Ein Tag zum Anstreichen im Kalender: 26. März 2010 - der dritte Equal Pay Day in Deutschland. Die Ziele: endlich gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit, noch mehr Öffentlichkeit, noch mehr Druck auf Unternehmen und Politik.

von Claudia von Zglinicki

Hedy Quirin und die anderen ver.di-Frauen kämpfen mit der Materie. Die langen Tapetenbahnen auf der Straße auszurollen, ist schwierig an diesem windigen 8. März, dem Internationalen Frauentag, in Saarbrücken. Sie müssen das Papier schließlich festkleben. 100 Meter misst die eine Bahn, 77 die andere. Ein Mann versteht erst nicht, was auf dem Papier zu lesen ist. Dann schüttelt er ungläubig den Kopf. 100 Meter Papierbahn für den Mann, 77 Meter für die Frau. Das heißt: Wenn er 100 Euro verdient, bekommt sie für gleichwertige Arbeit nur 77. Volle 23 Prozent weniger. So ist es in Deutschland; damit findet sich das Land ganz hinten in der europäischen Statistik, nur sechs der 27 EU-Staaten lassen einen noch höheren Abstand, den Gender Gap, zwischen Frauen und Männern zu. Mehr als peinlich für ein hochentwickeltes Industrieland im 21. Jahrhundert, hart für die Frauen, die weniger verdienen - nicht nur weil sie öfter in Teilzeit arbeiten (müssen), weil sie in gesellschaftlich immer noch unterschätzten "Frauenberufen" stecken und es zu wenig Kinderbetreuung gibt, sondern weil in der Praxis auch für gleiche - nicht nur gleichwertige - Arbeit gern weniger gezahlt wird, wenn eine Frau den Job hat. Darum geht es auch bei der Aktion in der Saarbrücker Fußgängerzone, die schon vor dem eigentlichen Equal Pay Day 2010 stattfand.

Der fällt in diesem Jahr auf den 26. März, das ist noch ein Tag später als 2009. Bis zu dem Datum müssen Frauen über Silvester hinaus arbeiten, um die Summe zu verdienen, die die Männer schon am Jahresende bekommen haben. In ein paar Jahren könnte der Tag für gleiche Bezahlung schon im Januar stattfinden - und irgendwann ganz überflüssig sein. "Dafür muss eigentlich jede was tun", findet Hedy Quirin. Die frühere Redaktionsassistentin beim Saarländischen Rundfunk ist zwar schon seit zwölf Jahren in Rente, das heißt aber nicht, das Thema ginge sie nichts an: "Ich hab doch Kinder und ein Enkelkind. Und auch wenn ich die nicht hätte, wäre gleicher Lohn mir wichtig. Es betrifft uns alle!" Als die Tapetenbahnen wieder eingerollt sind, ist Hedy Quirin durchgefroren. "Egal", sagt sie, "wir müssen immer wieder auf uns aufmerksam machen".

In Berlin bauen ver.di und der Sozial-verband Deutschlands am 26. März einen gemeinsamen Infostand am Potsdamer Platz auf. Die Frauenpolitikerinnen aus der Bundesverwaltung hoffen auf viel Zulauf, wollen sie doch eine Menschenkette bilden, gemeinsam mit all denen, die sich am Brandenburger Tor treffen. Dorthin lädt der Deutsche Frauenrat ein, ab zwölf Uhr mittags. Von beiden Seiten können sie dann losgehen, sich in der Mitte treffen - und Aufsehen erregen.

Noch im vorigen Jahr waren manche Aktive bei ver.di skeptisch: Ein neuer Aktionstag - und danach herrscht wieder Stille um das Thema? "Aber so ist es nicht", sagt Alexa Wolfstädter aus der ver.di-Bundesverwaltung. "Wir dürfen als Organisation an einem solchen Tag einfach nicht fehlen, und viele ver.di-Frauen waren ja auch schon im vorigen Jahr dabei."

Zum Beispiel die Bremerinnen mit ihrer überdimensionalen roten Tasche - dem Symbol für die roten Zahlen im Portemonnaie der Frauen - auf dem Marktplatz und mit der "Unhappy Hour", in der weibliche Gäste in vielen Kneipen und Cafés 23 Prozent weniger für ihren Kaffee zahlen mussten. Ein Tag der witzigen Ideen. Viele Interessierte meinen, es sei längst Zeit, dass es Aktionen für die gleiche Bezahlung gebe, berichtet Almut Schmidt, die in Bremen ehrenamtlich bei ver.di und im Netzwerk berufstätiger Frauen (BPW) aktiv ist.

"In das inzwischen riesengroße Bündnis bringen wir unsere Prioritäten ein: die Tarifpolitik und die Arbeit betrieblicher Interessenvertretungen", sagt Alexa Wolfstädter. "Aber wir haben keinen besonderen Tag gebraucht, um auf die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern aufmerksam zu werden, bei ver.di nicht und auch nicht bei den Vorgängerorganisationen."

