Bauernsterben in Bollywood

Live aus Peepli – Irgendwo in Indien | Eigentlich ist es ein Drama: Allein in dem Jahrzehnt zwischen 1991 und 2001 haben acht Millionen Bauern in Indien Haus und Hof aufgeben müssen. Sollten einst die Zahlen für die folgenden zehn Jahre bis 2011 stehen, dürften es mindestens genauso viele Bauern sein. Und nicht wenige von ihnen geben gleich auch noch ihr Leben auf, bringen sich vor lauter Scham und Verzweiflung um, weil sie ihre Familie nicht mehr ernähren können. Wer einmal durch Indien reist und Zeitung liest, kann jeden Tag mehrfach von solchen Tragödien lesen. Die Zeitungen landesweit sind voll davon.Aber Indien wäre nicht Indien, wenn es der Problematik nicht auch etwas Absurdes abgewinnen könnte. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, bis das Bauernsterben die Bollywood-Filmstudios erreichen würde. Aamir Khan, selbst ein Bollywood-Filmstar, der 2002 mit dem Film Es war einmal in Indien – Lagaan für den Oscar nominiert war, hat mit seiner eigenen Produktionsfirma daraus eine Tragikomödie gemacht, die sehr viel mehr komisch als tragisch ist. Der Bauer Natha soll sein Land verlieren, weil er die Hypothek darauf nicht mehr leisten kann. Mutter und Ehefrau zetern, was das Zeug hält, nur der bei ihnen lebende Bruder versucht noch zu helfen. Ein Programm, das Bauernfamilien unterstützt, wenn der Ernährer verstirbt oder sich umbringt, soll helfen. Ein kleiner Lokalreporter bekommt zufällig mit, wie die Brüder ausknobeln, wer sich das Leben nehmen soll. Und schon rollt die Medienmaschine. Alsbald ist Nathas Dorf von Übertragungswagen aller möglichen TV-Sender überfüllt, um seinen Selbstmord noch zu verhindern – oder live zu übertragen.Der Film hält diese Spannung bis zum Schluss und schafft es dabei ganz elegant, noch etliche Seitenhiebe gegen die korrupte indische Politikerkaste auszuteilen. Auch der US-Saatguthersteller Monsanto, der tatsächlich für die ganze Misere der indischen Bauern verantwortlich ist, wird mal eben an den Pranger geheftet. Dieser geglückte Mix und die auch in Indien mehr oder weniger unbekannten Schauspieler/innen sorgen von Anfang bis Ende für beste Unterhaltung. Und dass das alles ohne Tanzeinlagen geht, beweist dieser Film auch. Dafür ist die Filmmusik so traditionell wie genial und die Kameraführung geradezu gewagt. Wer sich also bis jetzt vor Filmen aus der größten Filmfabrik der Welt gedrückt hat, könnte mit Live aus Peepli auf den Geschmack kommen, wenn nicht gar süchtig werden. Petra WelzelINDIEN 2009, R: ANUSHA RIZVI, D: OMKAR DAS MANIKPURI, RAGHUBIR YADAV, FARUKH JAFFER, SHALINI VATSA, 105 MINUTEN, KINOSTART 11.11.10


Ein gutes Herz | Ein Märchen mit halbem Happy End. Die Geschichte eines unangenehmen Menschenfeinds. Oder sollte man als Kern von Ein gutes Herz die Freundschaft der Männer sehen, gestört durch eine gestrandete Flugbegleiterin? Im Film des Isländers Dagur Kári wütet Brian Cox als Kneipier in Manhattan vor sich hin. Einsamkeit trieft aus Augenschatten. Entspannungsversuche in der Wohnhöhle über seiner Spelunke, entlang den Anweisungen auf einem Traumreise-Video, verursachen den fünften Infarkt. In der Klinik trifft er den reizenden Jungobdachlosen (Paul Dano), den er durch eine Barmann-Lehre vom Suizid abhalten wird. Aber wer rettet hier eigentlich wen? Und wie? Alle Bedeutungen von „Herz“ treten auf: Großmütigkeit, Liebe, das pumpende Organ. Während Kamera (Rasmus Videbæk) und Szenenbild (Hálfdan Pedersen) eine Welt von kühler Schäbigkeit bis dunkler Hoffnung entwerfen, trudeln der Alte und sein Mitbewohner durch gemeinsame Ausflüge oder witzig vertauschte Rollen. Bis jene Frau und eine Weihnachtsente in die Bar finden, Auslöser für den Anfang vom Ende. jv

IS/USA 2009. R: DAGUR KÁRI. D: BRIAN COX, PAUL DANO, ISILD LE BESCO, 95 MIN., KINOSTART: 11. 11. 10


Villa Amalia | Der Typ einer depressiven, fragilen Pianistin lässt sich kaum besser besetzen als mit dem französischen Star Isabelle Huppert. Als Jelineks Klavierspielerin wirkte sie noch destruktiver als jetzt in Jacquots leisem Kammerspiel: Ann setzt noch Hoffnungen in eine bessere, unbekannte Zukunft. Von einem Tag auf den anderen gibt sie dafür alles auf: ihren Partner, ihr Apartment, ihre Heimat, gar ihre anstehenden Tourneen. Ihr Mann hat sie mit einer anderen betrogen, aber dass sie so extrem reagiert, hat einen triftigeren Grund: Ihr Vater, von dem sie sich nicht geliebt fühlt, hat sie als Kind früh verlassen. Nun sucht sie Zuflucht in einem leer stehenden, versteckten Haus an einer idyllischen italienischen Küste. Einsamkeit ist der Grundton dieses stimmungsvollen Films, der sich bei aller Tristesse auch an der Schönheit italienischer Meereslandschaften erbaut, Poesie entfaltet und Hoffnung weckt. kl

F 2008, R. BENOIT JACQUOT, D: ISABELLE HUPPERT, JEAN-HUGUES ANGLADE, MAYA SANSA. START: 25. 11. 10