Peter Masuch, geboren 1951, seit Januar 2008 Präsident des Bundessozialgerichts (BSG). Einstufige Juristenausbildung In Bremen von 1972 bis 1978, anschließend für ein Jahr wissenschaftlicher Mitarbeiter am BSG. Danach Richter am Sozialgericht und Landessozialgericht in Bremen, unterbrochen von Aufenthalten als wissenschaftlicher Mitarbeiter erneut beim BSG und beim Bundesverfassungsgericht. 1996 der endgültige Wechsel als Richter ans BSG. Masuch ist verheiratet und Vater zweier mittlerweile erwachsener Kinder. Er lebt in Kassel.

VON HEIKE LANGENBERG

Als "letzten Gefallen" gegenüber den Gewerkschaften und der SPD bezeichnete der Spiegel die Ernennung Peter Masuchs zum Präsidenten des Bundessozialgerichts in Kassel Ende 2007. Es war die letzte Entscheidung, die der damalige Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) getroffen hat, bevor er sich für eine Weile aus der Politik zurückzog. "Diese Wertung berührt mich schon, sie erweckt den Eindruck, es gehe nur nach politischen Gesichtspunkten", sagt Peter Masuch. Er sei zwar Sozialdemokrat und ver.di-Mitglied, aber ausschlaggebend im Beruf sei im Endeffekt immer noch die Qualifikation gewesen. Und das eine müsse das andere ja nicht ausschließen. "An der Entscheidung habe ich keinen Zweifel", sagt er selbstbewusst. Bei aller Neutralität seines Amtes steht er zu seinen politischen Überzeugungen. Und wendet das, wie vieles in seinen Argumentationen, positiv: "Bei mir weiß man, woran man ist."

Als Richter ist für ihn nicht die eigene Einstellung ausschlaggebend, es gelten die Grenzen des Rechts. Das persönliche Empfinden liefere ihm zwar meist die erste These, wenn er als Richter an einen Fall herangeht, aber die überprüfe er dann präzise anhand von Gesetzen im Sinne einer verlässlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Er diskutiert sie mit den ehren- und hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen seines Senats. "Wir schauen nach Gleichbehandlung, überlegen, ob es einen Wertungsspielraum gibt, der andere Lösungen ermöglicht", sagt er. Das will er nicht als Kritik an den unteren Instanzen verstanden wissen, das Bundessozialgericht habe einfach mehr Zeit und mehr Richter, die sich mit den einzelnen Fällen beschäftigen. Zurzeit machen Klagen wegen der Hartz-Gesetze rund ein Viertel der Prozesse vor den deutschen Sozialgerichten aus. Sieht Masuch die Gerichte als Reparaturbetrieb für Versäumnisse des Gesetzgebers? "Unsere Aufgabe ist, die Gesetze auf den Einzelfall hin anzuwenden und nicht den Gesetzgeber zu kritisieren", sagt er. Da steht der Privatmann hinter dem Amt zurück. "Wir prüfen die Hartz-Gesetze sozialrechtlich, aber in politischen Fragen halten wir uns zurück." Äußert sich der 58-Jährige dennoch, gerät er in die Schlagzeilen. Wie im Frühjahr, als er sich dafür aussprach, dass Empfänger/innen von Arbeitslosengeld-II die Abwrackprämie nicht auf ihre Leistungen angerechnet werden solle. "Das habe ich ausdrücklich als Privatmann gesagt", sagt er, aber der verschwand in der Presse im Nu hinter dem Präsidenten des Bundessozialgerichts. Heute wiederholt er diese Äußerung nicht mehr, sagt diplomatisch, dass er dazu erst etwas sagen könne, wenn so ein Fall vom Bundessozialgericht entschieden worden sei. Eben ganz entsprechend der Neutralität des Amtes.

