Tag der Ruhe, der Gemeinsamkeit, frei von Zeitdruck und Geschäftigkeit. Frei von der heimlichen Überzeugung "Nur wenn ich keine Zeit habe und unter Termindruck stehe, bin ich gut". Wir brauchen die Zäsur in der Woche auch als Zeitraum, an dem uns noch mehr einfällt, als in Geschäfte zu gehen - selbst in der Adventszeit, auch wenn es Spaß macht, andere zu Weihnachten zu beschenken. Und wir brauchen die Zäsur gerade in der Adventszeit, als Tag, an dem gesungen, gebacken, gequatscht, ausgeschlafen, Weihnachten geplant und geträumt werden kann. Wenn uns beim Stichwort Sonntag nur wieder Arbeit und Shoppen in den Sinn kommen, ist das kein gutes Zeichen.

Seit der Gründung der Allianz für den freien Sonntag entstehen immer mehr regionale Allianzen. Die jüngste bildete sich am 30. September in Leipzig. In Bayern bestehen schon 28 regionale Allianzen. Sie konnten ein neues, "liberaleres" Ladenschlussgesetz für das Land verhindern. Rita Wittmann von ver.di, beteiligt an den Bündnissen in Nürnberg und Erlangen, sagt: "In Nürnberg hieß es zuerst: "Wir brauchen keine solche Allianz". Aber wir brauchen sie unbedingt, denn in der Tarifrunde bleibt für diese Sonntagsfrage oft keine Zeit."

Die Frankfurter Allianz wurde - als erste in Hessen - zu Ostern 2008 ins Leben gerufen. In einem großen Einkaufszentrum in Frankfurt am Main war "Nightshopping" mit Feuerwerk und Lifemusik geplant. Ausgerechnet vor Karfreitag, sagten sich viele Christen und starteten einen Solidaritätsaufruf gegen die Osternacht des Einkaufens. Luzia Goihl war dabei. "Wir wollten von Anfang an viele Leute einbeziehen. Wir sagen auch gar nicht, wir brauchen den Sonntag für die Kirche. Wir brauchen ihn für die Familie, das ist es."

Dass die Allianz in Frankfurt von Kirchengemeinden initiiert wurde, ist für den Gewerkschafter Bernhard Schiederig kein Problem. Gerade war er vor dem 1. Adventssonntag zu einem Abend für den freien Sonntag in eine Kirche eingeladen. Er nutzt solche Gelegenheiten gern, um - wie er sagt - "den politischen Part zu übernehmen". Um darauf hinzuweisen, dass der Umsatz im Einzelhandel trotz längerer Öffnungszeiten im vergangenen Jahr in Deutschland nicht gestiegen, sondern leicht gesunken ist. Und um über die Situation der Verkäufer/innen als Betroffene zu informieren. "Die Sache mit dem Sonntag hat zwei Seiten", sagt er. "Die Kolleginnen wollen nicht abends und am Sonntag arbeiten. Aber ihre finanzielle Lage zwingt viele dazu, sie brauchen die Zuschläge und sagen deshalb zu, wenn der Chef sie fragt."

In Nürnberg sind zurzeit drei verkaufsoffene Sonntage pro Jahr erlaubt. Um zu verhindern, dass sich das noch ausweitet, betreibt die Allianz Öffentlichkeitsarbeit und redet mit Einzelhändlern. Von 15 Angesprochenen - Juweliere, Stempelhersteller, Inhaber von Schuhgeschäften und andere - haben 13 spontan für den freien Sonntag unterschrieben. Im Herbst, eine Woche vor der Landtagswahl in Bayern, malten die Aktiven von der Nürnberger Allianz eine Frage auf die Straße, in riesigen Buchstaben, in der Nähe vom Hauptmarkt: "Würden Sie gern öfter sonntags einkaufen?" Zum Ankreuzen. Die vorbereiteten Kästchen für 50 Kreuze hinter Ja oder Nein reichten nicht, so viel Zulauf hatte die Umfrage, so viele Kreuzchen wurden gemalt. Die Mehrheit bei Nein. Auch bei einer Befragung im Allgäu gaben 92 Prozent der Befragten an, sie wollten nicht am Sonntag einkaufen.

Freizeit per Gesetz

Sensibilität für das Thema zu schaffen ist auch in Frankfurt das erste Ziel der Allianz. Sie will darauf aufmerksam machen, dass sich das Freizeitverhalten verändert, wenn Familien und Freunde nicht mehr regelmäßig zur gleichen Zeit frei haben. "Wir werden auf Vereine zugehen und zur Solidarität auffordern. Und dann wollen wir Einfluss auf die Politik nehmen." Es geht um das Verbot von Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen, an Samstagen ab14 Uhr, am Vorabend von Feiertagen ab 18 Uhr. Das hessische Ladenöffnungsgesetz soll wieder geändert werden.

Wie bei den Römern

"Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." So steht es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 140, übernommen aus der Verfassung der Weimarer Republik von 1919. Jetzt soll der 3. März als Internationaler Tag des freien Sonntags überall durchgesetzt werden. Die Idee hatte Erwin Helmer von der Katho- lischen Betriebs?seel- sorge in Bayern, der auch ver.di-Mitglied ist.

Hintergrund: Am 3. März des Jahres 321 erklärte der römische Kaiser Konstantin, Richter, Stadtleute und Gewerbetreibende sollten am Tag der Sonne ruhen. Für 2009 wird zurzeit die 3. Internationale Zeitkonferenz geplant. An der 2. Zeitkonferenz nahmen 2008 Vertreter/innen aus elf Ländern teil.

www.allianz-fuer-den-freien-Sonntag.de