Ein echt starkes Stück

VON CLAUDIA VON ZGLINICKI

Sie sind ausgeperrt, aber sie wollen zurück in die Klinik zu den Patienten – mit Tarifvertrag

Seit zwölf Wochen sind 36 Krankenschwestern und Pfleger der Lippischen Nervenklinik im nordrhein-westfälischen Bad Salzuflen ausgesperrt. Stehen vor der Tür, dürfen nicht arbeiten. Der Grund: Sie wollen einen Tarifvertrag. Darauf reagiert der Klinikeigentümer mit einem Mittel aus dem 19. Jahrhundert: Aussperrung. In seiner Klinik führt er vor, was möglich ist im Umgang mit Arbeitnehmer/innen. „Wenn sie nicht willfährig sind, stellt man sie in die Ecke. Es ist ein Skandal, dass jemand, der sich so verhält, überhaupt Mitglied in einem Arbeitgeberverband sein kann”, sagt Ellen Paschke vom ver.di-Bundesvorstand. Ein Exempel soll statuiert werden, wie man Beschäftigte unterkriegt. Ein Exempel, das über die Branche hinausreicht. Doch die Ausgesperrten da draußen geben keine Ruhe. Und ver.di auch nicht.

„Tarifvertrag – jetzt!” Der Chor der Streikenden ist stark. Weder der Regen noch die Kamera hinter dem Fenster der Klinikverwaltung stören sie. Bei jeder Aktion werden sie beobachtet, das kennen sie schon. Das soll sie einschüchtern. Sie tragen rote Jacken und die Anstecker „ver.di-Held der Arbeit”. Sie sind es, die seit dem 30. April streiken und seit dem 30. Juli ausgesperrt sind. Aber sie wollen wieder rein, zurück auf ihre Stationen, zu ihren Patienten.

Rund 115 Betten hat die Lippische Nervenklinik, eine Privatklinik mit Gerontopsychiatrie für alte Menschen, Akutstationen für Notfälle und anderen Sparten der Psychiatrie. Das Haus erfüllt einen öffentlichen Versorgungsauftrag. Die Verantwortung ist groß, auch für die rund 50 Pflegekräfte, die dort eigentlich arbeiten. In der Klinik haben derweil 24 Leiharbeitskräfte die Arbeit der Ausgesperrten übernommen, auch das fast ein Novum im Gesundheitswesen. Bisher hatte nur das Kreiskrankenhaus Leer im Mai und Juni 2008 Beschäftigte von Fremdfirmen als Streikbrecher eingesetzt. Auch damals forderten die Streikenden einen Tarifvertrag. Selbst wenn es ausgebildete Schwestern und Pfleger sind, die jetzt in Bad Salzuflen zum Einsatz kommen, können sie die 36 Ausgesperrten, in der Psychiatrie erfahren, nicht ersetzen. Seit Anfang 2008 sind fast alle Pflegekräfte der Lippischen Nervenklinik Mitglieder der Gewerkschaft. Sind eingetreten wegen der ständigen Auseinandersetzungen mit dem Geschäftsführer Alexander Spernau. Streichung des Weihnachtsgeldes, Kündigung der Altersvorsorge, schlechtere neue Arbeitsverträge. 250 bis 400 Euro weniger Gehalt als in anderen Krankenhäusern, immer weniger Personal und eine Atmosphäre von Druck und Missachtung. Selbst Mitarbeiter, die Gewerkschaften immer abgelehnt hatten, entschieden sich für ver.di. Im Januar 2008 fordern sie einen Tarifvertrag. An Aufbruchstimmung erinnert sich Stephanie Werzner, die Betriebsratsvorsitzende. Aber zu Verhandlungen mit ver.di und der Klinikleitung kam es nie. Bisher. „Im Frühjahr haben wir mit aktiven Pausen und Warnstreiks begonnen”, sagt Stephanie Werzner. „Der Chefarzt versuchte, Leute einzuschüchtern. Trotzdem streikten wir, erst tageweise, dann im Dauerstreik. Der Geschäftsführer hat in Einzelgesprächen Angebote gemacht, nur ganz wenige ließen sich ködern.”

Die Lage verschärft sich

Am 30. Juli werden die Streikenden ausgesperrt. Sie müssen ihre Schlüssel abgeben. Seitdem ziehen sie an jedem Werktag um die Klinik. Zu Verhandlungen kommt es nicht, selbst dem Landesschlichter sagt Alexander Spernau ein vereinbartes Treffen ab.

Von „drinnen”, aus der Klinik, hört man jetzt, nach zweieinhalb Monaten Aussperrung, dass die draußen vermisst werden. Dass die wenigen „alten” Fachkräfte überfordert sind ohne ihre Kollegen. Und die Lage verschärft sich. Am 12. Oktober zieht der Chef einer Leiharbeitsfirma, der öffentlich nicht genannt werden will, seine zehn Arbeitskräfte ab. Nach Wochen hat er offenbar festgestellt, dass seine Leute als Streikbrecher eingesetzt werden. Im Gegenzug hat Alexander Spernau diesen Leiharbeitern unbefristete Stellen gegeben, wie man in Bad Salzuflen erfährt. Auf diese Weise, so denkt man vermutlich in der Geschäftsführung, wird man die Ausgesperrten los. Doch die verschwinden nicht, bewerben sich nicht woanders, geben nicht klein bei, obwohl der Arbeitskampf schon so lange dauert. Obwohl alleinerziehende Mütter dabei sind, für die es auf jeden Euro ankommt. „Es geht uns gut, es geht uns schlecht”, sagt Stephanie Werzner. „Manchmal hat man so eine Wut im Bauch. Aber wir werden in die Klinik zurückkehren – mit einem Tarifvertrag in der Hand. Es geht ja nicht nur um uns. Wenn Spernau mit seiner Taktik durchkommt, hat das auch in anderen Kliniken Folgen. Dann dreht sich die Spirale weiter nach unten, werden auch dort schlechtere Verträge gemacht.” Das wollen sie verhindern. Sie halten durch. www.lnk-streik.de