Aus der Krise Lehren ziehen - und die Unschuldigen schützen

Die Krisenmanager - ver.di-Veranstaltung mit Vertretern der Parteien

Von WOLFGANG ROSE

Im November 2007 waren die Propheten noch in Partylaune. 2008 werde "ein gutes Jahr", ließen die Wirtschaftsweisen wissen, der Sachverständigenrat warnte davor, den Konsolidierungskurs zu verlassen: Keinesfalls solle die Regierung die staatlichen Konsumausgaben steigern. "Kein Jahr des konjunkturellen Niedergangs" werde 2008, sondern ein "Jahr der Chancen", sagte der Hamburger Institutschef Thomas Straubhaar voraus. Heute bevorzugt der Wirtschaftsforscher die Sprache der Medizinmänner: "Ich hatte nicht erwartet, dass die Krise die Kreditmärkte so stark verseuchen und danach auch noch die Realwirtschaft anstecken würde." Die Krise sei "so schnell gekommen, dass sie mit unseren herkömmlichen Forschungsansätzen nicht identifizierbar war". DIW-Chef Klaus Zimmermann fragt nun, "ob es nicht besser wäre, auf die Veröffentlichung neuer Prognosen für eine Weile zu verzichten". Alle diese hoch honorierten Astrologen der Ökonomie sollten ihre Prognosen von damals noch einmal laut und ohne Hustenanfall in die Kameras der Comedy-Sender vorlesen und danach am besten abtreten.

Die Marktwirtschaft ist radikal und rücksichtslos ihren eigenen Gesetzen gefolgt - Helmut Schmidt nennt das "Raubtierkapitalismus". Und mit den Renditen wuchs die Fallhöhe. Die Ideologie des Neoliberalismus hat diesen Trend angefeuert, in Wirtschaft, Gesellschaft, Medien und Politik. Hoch bezahlte, verbeamtete Professoren belehrten in Talkshows die arbeitenden Menschen, sie lebten "über ihre Verhältnisse". Deregulierung und Liberalisierung der Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte, Privatisierung von Gesundheit, Bildung, Wohnen, Energie und Infrastruktur sowie ein globaler Steuersenkungswettlauf waren die Folge. Der Markt kann alles besser: Wer mitten in der Bereicherungsparty dieser These widersprach, galt als Fossil. Oder als Gewerkschafter.

Nun müsste klar sein: Die Wohlstandsversprechen des Neoliberalismus haben sich nur für wenige erfüllt, real wuchs die soziale Ungleichheit. Die ärmsten Nationen kämpfen ums Überleben. Abertausende von Arbeitsplätzen in den Industriestaaten werden liquidiert. Private Altersvorsorge wird zum Glücksspiel. Nicht nur Banken und Großkonzerne kollabieren, ganze Volkswirtschaften geraten in Existenznot. Das kapitalistische System erodiert - es beginnt, sich selbst in Frage zu stellen.

Wolfgang Rose

Es kann jetzt nicht darum gehen, das Finanzkasino neu zu tünchen und es mit staatlichen Garantien weiter zu betreiben. Es muss geschlossen werden. Die Kapitalmärkte müssen wieder ihrem Zweck dienen: Sie sollen Investitionen in der Realwirtschaft, im privaten Konsum unterstützen - kein globales Roulettespiel. Zum "Rettungsschirm" für die Banken gehört daher öffentliche Kontrolle. Sparkassen und Landesbanken müssen wieder allein dem Gemeinwohl dienen und nicht der Steuerflucht auf die Cayman-Islands. Hedgefonds und riskante Finanzprodukte sind einzugrenzen oder zu verbieten.

Die Wirtschaft ist für die Menschen da. Ein Grundsatz, der wieder gelten muss. Manche Fehler sind auch hausgemacht: der Absturz der Löhne, die extreme Exportlastigkeit und schwache Binnennachfrage, die gespreizten Einkommen und Vermögen, die öffentliche Investitionsschwäche. Niedrige Löhne sind das Zündholz der Krise. Die nun endende Aufschwungphase war historisch die erste, in der die Reallöhne nicht gestiegen, sondern um etwa vier Prozent gefallen sind. Noch stärker geschrumpft sind infolge der "Sozialreformen" die Transfereinkommen und Renten. Nur Schönredner bejubeln den "Beschäftigungsaufbau" - der hat sich nämlich zur Hälfte bei Zeit-, Leih- und Billig-Arbeit abgespielt. Die Lohnquote ist auf 64 Prozent gefallen, der niedrigste Wert seit den 60ern. Die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen aber stiegen in zehn Jahren um über 50 Prozent.

Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten. Der magersüchtige Staat muss zu einem handlungsfähigen Staat werden - auch durch gerechte Steuern, vor allem mit der Vermögenssteuer und einem höheren Spitzensteuersatz.

Wir brauchen jetzt den Mindestlohn, erst 7,50, später 9 Euro. Der Regelsatz nach Hartz IV muss rauf auf 420 Euro. Die Unternehmen müssen zur Qualifizierung verpflichtet und dabei unterstützt werden. Leiharbeit darf nicht mehr missbraucht, Öffentliche Unternehmen dürfen nicht privaten Gewinninteressen überlassen werden. Maßnahmen mit Perspektive müssen die "Massenvergabe" von Ein-Euro-Jobs ersetzen. Schützt die Unschuldigen dieser Krise! Auch, um das Vertrauen in die Wirksamkeit von Demokratie nicht zu erschüttern.

Hamburg ist in Gefahr. Die Wirtschaft hier ist dem globalisierten Kapitalismus radikal gefolgt - und seinen Risikofaktoren auch. Deshalb gucken Unternehmer und Politiker jetzt in einen besonders tiefen Abgrund. Denn Hamburg zeigt bundesweit auch die tiefste soziale Spaltung. Die öffentliche Investitionsquote sinkt seit Jahren. Hamburgs Regierung kümmert sich nicht um das Wesentliche.

Kraftakt statt Trippelschritte: Hamburg braucht ein Maßnahmenpaket. Mit einem 1,5-Milliarden-Investitionsprogramm müssen Arbeitsplätze gesichert und die Investitionsstaus beseitigt werden, etwa in den Schulen (über 3 Milliarden Euro), in Krankenhäusern (über 500 Millionen), im Wohnungsbau (Verdoppelung des Sozialwohnungsbaus), im Hafen (über 3 Milliarden). Nötig ist auch ein Ausgabenprogramm gegen die soziale Spaltung, um Bildungsbarrieren zu beseitigen, Armut zu bekämpfen, Kaufkraft zu stärken. Dass Mittel schnell beschafft werden können, zeigt die Elbphilharmonie.

Besonders nötig aber ist der Vorsatz, die Fehler kein zweites Mal zuzulassen. Für das Finanzkasino darf kein Platz mehr sein im Stadtplan einer solidarischen Gesellschaft. Zu irgendetwas muss diese Krise doch gut sein! Dieser Schaden macht viele ärmer. Im besten Fall macht er aber auch alle klug.

Wolfgang Rose ist landesleiter von ver.di hamburg