EINZELHANDEL | Lidl befürwortet einen Branchenmindestlohn - sagt aber nicht, in welcher Höhe

MARGRET MÖNIG-RAANE ist stellvertretende ver.di- Vorsitzende

ver.di PUBLIK | Die Geschäftsleitung des Discounters Lidl hat kürzlich wissen lassen, dass sie einen Mindestlohn im Einzelhandel befürwortet. Was ist davon zu halten?

MARGRET MÖNIG-RAANE | Ich begrüße grundsätzlich jeden Vorstoß, der dazu beitragen kann, den freien Fall der Einkommen im Einzelhandel zu begrenzen. Dabei denke ich insbesondere an die nicht tarifgebundenen Unternehmen, bei denen vielfach offensichtlich keinerlei Hemmungen mehr bestehen im Unterbietungswettkampf bei Löhnen und Gehältern der Beschäftigten. Insofern ist auch der Lidl-Vorschlag interessant - allerdings hat die Lidl-Geschäftsführung bisher nicht gesagt, wie hoch ein Mindestlohn denn ihrer Meinung nach sein sollte. Und das ist ja eine ganz wesentliche Frage.

ver.di PUBLIK | Aber doch eine kleine Wende zum Besseren beim Discounter Lidl?

MÖNIG-RAANE | Lidl selbst ist tarifgebunden. Das ist gut. Aber: Nach wie vor scharf zu kritisieren ist, dass es dort bislang nicht einmal einen Ansatz einer Unternehmenskultur gibt, in der die Gründung von Betriebsräten selbstverständlich wäre oder gar gefördert würde. Das muss sich ändern, als eine klare Konsequenz aus der Vergangenheit, in der Beschäftigte sogar einfach vor die Tür gesetzt wurden, also rausgeflogen sind, nur weil sie einen Betriebsrat gründen wollten. Wenn sich das ändern würde, dann hätten wir eine wirkliche Wende zum Besseren.

ver.di PUBLIK | Immer wieder ist auch von überlangen Arbeitszeiten und unbezahlten Überstunden bei Lidl zu hören.

MÖNIG-RAANE | Leider gibt es ja noch immer nur vereinzelt Betriebsräte in dem Unternehmen. Sehr vereinzelt. In den 3 000 Lidl-Niederlassungen sind es gerade einmal sieben Betriebsratsgremien. Nun sind aber die Mitsprache bei Fragen der Arbeitszeitgestaltung, die Bezahlung von Überstunden oder von Zuschlägen, kurz, sicherzustellen, dass Tarifverträge auch eingehalten werden und die Beschäftigten ihr Geld bekommen, die klassische Aufgabe von Betriebsräten.

ver.di PUBLIK | Der Arbeitgeberverband, der Einzelhandelsverband HDE, hat unlängst über die Presse angekündigt, es werde bis zum nächsten Jahr eine Einigung mit ver.di über einen Branchenmindestlohn geben? Ist das absehbar?

MÖNIG-RAANE | Na, erst einmal freu ich mich, wenn der HDE seinen Willen bekundet, das bis zum neuen Jahr unter Dach und Fach zu bekommen. Die Idee ist, dass wir einen neuen Entgelttarifvertrag und gleichzeitig damit einen Branchenmindestlohn vereinbaren, der für allgemeinverbindlich erklärt wird. Leider hätte das einen gravierenden Schönheitsfehler: Weder die Leiharbeiter/innen noch die so genannten Werkvertrag-Arbeitnehmer/innen aus Fremdfirmen, die zum Beispiel zum Packen der Ware angeheuert werden, würden davon erfasst. Eine Lösung wäre die Aufnahme in das Entsendegesetz.