The Lady | Am 13. November 2010 machte das kleine Land mit den vielen Namen wieder einmal Schlagzeilen. Die Militärmachthaber von Myanmar, das früher einmal Birma oder Burma hieß, entließen Aung San Suu Kyi in die Freiheit. Dass die Friedensnobelpreisträgerin, die seit den späten achtziger Jahren den gewaltfreien Widerstand gegen eines der brutalsten Regimes der Welt anführt, nach insgesamt 15 Jahren Hausarrest und Isolation wieder – wenn auch mit Einschränkungen – ins öffentliche Leben zurückkehren durfte, wurde vor allem im benachbarten Thailand aufmerksam registriert. Denn dort drehte der französische Regisseur Luc Besson gerade einen Film über die Suu Kyi.Das Leben hatte also wieder einmal die Kunst überholt. Doch die Kunst entschied in diesem Fall, sich über die aktuellen Entwicklungen zu freuen, sich aber nicht von ihnen aus dem Konzept bringen zu lassen. So endet The Lady im Jahr 2007 mit dem Marsch demonstrierender Mönche vor das Haus, in das die schmale Frau mit dem großen Herzen weggesperrt wurde. Sie steigt auf das Tor, das so lange verschlossen blieb und vorerst weiter verschlossen bleiben wird, und wirft ihren Anhängern Blumen zu. In diesem Moment lässt Besson die Bewegung einfrieren – und schafft so ein ikonografisches Bild.Genau dort liegt das Problem des Films. Besson hat ein Drehbuch verfilmt, das keinerlei Zweifel an der übermenschlichen Größe seiner Protagonistin zulässt. Er hat mit seinem Film nicht einem Menschen ein Denkmal gesetzt, sondern einer Ikone. Huldvoll lächelnd schwebt Hauptdarstellerin Michaelle Yeoh durch Blut und Tränen, die Contenance verliert sie nur ein einziges Mal: Als sie vom Tod ihres englischen Ehemannes Michael Aris erfährt, der sie jahrelang ebensowenig besuchen durfte wie ihre beiden Söhne.

Auf diese persönliche Tragik stützt sich Besson vor allem, um seinem Film eine Struktur zu geben. Die große Liebe wird auf dem Altar der Politik geopfert, so interpretiert es Besson. Nur leider bleibt die Beziehung zwischen der Friedensnobelpreisträgerin und ihrem Ehemann, einem bekannten Tibetologen, seltsam blutleer – und damit auch das Herz des Films. So kann Besson auch den erstaunlichen Wandel einer in Oxford lebenden Hausfrau zur über jeden moralischen Zweifel erhabenen Freiheitskämpferin, die furchtlos in Gewehrläufe blickt, nicht wirklich anschaulich machen.Doch als politische Biografie funktioniert The Lady. Besson, ein hervorragender Handwerker, hat heimlich in Myanmar gedreht, die Schauspieler wurden nachträglich in die Bilder hineinkopiert. Zu sehen ist dieser Trick nicht, und so entwirft der Film einen durchaus beeindruckenden Bilderbogen, ein Lehrstück, in dem ein kleines Land versucht, sich aus dem Würgegriff einer Militärdiktatur zu befreien. Thomas WinklerF 2011, R: Luc Besson, D: Michaelle Yeoh, David Thewlis, 127 Min., Kinostart: 15. März