Dennoch hat er Wünsche. Weniger Gesetze, dafür verständlichere, und mehr Ruhe in der Gesetzgebung. "Dann wissen die Leute, woran sie sind." Denn gerade die Sozialgesetze werden seiner Meinung nach zu häufig geändert. Für ihn persönlich hat sich der Wunsch, soziales Engagement mit dem Beruf zu verbinden, erfüllt, sagt er rückblickend auf 30 Jahre Berufstätigkeit. Er sieht einen Anspruch aller Menschen auf eine kostenlose Sozialgerichtsbarkeit, schließlich ziehe der Staat die Menschen zu den Sozialkassen heran, da müsse er ihnen auch die Möglichkeit geben, deren Entscheidungen überprüfen zu lassen. "So war es zumindest einmal gedacht", sagt er mit Blick auf die Diskussion über Gebühren für die Sozialgerichte, die von meist unionsgeführten Bundesländern immer wieder mal aufgebracht wird. "Und nicht alles, was früher mal gedacht wurde, ist heute falsch", sagt Masuch, ganz neutral.

Ehrenamt statt Hobby

Die Wahl des Richterberufs ergab sich für ihn aus Zufällen und der Suche nach der eigenen Position. Er engagierte sich Ende der sechziger Jahre als Schulsprecher, wurde SPD-Mitglied. "Als politischer Mensch muss man extrovertiert sein", sagt er über sich. Wie er da im Anzug hinter dem Schreibtisch sitzt, merkt man von Extrovertiertheit nicht viel. Anderes ist geblieben: die Freude an der Diskussion, am Argumentieren, an der Auseinandersetzung mit den Argumenten anderer. Das war damals, in der Nachfolge der Studentenbewegung von 1968, nicht frei von vermeintlichen Widersprüchen. So entschied er sich als Juso zum Beispiel bewusst dafür, zur Bundeswehr zu gehen, "allerdings mit dem Anspruch einer demokratischen Armee". Die Diskussion darüber wurde in der ÖTV-Betriebsgruppe geführt, deswegen wurde er Gewerkschaftsmitglied.

Für das Studium der Rechtswissenschaften suchte er sich die gerade gegründete Reform-Universität in Bremen aus. Sie hatte den Anspruch, Wissenschaft im Dienste des Volkes anzubieten und bot den Studierenden zahlreiche Mitbestimmungsmöglichkeiten. Das gefiel ihm.

Der Beruf bestimmt sein Leben. Fragt man ihn nach seinen Hobbys, stutzt der sonst so Redelustige einen Augenblick. Er halte sich mit Schwimmen, Rad fahren und Laufen fit für sein Amt, das müsse sein. Aber Hobbys? "Mein Ehrenamt ist Hobby genug." Darüber halte er seine sozialen Kontakte, ebenso wie über seinen Beruf. Dieses Ehrenamt sind Vorstandsposten bei der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, sowohl auf Bundesebene als auch an seinem ehemaligen Wohnort Osterholz in Niedersachsen. "Es ist nicht nur Idealismus, man lernt auch viel über das Leben."

Ende 2007 war Masuch auch Vorsitzender des Richterrats, einer Art Personalrat für Richter. "Ich wechsele meine Rolle, aber nicht meine Werte", sagte er damals. Zu denen zählt er heute noch eine demokratische Justiz, Transparenz und eine gute Personalvertretung.

Schaut Peter Masuch von seinem Schreibtisch auf die gegenüberliegende Wand, fällt sein Blick auf ein schwarz-weißes Poster der amerikanischen Route 66 aus den fünfziger Jahren. Der Blick auf die Freiheit? "Nein", sagt er, "eher auf eine verpasste Chance." Die Reise war 1986 schon gebucht, da wurde seine Frau schwanger, das Ehepaar sagte die Reise ab. Ein Ziel ist es für ihn immer noch, aber kein drängendes. Stattdessen reist er nach Israel oder nach Russland, um dort mit Kolleg/innen über die verschiedenen Rechtssysteme zu reden.

Verpasste Chancen, so scheint es, gibt es nicht viele in seinem Leben.