Nur ein Jahr nach der Verordnung des ersten Rettungsplans für Griechenland sollen die griechischen Erwerbstätigen erneut Opfer bringen, weil sich herausgestellt hat, dass der Verzicht der letzten zwölf Monate nicht ausreicht, um das Land vor dem Konkurs zu bewahren. Im Laufe dieses Jahres wurde viel Schlechtes über die griechischen Lohnabhängigen und das Land selbst geschrieben und gesagt - und längst nicht alles beruhte auf Tatsachen. Die wichtigste Anklage hieß, die übertrieben große Zahl öffentlicher Angestellter und viel zu hohe öffentliche Ausgaben seien schuld an den steigenden griechischen Staatsschulden.

Wie sich bei einer Erhebung der Regierung im Jahr 2010 herausgestellt hat, arbeiten in Griechenland nicht mehr Beschäftigte im öffentlichen Dienst als in anderen Euroländern. Der Anteil der öffentlich Beschäftigten an allen Erwerbstätigen unterscheidet sich nicht. Und auch die öffentlichen Ausgaben sind in den letzten Jahren etwa gleich geblieben. Die Staatsquote - der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) - lag vor der Krise mit 44,9 Prozent etwas unter dem EU-Durchschnitt von 46,3 Prozent. Aufgrund des hohen Wachstums hätten die Staatsschulden von 1994, als der Weg in den Euro festgelegt wurde, bis 2008, als die Krise uns erreichte, deutlich sinken müssen. Doch das geschah nicht, im Gegenteil: Die Staatsschulden stiegen, weil die öffentlichen Einnahmen und besonders die Unternehmens- und Vermögenssteuereinnahmen nicht genauso wuchsen wie die Schulden.

Wenn man diese Steuereinnahmequellen mit den entsprechenden Einnahmen anderer Länder der Eurozone vergleicht, stellt man fest, dass sie in Griechenland wesentlich niedriger sind. So entsprachen die Einnahmen aus direkten Steuern 2007 hier gerade mal acht Prozent des BIP, während der EU-Durchschnitt bei 13,4 Prozent lag. Die tatsächliche Steuerbelastung der Kapitalerträge lag 2006 in Griechenland bei lediglich 15,8 Prozent gegenüber 25,4 Prozent im EU-Durchschnitt. Im gleichen Zeitraum fiel der Steueranteil der Unternehmen am gesamten Steueraufkommen, während sich der Anteil der Erwerbstätigen und Rentner an den gesamten Steuereinnahmen verdoppelte: Zwischen 2002 und 2008 wurden die Steuern auf Löhne und Renten um 97 Prozent erhöht.

Nach Berechnungen der Wirtschaftswissenschaftler Giannis Milios und Spiros Lapatsioras hätte die Krise Griechenland bei gleichbleibenden anderen Faktoren bei einer Staatsverschuldung von 75 statt 111 Prozent getroffen, wenn im Jahre 2001 die Kapitalsteuersätze nicht gesenkt worden wären und die Steuereinnahmen stattdessen auf den EU-Durchschnitt gestiegen wären. Dann hätte Griechenland sich nicht unter den Rettungsschirm flüchten müssen.

Die griechischen Erwerbstätigen wollen die Lasten der Krise keinesfalls den europäischen Erwerbstätigen aufbürden. Wer das behauptet, verbreitet eine Lüge. Das tun zurzeit all jene, die darauf bestehen, dass das Schuldenproblem durch die Verlagerung der Lasten auf die Lohnabhängigen, die Rentner und die kleinen Unternehmen gelöst wird - und zwar mittels Erhöhung der indirekten Steuern und der Aufrechterhaltung des griechischen Steuerasyls für das Großkapital.

Die Arbeiter/innen und Angestellten in Griechenland fordern ihre europäischen Kollegen und Kolleginnen auf, ihrerseits Druck für einen anderen, einen tatsächlichen Ausweg aus der Krise aufzubauen. Damit das Mittelmeerland zunächst einmal von dem untragbaren Gewicht seiner überhöhten Verteidigungsausgaben befreit wird - was möglich ist, wenn der politische Wille dazu in der EU vorhanden ist. Damit die Griechen - sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen - bezahlen, die das tatsächlich können. Diejenigen, die die Schuldenkrise erzeugt haben, weil ihre Gewinne sich im gleichen Rhythmus mit den Staatsschulden vermehrt haben. Die international bekannteste Gruppe griechischer Unternehmer sind die Reeder. Sie genießen Steuerfreiheit. Der Staat sieht für sie 42 verschiedene Steuerbefreiungen vor. Da ist es fast überflüssig zu erwähnen, dass alle Großkapitalisten in Griechenland Anteile an Reedereien halten, um in den Genuss der gleichen Privilegien zu kommen.

Ein Jahr, in dem das Rezept galt: "Die Beschäftigten und die Rentner zahlen für die Krise", ist genug. Der Konkurs Griechenlands ist wahrscheinlicher, den Erwerbstätigen geht es schlechter denn je, während die Arbeitslosigkeit bis Ende 2011 voraussichtlich auf über 22 Prozent gestiegen sein wird. Das Rezept ist nicht nur unmenschlich, es hat versagt. Es wird Zeit, es zu ändern.

Dimitris Psarras ist Redakteur der Tageszeitung Eleftherotypia in Athen

Bericht Seite 8

Die griechischen Erwerbstätigen wollen die Lasten der Krise keinesfalls den europäischen Erwerbstätigen aufbürden