Ausgabe 12/2009
Sehen
Von Jenny Mansch |Sehen
Zwei Schlüpper in Amerika
Friendship! | Was passiert, wenn kurz nach dem Mauerfall Ost und West nicht nur ungebremst aufeinander treffen, sondern dies auch noch ohne nennenswerte Kenntnisse des anderen Kulturkreises geschieht? Im günstigsten Fall wird daraus eine Komödie wie diese; eine einfach gute Geschichte zum Lachen, Weinen und – ja – durchaus auch zum Nachdenken.
Kaum hat Schabowskis Zettel den Weg freigegeben, machen sich Draufgänger Tom (Mathias Schweighöfer) und Veit (Friedrich Mücke) mit Anfang 20 auf den Weg. Ihr Ziel ist Amerika, der goldene Westen, wo die Freiheit gebratenen Tauben gleich herumschwirrt. Mit derlei Klischees, je drei Schlüppern und ihren in der DDR selbst gedrehten Super-8-Horror-Filmen im Gepäck legen sie zusammen und wollen zur Golden Gate Bridge, dem „westlichsten Punkt der Welt“, wie Veit schwärmt.
Oliver Ziegenbalg, ein Wessi, hat das Drehbuch zu diesem DDR/USA-Roadmovie geschrieben, nach den Erzählungen von Produzent Tom Zickler (Keinohrhasen), einem Ossi. Der war es nämlich, der mit seinem besten Freund damals wirklich losgefahren ist, um dort jene Dinge zu erleben, die, wie man so schön sagt, kein Drehbuch hätte besser erfinden können. Gerade aus dieser interessanten Personalie aber schöpft der Film sein komisches Potential: Ein Westdeutscher lässt zwei Ostdeutsche ihre und natürlich auch seine Klischees über West wie Ost aufeinanderprallen. Das ergibt einen Clash der Kulturen in seiner historisch verwurschtelsten Form. Eine fiktiven Rahmenhandlung bindet den Sack zu und gibt der Geschichte durchaus einen gewissen Tiefgang.Wie jeder Individualreisende erleben die beiden Freunde in Amerika die dollsten Dinge, die halt nur mal jemand verfilmen musste. Das Geld der beiden reicht gerade für New York, wo sie sich bei der Einwanderung als „freie Kommunisten“ vorstellen. Für eine zottelige Bikerbande sollen sie einen Ami-Schlitten zum Bruder nach Kalifornien überführen, aber bloß nicht den Kofferraum öffnen! Der Zwang, Geld zu verdienen, lässt sie unterwegs ihre Super-8-Filme in Redneck-Kneipen aufführen, vermeintliche Brocken aus der Mauer verhökern und schließlich als „Leningrader Hengste“ in einem Schwulen-Strip-Club auftreten – mit Russenuniformen aus dem Fundus.Eine Frau, einen ausgeschlagenen Zahn und eine magische Filmvorführung mit alten Impressionen aus der DDR später landen die beiden schließlich am Ziel, San Francisco. Wo Veit in Wahrheit nur hin wollte, um seinen Vater zu finden, der vor Jahren rübermachte und seitdem zum Geburtstag Karten aus San Francisco schreibt. Hier, auf der Golden Gate Bridge, füllt sich der ausgehöhlte Gruß Friendship! für die beiden mit wahrem Leben. Jenny ManschD/USA 2009, R: MARKUS GOLLER, D: M. SCHWEIGHÖFER, V. MÜCKE, A. BACHLEDA K: UELI STEIGER; 108 MIN., KINOSTART: 14.1.10
Die Schachspielerin | Ein zärtlich flirtendes Paar auf der Hotelterrasse in Korsika beim Schach. Hélène, die es beim Zimmermachen beobachtet, ist so fasziniert, dass sie selbst das Spiel erlernen will. Sie schenkt ihrem Mann einen Schachcomputer, schlägt sich daran die Nächte um die Ohren, studiert Bücher und lässt sich von einem verschrobenen Intellektuellen unterweisen. Man fiebert mit ihr mit. Wie weit wird sie es bringen? Wie entwickelt sich die prickelnde Beziehung mit dem Lehrer? Caroline Bottaro erzählt von einer wunderbaren Emanzipation: Ihre Heldin erkämpft sich gegenüber ihrer Besitz ergreifenden Familie Freiräume für ihre Passion, lässt sich auch vom Dünkel der sie belächelnden Oberschicht nicht entmutigen. Am Ende managt sie sogar, wie ihre arrivierte Hauptdarstellerin Sandrine Bonnaire, die ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie kommt, einen respektabeln gesellschaftlichen Aufstieg. So unspektakulär diese leise Geschichte auch klingen mag: Sie ist erotisch und spannend wie ein Krimi! kl
F/D 2009. R: CAROLINE BOTTARD. D: SANDRINE BONNAIRE, KEVOIN KLINE, FRANCIS RENAUD, 97 MIN., KINOSTART 7.1.10
Fame | 29 Jahre später ist die Welt nicht mehr dieselbe. In der New Yorker High School of Performing Arts aber hat sich erstaunlich wenig verändert: Wie im Original von 1980 haben die jungen Tänzer, Sänger und Schauspieler auch in diesem Remake von Fame erste Enttäuschungen zu verdauen, frühe Triumphe zu verarbeiten und die erste Liebe zu durchleiden. Doch im Gegensatz zur ersten, Oscar-prämierten Auflage des Musicals von Alan Parker wirkt die neue Version blutleer und oberflächlich. Dem ehemaligen Videoclip-Regisseur Kevin Tancharoen gelingen in seinem Spielfilmdebüt dank attraktiver Darsteller einige hübsche Bilder, aber er scheitert daran, den vielen verschiedenen Figuren Leben einzuhauchen. Die Charakterzeichnung bleibt rudimentär, die Erzählstränge versanden regelmäßig und auch die neuen Songs haben nicht das Potential der alten Melodien. Kein Hit in jeder Beziehung, diese Neufassung. toUSA 2009, R: KEVIN TANCHAROEN, D: ASHER BOOK, KRISTY FLORES, PAUL IACONO, NATURI NAUGHTON U.A., 107 MIN., KINO-START: 24.12.09
Soul Kitchen | Das Ganze ist kompliziert. Und wird noch komplizierter: Zinos hat nicht nur ein Restaurant, das nicht so richtig läuft, eine Freundin, die nach Shanghai auswandern will, und einen Bruder, der gerade aus dem Knast kommt, sondern nun auch noch einen kaputten Rücken, Ärger mit Immobilienspekulanten und Probleme mit dem Gesundheitsamt. Zielstrebig lässt Regisseur Fatih Akin (Gegen die Wand) in dieser Hamburger Heimatkomödie mit tragischen Zügen sein pittoreskes Personal auf die allumfassende Katastrophe zusteuern, ohne aber auf ein Happy End verzichten zu wollen. Dieser Spagat gelingt, weil Soul Kitchen im Laufe seiner weitgehend kurzweiligen 99 Minuten immer mehr märchenhafte Züge annimmt, zugleich aber auch ein Stück bundesdeutsche Realität abbildet: Gerade dadurch, dass der Migrationshintergrund fast aller Figuren keine dramaturgische Rolle mehr spielt, feiert Akin ein multikulturelles Deutschland als Normalität. toD 2009, R: FAITH AKIN, D: ADAM BOUSDOUKOS, MORITZ BLEIBTREU, BIROL ÜNEL, PHELINE ROGGAN U. A., 99 MIN., KINO-START: 25.12.09