Ausgabe 12/2011
Bloß nicht ködern lassen
Bloß nicht ködern lassen
Ich weiß schon. Kaum einer mag sie, abgesehen von ein paar Punks und anderen Nagetierfreunden. Aber Tatsache ist nun einmal: Ratten werden die letzten Lebewesen sein, die das sinkende Schiff Erde einst verlassen werden. Das hat schon Günter Grass in seinem Roman „Die Rättin“ in entsprechenden Bildern zu Papier gebracht. Und auch der Beamte vom Gesundheitsdienst schilderte mir das bis ins letzte Detail, als sich vor nicht allzu langer Zeit Kanalratten in unserer Toilette häuslich einzurichten versuchten. Gnädigerweise überließen die Nager uns das stille Örtchen, wenn wir es benötigten. Mir nichts, dir nichts machten sie sich aus dem Staub, beziehungsweise Wasser, sobald sich jemand näherte. Und zwar so schnell, dass wir gerade noch mit etwas Glück die Schwanzspitze durch die Schüssel entschwanden sahen und sicher sein konnten, dass sie erstmal weg sind. Am Ende halfen nur Rattenklappen, so dass wir den Lokus schließlich wieder ganz allein für uns hatten.
Die Ratten sind natürlich noch immer da, irgendwo in den Abwasserrohren. Millionen, wie mir der Gesundheitsdienstmensch versicherte. Die sammeln sich da. Und verteidigen sich gegen alles Ungemach, was da so angeflossen kommt. Und das nach dem Prinzip: eine für alle, alle für eine.
Psychologen der Universität von Chicago haben nämlich unlängst in einer Studie festgestellt, dass Ratten alles stehen und liegen lassen, wenn auch nur einer ihrer Artgenossen in Gefahr oder gar eingesperrt ist. Sie geben nicht eher Ruhe, bis die gefangene Ratte wieder befreit ist. Davon lassen sie sich noch nicht einmal durch Leckerlies abhalten.
Das ist ein klarer Fall von Solidarität in neuem Format. Was ist nicht schon alles über die Fähigkeit zur Einfühlsamkeit unter Menschen und anderen Primaten geschrieben worden. Und erst über die Unfähigkeit aller anderen Lebewesen. Würden wir es wie die Ratten machen, dann wäre die Welt gerettet. Ach, und die vielen Krisen, es hätte sie gar nicht erst gegeben. Alles wäre wunderbar, die Erde noch grün, und wir könnten mit den Ratten um die Kunst des Überlebens streiten. Denn wir haben noch sehr viel mehr gemein mit den kleinen Vierbeinern. Das ergab die Studie nämlich auch: 100 Prozent der Weibchen haben bis zum bitteren Ende für ihre Artgenossen gekämpft. Unter den Männchen waren es nur 70 Prozent. Vielleicht versammeln sich ja deshalb auch in ver.di mehr Frauen als Männer. Die haben die Zeichen der Zeit erkannt, kämpfen wie die Rättinnen. Und wissen genau, was die Stunde geschlagen hat: Bloß nicht ködern lassen. Petra Welzel