Anfang der 90er Jahre fingen Frauen in der ÖTV an, ihre Tarifverträge genauer zu untersuchen. Sekretärinnen, Reinigungskräfte und andere Frauen aus unterschiedlichen Berufen im öffentlichen Dienst, die schon lange das Gefühl hatten: Irgendetwas stimmt nicht. Vieles, was wir tun, spiegelt sich in den Tarifverträgen nicht wider. Wieso bekommt die Reinigungsfrau weniger Lohn als der Gebäudereiniger? Das war der Auftakt für die "Kampagne zur Aufwertung von Frauentätigkeiten und Entgeltgleichheit". Mitte der 90er Jahre lag das Gutachten vor, das die ÖTV in Auftrag gegeben hatte. Es zeigte, dass es diskriminierende Elemente in den Tarifverträgen gab und soziale Kompetenz überhaupt nicht berücksichtigt wurde.

"Die Quintessenz war", sagt Wolfstädter, "dass künftig alle Tätigkeiten nach denselben Kriterien zu bewerten sind, egal in welchem Bereich. Diese Kriterien müssen vorher diskriminierungsfrei definiert werden und alle Anforderungen an die jeweilige Arbeit erfassen". Ansprüche, die den heutigen Forderungen des Europäischen Gerichtshofs nach diskriminierungsfreier Bewertung von Arbeit entsprechen. Bei der ver.di-Gründung wurde dann beschlossen, Gendermainstreaming - das selbstverständliche, quasi automatische Berücksichtigen der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern - in die Tarifpolitik einzuführen, Tarifverträge ohne Diskriminierung durchzusetzen. Damit war das "Frauenthema" zum Gegenstand der Tarifpolitik geworden. "Seitdem ist es nicht mehr die Spielwiese von Frauen, die rummeckern", sagt Alexa Wolfstädter. "Nun müssen noch alle begreifen, dass es auch kein Schönwetterthema ist".

Frau Sisyphos am Werk

Den Skandal der ungleichen Bezahlung ins Bewusstsein vieler Leute zu rücken - darum geht es Bärbel Illi, ver.di-Frauensekretärin im Bezirk Stuttgart: "Das ist das zentrale Thema für die ehrenamtlichen Frauen bei uns, auch für Frauen außerhalb der Gewerkschaft, nur für manche Tarifpolitiker ist es noch nicht so wichtig."

Dass der Bäcker mehr Euro kriegt als die Bäckerin, verblüfft viele. Um das prinzipiell zu ändern, sei noch viel Arbeit nötig, meint Alexa Wolfstädter. "Da brauchen wir den Druck der Öffentlichkeit auf die Arbeitgeber, damit sie gar nicht mehr anders können als sich zu bewegen." Es geht um transparente Tarifsysteme, den gesetzlichen Mindestlohn, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Um gesetzliche Regelungen, die die Tarifparteien zwingen, Verträge auszuhandeln, die Frauen nicht länger benachteiligen. Und schließlich auch um Entschädigungen für Betroffene, die denen wehtun, die sie zahlen müssen. Eine Sisyphos- Arbeit, sagt Alexa Wolfstädter. Zäh und mühevoll. Aber erfolgreich, daran lässt sie keinen Zweifel.

Am 26. März sind Hedy Quirin und die anderen ver.di-Frauen aus Saarbrücken mit ihren Tapetenbahnen in Dillingen. Wer sie dort besuchen will, ist herzlich eingeladen. Es wird bundesweit hunderte von Veranstaltungen geben.


ver.di-Frauen (vorn Hedy Quirin) trotzen dem Wind

Ein Tag wie kein anderer

1988 wurde der Tag für gleiche Bezahlung als "Red Purse Campaign" (Aktion rote Handtasche) in den USA initiiert. 2008 fand er in Deutschland zum ersten Mal statt - auf Initiative des Netzwerks Berufstätiger Frauen (Business and Professional Women / BPW) mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Seit 2009 wird der Tag von einem breiten Bündnis veranstaltet, zu dem auch der DGB zählt, seit 2010 ruft ver.di zur Teilnahme auf.

In Deutschland nahmen 2008 rund 6000 Frauen und Männer an 40 Aktionen in 25 Städten teil, 2009 waren es schon mehr als 65000 Menschen bei 190 Veranstaltungen in 120 Orten. In diesem Jahr werden mehr als 230 Teams (Stand Anfang März) Aktionen veranstalten. So steht die Veranstaltung des Regionalbündnisses in München unter dem Motto "Marienplatz sieht rot", in Stuttgart planen die ver.di-Frauen um 16 Uhr 05 einen Flashmob auf der Schlossplatztreppe, in Bremen werden neben vielen anderen auch die Stelzenläufer wieder dabei sein. In Hannover veranstalten Frauenverbände und Gewerkschaften die Konferenz "Fair p(l)ay - Spielregeln für Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt".

Weitere Infos auf den Websites: www.frauen.verdi.dewww.equalpayday.dewww.bpw-germany.dewww.sovd.de