Take Shelter – Ein Sturm zieht auf | Wenn der Haushund gefährlich guckt und Riesenwolken am Sommerhimmel auftauchen, wie viele Sorgen sollte man sich machen? Curtis LaForche, Vorarbeiter einer Sandgewinnungsfirma, leidet an Alpträumen, auch mitten am Tag, in immer bedrohlicheren Bildern. Eine Naturkatastrophe scheint sich anzukündigen. Oder eine Endzeitgesellschaft, in der gehetzte gierige Menschen einander überfallen. Der geplagte Curtis mopst schließlich den Firmenbagger für seinen eigenen Garten. Er will dort einen Bunker bauen, um die Familie vor der nahen Zukunft zu schützen. Seinen Chef überzeugt dieses Argument nicht, so wenig wie die unproduktiven Angstattacken des Mitarbeiters. Also verliert Curtis den Job, dann den Überblick über seine Finanzen, aber nie den Glauben an seinen Bunker. Wir Zuschauer genießen die exquisite Inszenierung – und fürchten uns unterdessen mit Curtis vor dem, was er sieht. Wird er verrückt? Oder ist er vielleicht doch ein Visionär? Das eine wäre ein privates Unglück, das andere das Ende der unbekümmerten Welt, wie wir sie kennen. Jutta VahrsonUSA 2011 R: Jeff Nichols. D: Michael Shannon, Jessica Chastain, Shea Whigham, 120 Min., Kinostart: 22. März


The Music Never Stopped | Es soll ja Blumen geben, die besser wachsen, wenn sie klassische Musik hören. Ähnlich unerforscht ist die mitunter erstaunliche medizinische Wirkung von Musik. Einen besonders frappierenden Fall beschreibt der Film The Music Never Stopped: Vor 20 Jahren hat Gabriel Sawyer im Streit sein Elternhaus verlassen. Nun, Ende der 80er Jahre, taucht er wieder auf, aber hat nach einer Gehirntumor-Operation sein Gedächtnis verloren. Erst wenn er Musik hört, vor allem die Songs seiner Lieblingsband Grateful Dead, kann er in die verschütteten Regionen seiner Erinnerung vordringen. Beruhend auf einem tatsächlichen Fall, den der berühmte Neurologe Oliver Sacks in seinem Essay The Last Hippie beschrieben hat, erzählt der Spielfilm nun, wie Gabriel und sein Vater Henry sich wieder einander annähern, indem sie zusammen die zeitlose Musik der Sixties entdecken. Dabei gelingt es Regisseur Jim Kohlberg, die anrührende Geschichte nicht nur weitgehend kitschfrei zu erzählen, sondern auch noch jenen Generationenkonflikt zu ergründen, der in den späten Sechziger Jahren die westlichen Gesellschaften erschütterte. Im Film immerhin endet der Konflikt zwischen den 68ern und ihren Vätern, die ihre Söhne in den Vietnamkrieg schickten, mit einem versöhnlichen Happy-End. Thomas WinklerUSA 2011, R: Jim Kohlberg, D: J.K. Simmons, Lou Taylor Pucci, Cara Seymour, 105 Min., Kinostart: 29. März


Barbara | Zu ihrem unangefochtenen Favoriten kürten Kritiker dieses stille Drama auf der jüngsten Berlinale. Reduziert, ökonomisch und geheimnisvoll erzählt Petzold von der zwiespältigen Situation einer couragierten Kinderärztin, verkörpert von seiner großartigen Dauermuse Nina Hoss: Soll sie nach gescheitertem Ausreiseantrag das Risiko eingehen, aus der DDR zu flüchten? Ihr Geliebter aus dem Westen hat schon Vorbereitungen getroffen. Aber an ihrem neuen Arbeitsplatz an der Ostsee kommt es zu Begegnungen, die Barbara irritieren: Ihr Chef macht seltsame Anspielungen, schickt ihr unangemeldet einen Klavierstimmer, vertraut ihr heimliche Dinge an, überträgt ihr zugleich große Verantwortung. Kooperiert er mit der Stasi oder hat er sich in sie verliebt? Und was wird aus ihrer unglücklichen Patientin Stella, die sich hoffnungsvoll an sie klammert, wenn sie geht? Bis zum Schluss bleibt der Ausgang dieses film noir ungewiss, in dem keine Geste, kein Wort zuviel ist. Kirsten LieseD 2012 R: Christian Petzold. D: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Marc Waschke u.a., 105 Min., Kinostart: 8. März