Ausgabe 01/2011-02
Der Sprung ins kalte Wasser
Die Gemeinde schließt ihr Bad. In der Not gründen Bürger eine Genossenschaft und übernehmen den Betrieb. Doch nur per Ehrenamt geht es auf Dauer nicht
Spritzen soll es! Drei Schwimmbad-Freunde: Frank Priebe, Theresia Asselmeyer und Markus Rittmeyer
Irgendwann sind sie runter an die Theke gegangen. Haben dort weiter diskutiert über die scheinbar verrückte Idee, eine Genossenschaft zu gründen. Genossenschaft? Klingt das nicht nach Sozialismus, Kommunismus, Spinnerei? "Die haben mich ausgelacht", sagt Frank Priebe und lächelt bei der Erinnerung an jenen Abend im Ratskeller von Nörten-Hardenberg. Doch der Bürgermeister der 8343-Seelen-Gemeinde ist hartnäckig geblieben. Und hat den Unternehmern des Ortes - dem Schnapsfabrikanten, dem Autohändler, dem Banker - eine folgenschwere Zusage abgerungen: "Wir prüfen mal, ob es sich rechnet." Ein paar Monate danach, im September 2005, haben sie gemeinsam die erste Hallenbad-Genossenschaft Deutschlands gegründet.
Das Geheimnis des Erfolgs
Fünfeinhalb Jahre später hat sich der frühere Verlustbetrieb in ein Vorzeigeprojekt verwandelt. Ortsvorsteher und Bürger aus der Republik reisen in die zehn Kilometer nördlich von Göttingen gelegene Gemeinde, um das Geheimnis des Erfolgs zu erkunden. Für sie führt kein Weg vorbei an Frank Priebe.
Der 55-Jährige Parteilose lenkt nicht nur seit 20 Jahren die Geschicke der Gemeinde. Er ist auch der Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft, der einmal im Monat am Wochenende die Lohnabrechungen der Schwimmbad-Beschäftigten erstellt und sagt: "Man muss bereit sein, viel Zeit und Gedanken zu investieren."
Der Bürgermeister hat sich rührige Leute ins Boot geholt. Zum Beispiel Hans-Joachim Raith. 30 bis 40 Stunden im Monat stecke er bestimmt in das Schwimmbad, sagt der 66-Jährige, der bis vor kurzem geschäftsführender Gesellschafter dreier Autohäuser war. Das hat ihn nicht daran gehindert, sich seit der Gründung um die Finanzen der Genossenschaft zu kümmern - ehrenamtlich. Raith weiß um den Wert seines Engagements: "Wenn ich etwas sage, sind viele überzeugt." Auch der örtliche Schnapshersteller hilft der Schwimmbad-Genossenschaft; er erstellt kostenlos die Bilanzabschlüsse für sie.
Auch Kreuzberg geht baden
Wenn den Kommunen das Geld fehlt und sie das Schwimmbad auf ihre Streichliste setzen, entscheiden sich manchmal die Bürger/innen, ihr Bad erstmal vor der Schließung zu bewahren, und packen es an. So retteten in Berlin-Kreuzberg 2002 vor allem Ehrenamtliche aus Schwimmvereinen das 110 Jahre alte Baerwaldbad. Sie gründeten einen Trägerverein und riefen Partnerschaften ins Leben. Heute steht das Bad wieder jedermann offen.
Im niedersächsischen Bad Gandersheim gründeten Bürger eine Genossenschaft, um ihr Sole-Waldschwimmbad zu retten. 930 Mitglieder sorgten sogar mit einer Einlage von jeweils mindestens 50 Euro für finanziellen Rückhalt und brachten mit Tausenden von ehrenamtlichen Arbeitsstunden das in die Jahre gekommene Hallen- und Freibad auf den neuen Stand der Technik.
Die Bürger nahmen das Bad in Besitz
Ein anderes Beispiel für bürgerschaftliches Engagement geben die Menschen in Wunstorf bei Hannover. Dort machte die Stadt im Jahr 2004 das Freibad im Ortsteil Luthe dicht, laufende Betriebs- und anstehende Sanierungskosten erschienen ihr zu hoch. Daraufhin gründeten mehr als 200 Engagierte einen Förderverein und entwickelten ein Konzept für die Sanierung des Bades. Heute ist jeder dritte Haushalt im Ort Mitglied der Genossenschaft, die das Bad seit fünf Jahren erfolgreich betreibt.
"Die Bürger haben nicht nur ,Nein' gesagt, sondern auch mit angefasst: Kies geschippt, gebaggert, gegraben und so das Bad in Besitz genommen", sagt Reinhard Gräpel, Vorstandsvorsitzender der Naturerlebnisbad Luthe eG.
