Dumm gelaufen

Company Men | Zunächst hält sich das Mitleid in Grenzen. Ben Affleck als Bobby Walker ist ein leitender Angestellter in einem Unternehmen, das mit dem Bau von Schiffen zum börsennotierten Multikonzern wurde. Er schwimmt in Selbst- bewusstsein und Statussymbolen seiner oberen Mittelschichtsexistenz und ahnt nichts Böses, bis ihm eines Morgens seine fristlose Entlassung vor den Latz geknallt wird. Wirtschaftskrise, George W. Bush, Personalabbau zugunsten der Aktionäre – schlimmer hätte es nicht kommen können für den selbstzufriedenen Vertriebsleiter. Hier beginnt die Studie eines beruflichen Abstiegs samt persönlicher „Neuorientierung“. Dicht gefolgt wird Walker von zwei seiner vorgesetzten Kollegen Phil und Gene, die kurze Zeit später ebenfalls von ihrem hohen Ross gefeuert werden. Da stehen sie nun vor den Scherben ihres amerikanischen Traums, und jeder geht auf seine Weise mit der Schmach um: Der Aufsteiger Walker verdrängt, Phil färbt sich erst, wie von der Jobvermittlung verlangt, die Haare, um dann zu resignieren, und Gene bekommt die Quittung von seiner verwöhnten Ehefrau, die nur am Firmenjet interessiert ist.

Regisseur John Wells inszeniert den Schock und die folgenden Identitätskrisen in ruhigen Bildern, die sehr genau das fein nuancierte Spiel der Hauptdarsteller zeichnen. Und geht auf Fragen ein, vor denen heutzutage jeder steht, dem der berufliche Boden unter den Füßen weggerissen wird: Wie will ich leben? Welchen Stellenwert hat Arbeit? Und wer bin ich noch, wenn mich niemand mehr mitspielen lässt im großen Jobroulette?

Erst mählich dämmert es den drei Entlassenen, dass sich ihre Lage von selbst nicht mehr bessert. Mehr oder weniger heulend kehren sie erstmal zu ihren Familie zurück, um überrascht festzustellen, was ihre Karrieren hier so alles angerichtet haben. Bobby Walker lässt sich schließlich zu einem Angebot seines Schwagers (Kevin Costner) herab. Der hält noch mit ehrlicher Arbeit als Bauunternehmer seinen Kopf über Wasser und brummelt eine schlichte Tatsache vor sich hin: Ein Land, das außer Aktienblasen selbst nichts mehr produziert, hat irgendwann keine Lebensqualität mehr zu bieten. Außer für Vögel, die in den Weiten der verwaisten Industriegegebiete brüten. Der Film bleibt nicht frei von Kitsch. Dafür sieht man Schauspieler, die sonst eher in Helden-und Actionrollen unterwegs sind, die aber diesmal für uns das ganze neoliberale Ungemach einer kritischen Betrachtung unterziehen. Jenny ManschUSA 2010, R: JOHNE WELLS. D: BEN AFFLECK, CHRIS COOPER, TOMMY LEE JONES, KEVIN COSTNER, U. A., D: 104 MIN., KINOSTART: 7.7.2011


Arschkalt | Berg ist ein echter Misanthrop, mufflig und sarkastisch. Allerdings ist sein Leben auch nicht gerade rosig: Die Fabrik, die ihm sein Vater nach dem Umzug ins Altersheim übertragen hatte, ging unter seiner Führung pleite, dem Alten verschweigt er das Desaster. Seine Frau hat ihn verlassen, und innerlich ist der desillusionierte Zyniker erstarrt wie die Fischstäbchen in seinem Lieferwagen. Jetzt soll der abgerutschte Tiefkühlkostverkäufer auch noch wider Willen einen Kompagnon anlernen, der ihm mit seinem unentwegten Geplapper auf die Nerven geht. Wie der Mittfünfziger schließlich doch noch unter dem Einfluss dieses aufgedrehten Sunnyboys auftaut, schildert Erkau zwar absehbar, aber mit geistreichen Bonmots. Vor allem aber mit seinem skurrilen Humor empfiehlt sich das Roadmovie als norddeutsche Antwort auf Aki Kaurismäki. kl

D 2011. R: ANDRÉ ERKAU. D: HERBERT KNAUP, JOHANNES ALLMAYER, ELKE WINKENS, U. A., 90 MIN. START: 21.7.2011


Alles Koscher! | Taxifahrer Mahmud Nasir liebt Bier, seine Familie und den Pop der achtziger Jahre. Dann erfährt der gemütliche Londoner Stadtmuslim, dass er adoptiert ist, Jude, und Solly Shimshillewitz heißt. Um seinem orthodoxen biologischen Vater begegnen zu können, tritt er widerwillig mit einem US-jüdischen Kollegen in Kontakt. Der hilft ihm, die Grundregeln seiner Geburtsreligion zu begreifen: Jiddisch verstehen, Bagel essen, große Nasen schätzen, Rabbiwitze erzählen, und gegen Palästinenser demonstrieren. Aber als Mahmud/Solly erfährt, dass sein Sohn die Stieftochter eines Islamisten heiraten will, muss er gleichzeitig jüdischer und muslimischer werden. Der britische Comedian Omid Djalili in der Hauptrolle macht die Situationskomik in diesem Film über entlarvte Glaubenspositionen zu seinem Terrain. So ist Alles Koscher! genau das, was wir alle brauchen: vergnügliche Familienfilme, die das Gebot der religiösen Toleranz mit der Komödienmethode in unsere Dickschädel rammen. jv

GB 2010, R: JOSH APPIGNANESI. D: OMID DJALILI, RICHARD SCHIFF, 105 MIN., KINOSTART: 30.6.2011


Belgrad Radio Taxi | Stau auf der Belgradbrücke, Gelegenheit für ein Päuschen. Man hört Radio, schnauzt seinen Lover an. Man trennt sich von ihm. Oder man reißt die Autotür auf und stürzt sich vom Brückengeländer. Zurück bleibt ein mürrischer Single beziehungsweise bosnischer Exsoldat mit einem Zufallsbaby auf dem Rücksitz – mitten in der verregneten Serbenmetropole. Nach diesem schwermütig-komischen Beginn wird von den Zeugen des fehlschlagenden Suizids erzählt. Jeder und jede hat Probleme, Traumata, die aus dem Krieg oder kaputten Liebesgeschichten herrühren. Oder von beidem. Die Stadtlandschaft Belgrads wird in liebevoll gefilmten Schauplätzen präsentiert: die Nachtapotheke, ein vergammelndes Häuschen, ein lässiges Café, die Intensivstation, auf der die Gestürzte landet, und immer wieder diese Brücke. Die verbindet nicht nur Stadtteile, sondern die Vergangenheit mit einer besseren Zukunft. Die Protagonisten allerdings machen sich noch eine ganze Weile das Leben schwer. jv

RS 2010, R: SRDJAN KOLJEVIC. D: N. GLOGOVAC, B. KATIC, A. DOBRA, 101 MIN., KINOSTART: 21.7.2011