Weg damit!

Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte | Der Kapitalismus ist böse und gehört abgeschafft. Profitieren könnte die Demokratie, die es in den USA in der uns bekannten Form nicht mehr gibt. Dort sind die Banken und Großkonzerne längst zu Politikflüsterern aufgewertet, um den Status Quo zu sichern: Dass nämlich ein Prozent der Bevölkerung mehr Reichtum besitzt als die restlichen 95 Prozent der Amerikaner zusammen. So dezidiert hat Filmemacher Michael Moore in seinen Vorgängerfilmen nie selbst Stellung bezogen. In ihnen hatte er sich auf seine propagandistische Weise mit einzelnen Phänomenen des kaputten Systems auseinandergesetzt: dem US-Waffengesetz, den Geschäften von George W. Bush oder dem Gesundheitssystem. In Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte rückt er nun dem großen Ganzen zu Leibe und erzählt die Geschichte unserer Wirtschaftsordnung als Liebesgeschichte, inklusive Betrug, Missbrauch, Verrat.

Moore ist hier auf dem Höhepunkt seiner dramaturgischen Kunst der Montage alter Film- und Fernsehausschnitte, von historischem Material und aktuellen Aufnahmen seiner Crew. Dazu erzählt er in polemisch-komödiantischem Plauderton, wie alles begann und alles endet: Wie Banken die Leute dazu zu brachten, ihr Haus zu verschulden, das ihnen bereits gehörte. Wie das Versprechen missbraucht wurde, das mit den Verheißungen des Kapitalismus einherging: das Verfolgen des Glücks. Wie schon Roosevelt alte Werte gesetzlich verankern und sichern wollte: Lohn, der zum Leben reicht, Bildung, Gesundheit. Und wie unerbittlich am Ende nach den am Boden Liegenden getreten wird vom einstigen Partner Kapitalismus. Denn der kündigt die Liebesbeziehung zum Menschen einseitig auf, sobald er ihn nicht mehr braucht: Mit Zwangsvollstreckungen im Sekundentakt; mit „Tote-Bauern-Versicherungspolicen“, da es Unternehmen erlaubt ist, Lebensversicherungen auf ihre Angestellten abzuschließen, mit sich selbst als Begünstigte. Oder mit dem, was im Film sogar eine republikanische Abgeordnete einen „finanziellen Staatsstreich“ nennt, der kurz vor der Präsidentschaftswahl 2008 stattgefunden hat: Der immense Druck, den Goldmann-Sachs-Banker auf die Regierung ausübten, um nach dem Finanzcrash an die leckeren Milliarden der Steuerzahler zu kommen. Auch diesen Film schneidet Moore bewusst manipulativ und steuert die Gefühle des Zuschauers in die gewünschte Richtung. Den Gewerkschaften kann’s recht sein. Zum ersten Mal fordert Moore dazu auf, Genossenschaften zu gründen und sich massenhaft den Arbeitnehmervertretungen anzuschließen. So gäbe es vielleicht doch noch ein Happy End für die Demokratie. Jenny ManschDOKU, USA 2009, R: MICHAEL MOORE. KINOSTART: 12.11.


Die Anwälte | Lang ist’s her, da solidarisierten sie sich als Anwälte der linken außerparlamentarischen Opposition: Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Horst Mahler. Ein Schlüsselfoto zeigt die Freunde 1972 in einem Berliner Gerichtssaal: Mahler, der versucht hatte, der RAF Waffen zu besorgen, sitzt auf der Anklagebank, Schily und Ströbele verteidigen ihn. Über 30 Jahre später begegnen sich Mahler und Schily vor Gericht wieder, diesmal jedoch auf gegnerischen Seiten: Schily, inzwischen Bundesinnenminister, will die NPD verbieten lassen, Mahler, inzwischen überzeugter Nazi-Anwalt, unterstützt die rechtsextreme Partei. Birgit Schulz ist das nahezu Unmögliche gelungen: die drei Männer, die bislang jedes Filmprojekt ablehnten, über ihre gemeinsame Vergangenheit und unterschiedliche Entwicklung zum Reden zu bringen. Herausgekommen ist ein wertvolles zeitgeschichtliches Dokument, das bewegt und nachdenklich stimmt. kl

D 2009. R: BIRGIT SCHULZ. MIT OTTO SCHILY, HANS-CHRISTIAN STRÖBELE UND HORST MAHLER. 90 MIN. START: 19.11.


Stille Hochzeit – Zum Teufel mit Stalin | Ein verspotteter Bürgermeister, der vergeblich für den Eintritt in die kommunistische Partei wirbt, ein Liebespärchen, das von seinen strengen Vätern zur schnellen Heirat gedrängt wird, bizarre, schräge Gestalten und lächerliche Rotarmisten: Originell, absurd und poetisch kommt dieses filmische Kleinod aus Rumänien daher, dessen Charaktere realen Personen nachempfunden sind. Der Festschmaus wartet schon auf sie, da heißt es plötzlich: Genosse Stalin ist tot, alle Feiern sind ab sofort abzublasen. Die fantasiebegabten Leutchen aber setzen heimlich das Bankett fort. Schließlich haben die Rumänen auch in Zeiten der Diktatur nie ihren Humor verloren. Natürlich muss alles lautlos über die Bühne gehen: Das klappernde Silberbesteck wird eingesammelt, die Musikkapelle vollführt geräuschlos eine Pantomime. Das sind noch nicht alle Pointen einer hinreißenden Burleske, die wechselweise an Fellini, Kusturica und Samuel Beckett erinnert. klRUMÄNIEN / LUXEMBURG / FRANKREICH 2008, R: HORATUIU MALAELE, D: MEDA VICTOR, ALEXANDRU POTOCEAN, DORU ANA, U.A. 87 MIN., START: 26.11.