Ausgabe 10/2011
Noch mehr Armut im Land
Norbert Reuter ist ver.di Wirtschaftsexperte
Die Ergebnisse des gerade erschienenen amtlichen Sozialberichts für Deutschland können keinen überraschen: Die Zahl der Menschen, die in Armut leben, hat sich weiter erhöht. Inzwischen sind es knapp 16 Prozent, die als "armutsgefährdet" gelten. Sie haben einschließlich Sozialleistungen weniger als 930 Euro im Monat zur Verfügung. Viele können aber selbst von diesen 930 Euro nur träumen. Jede und jeder dritte Armutsgefährdete kann sich nicht einmal jeden Tag eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder Gemüse leisten, 16 Prozent nicht immer eine warme Wohnung.
Wo bleibt dann aber der ganze Reichtum? Auch das wissen wir seit langem: Die Reichen werden immer reicher, die Kluft zwischen oben und unten wird immer größer. Die Mittelschicht schrumpft. Besonders alarmierend: Menschen, die einmal arm sind, kommen immer schlechter aus der Armutsfalle heraus. Kein Wunder: Seit Jahren stagnieren die Arbeitnehmerentgelte, während die Gewinne und Vermögenseinkommen geradezu explodiert sind. Seit dem Jahr 2000 trotz Krise um satte 30 Prozent - und das real, also die Preissteigerung abgezogen.
Die Politik muss endlich reagieren. Die Vorschläge liegen sei langem auf dem Tisch: Vor allem muss sofort ein gesetzlicher Mindestlohn her. So würde dem Lohndumping eine klare Grenze gezogen. Arbeitslose dürfen auch nicht länger gezwungen werden, jeden auch noch so schlecht bezahlten Job annehmen zu müssen. Für Leiharbeit muss sofort der Grundsatz "gleiches Einkommen für gleiche Arbeit" ("equal pay") gelten. Und: Hohe Einkommen müssen endlich höher besteuert werden. Die Vermögenssteuer muss wieder eingeführt werden. Für Finanzgeschäfte muss die Finanztrans- aktionsteuer her. Dann wäre genug Geld da, um Armut in einem reichen Land zu beseitigen. Aber wahrscheinlich wird auch dieser Sozialbericht die Regierung nicht aufwecken. Vielleicht aber immer mehr Menschen, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.