Ausgabe 08/2011-09
Wir brauchen Zukunft
Die Generation Praktikum demonstriert mit weißen Masken gegen unbezahlte oder schlechtbezahlte Praktikantenstellen unter dem Motto "Uns gibt es nicht umsonst"
Von wegen Fachkräftemangel: Praktikanten geben Tag für Tag ihr Bestes, liefern kostenlos ihre Ideen, ihr Wissen, ihre Kraft und ihre Zeit - und dann wieder kein Arbeitsplatz. Junge Menschen werden nicht gefördert, sondern ausgebeutet. Doch sie brauchen Arbeit, von der sie leben können
Sie sind jung, haben Anstrengung und Energie in ihre Ausbildung gesteckt, sind hoch motiviert - und werden ausgebremst. Erst kürzlich hat das Statistische Bundesamt die neue Zahl veröffentlicht: Rund 37 Prozent der Erwerbstätigen unter 24 Jahren sind in unsicherer, sogenannter prekärer Beschäftigung tätig. Sie starten als Leiharbeiter ins Berufsleben, müssen sich von dem einen befristeten Vertrag zum anderen hangeln oder werden mit Teilzeitjobs abgespeist, von denen sie nicht leben können. Rund 500.000 der mittlerweile mehr als eine Million Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen in unserem Land sind jünger als 30 Jahre.
Und da sind zudem die vielen jungen Menschen, die - oft hochqualifiziert - ein Praktikum nach dem anderen absolvieren müssen. Statt ordentlicher Bezahlung wird ihnen eine spätere Anstellung in Aussicht gestellt, sollten die Leistungen entsprechend sein. Eine besonders perfide Methode des modernen Managements: Die Praktikanten geben Tag für Tag ihr Bestes, liefern kostenlos ihre Ideen, ihr Wissen, ihre Kraft und ihre Zeit - weil sie hoffen, dass sie endlich ihre Chance bekommen, endlich einen richtigen Arbeitsplatz. Und dann wieder nichts.
Zukunft planen? Geht nicht!
So werden junge Menschen nicht gefördert, sondern ausgebeutet und hingehalten. Die Zukunft planen? Geht nicht. Eine Familie gründen? Wer traut sich das schon? Wer will das verantworten, wenn er oder sie nicht weiß, wie es morgen oder übermorgen weitergehen wird? Und während nicht tausende, sondern längst schon hunderttausende junger Menschen in unserem Land entweder gar keine Arbeit finden, sich in Praktika verausgaben oder auf unsichere, meist miserabel bezahlte Arbeit angewiesen sind, klagen die Arbeitgeber und ihre Verbände über einen womöglich bald schon dramatisch großen Fachkräftemangel.
In der Tat: Wenn zu wenige Unternehmen bereit sind, junge Leute auszubilden, wenn die Firmen zwar ausbilden, aber ihre Auszubildenden nach Abschluss der Lehre auf die Straße schicken, statt sie zu übernehmen, wenn Arbeitgeber nicht bereit sind, in die fortlaufende Weiterbildung ihrer Beschäftigten zu investieren - dann, ja dann ist ein Fachkräftemangel programmiert. Und wenn die Politik nicht endlich in die Bildung investiert, statt im Gegenteil etwa Schulen und Universitäten mit einer Kürzung nach der anderen zu überziehen.
Eine andere Politik ist nötig
Auch das ist Teil der gigantischen Umverteilung von unten nach oben, die seit Jahren in unserem Land betrieben wird und die politisch gewollt ist. Schon jede und jeder Fünfte in Deutschland verdingt sich zu einem Niedriglohn, und tausende von ihnen, die tagaus, tagein in Vollzeit arbeiten, müssen staatliche Hilfen beantragen, weil der Lohn zum Leben nicht reicht. In diese Richtung kann, in diese Richtung darf es nicht weitergehen. Wir brauchen eine andere Politik. Die Gewerkschaft ver.di streitet für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und dafür, dass Leiharbeit genauso bezahlt wird wie die Arbeit der Stammbelegschaften: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort vom ersten Tag an. Wir streiten für ein Verbot der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen, mit denen immer mehr Beschäftigte verunsichert und unter Druck gesetzt werden - und das immer öfter direkt beim Einstieg in den Beruf.
Auf dem Bundeskongress der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft jetzt im September in Leipzig wird diese, gerade auch für die jungen Menschen im Land dramatische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt eines der großen Themen sein. Jugend braucht gute Arbeit. Jugend braucht Zukunft.