Der 58-jährige Banker in Frührente und seine Mitstreiter haben das ehemalige 08/15-Freibad mit großem Aufwand in ein modernes Natur- und Erlebnisbad umgestaltet, und das mit Erfolg: Jugendliche schätzen die neue Beachvolleyball- und Basketballanlage, ökologisch Bewusste erfreuen sich daran, dass Sonnenkollektoren das Wasser erwärmen. Derzeit installieren die Bürger mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt eine Absorberanlage, die das Wasser mit Hilfe eines Pflanzenfilters ohne Chlor oder andere chemische Zusätze reinigen soll. Das Bad sei heute mehr als nur ein Bad, sagt Reinhard Gräpel: "Das ist etwas für die Gemeinschaft." Dabei sei es wichtig, dass die Bürger sich dort engagieren könnten, wo sie sich wohlfühlen: "Die einen haben eine Leidenschaft für Beete, die anderen sitzen lieber an der Kasse."
In Nörten-Hardenberg deutete noch im Frühjahr 2002 nichts auf eine Erfolgsgeschichte hin. Die Gemeinde hatte kein Geld, konnte nicht länger Geld ins Schwimmbad stecken. Die Schließung drohte.
Das war der Moment für Theresia Asselmeyer und ihre Mitstreiter. Schon die Söhne der 58-Jährigen haben in dem schmucklosen 70er-Jahre-Bau schwimmen gelernt, und die Universitäts-Angestellte wollte, dass andere Kinder es ihnen nachtun können. Sie verfasste Flugblätter und rief mit Gleichgesinnten fünf Arbeitskreise ins Leben, die Antworten auf entscheidende Fragen fanden: Wer nutzt Schwimmbad und Sauna? In welchem Zustand ist das Gebäude? Und wie kann es sich rechnen, das Bad zu betreiben?
Der Bademeister als Geschäftsführer
Heute ist das jährliche Defizit von 250000 Euro auf 75000 Euro gesunken. Die Zahl der Besucher hat sich mehr als verdoppelt, vor allem die gute Auslastung durch Schulen und Vereine macht es möglich, dass das Schwimmen für Erwachsene 3,50 Euro kostet, Kinder zahlen drei Euro. Seit zwei Jahren versorgt ein Blockheizkraftwerk das Bad mit Wärme und Strom. Es ist eine Investition, die sich schnell rechnet: Den 50000 Euro für den Bau stehen 15000 Euro weniger Energiekosten pro Jahr gegenüber. Eine Photovoltaikanlage ist kürzlich in Betrieb gegangen, das Chlor kauft die Genossenschaft billiger ein als früher die Gemeinde. Doch scheint nun, was das Sparen angeht, das Ende der Fahnenstange erreicht. "Mit einem Freizeittempel können Sie schwarze Zahlen schreiben - mit einem Schwimmbad nicht", sagt Bürgermeister Priebe.
300 Bürger/innen haben Geld in die Genossenschaft gesteckt, 150 stehen als Mitglieder des Fördervereins bereit für den jährlichen Großputz und die Öffentlichkeitsarbeit, sammeln Geld für eine neue Saunatür oder Kinderspielzeug für den Zeitvertreib der kleinen Badbesucher. Kürzlich erst haben sie mit großem Einsatz Duschen renoviert.
Am Rand des Schwimmbeckens steht Markus Rittmeyer, der wohl einzige Bademeister Deutschlands, der auch Geschäftsführer ist. Der 39-Jährige war "ein bisschen erschrocken", als er von der Idee der Schwimmbad-Genossenschaft hörte. Er fürchtete um seinen Arbeitsplatz.
Heute ist der gelernte Schwimmmeister "sehr glücklich". Die Veränderung beschreibt er so: "Die Verantwortung ist immens gestiegen. Ich verdiene zwar nicht nennenswert mehr, aber der Job macht Spaß!"
Die Verantwortung der Gemeinden
Die Kommunen haben immer weniger Geld zur Verfügung; eine verfehlte Steuerpolitik führt dazu, dass sie die grundlegende Daseinsvorsorge für die Bürger/innen häufig nicht mehr garantieren können. Straßen verrotten, Bibliotheken werden geschlossen - und Schwimmbäder auch. Schwimmunterricht für Kinder - künftig Fehlanzeige. In dieser Situation greifen vielerorts Männer und Frauen zur Selbsthilfe, leisten ehrenamtliche Arbeit, gründen Genossenschaften, geben sogar Geld, um Einrichtungen in ihrem Umfeld am Leben zu erhalten, für die die Kommune zuständig ist. Doch sie wollen nicht zusehen, wie Werte in ihrer Gemeinde verrotten. "Bürgerschaftliches Engagement ist ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens", sagt Renate Sternatz, Bereichsleiterin im ver.di-Bundesfachbereich Gemeinden. "Aber dieser Einsatz sollte von den Gemeinden nicht als Notlösung genutzt werden. Schwimmbäder gehören zu den klassischen Aufgaben der Daseinsvorsorge; die Kommunen dürfen die Verantwortung dafür nicht abwälzen. Dafür brauchen sie eine sichere Finanzausstattung."