Ausgabe 05/2012
Erstmal zu Penny
Laury Penny: Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus | Laurie Penny ist eine zornige Feministin, die die Schnauze voll und eine schneidend klare Rhetorik im Gepäck hat. Die 25-jährige Bloggerin aus London nennt ihren Text Fleischmarkt eine Flugschrift, was eine revolutionäre Botschaft impliziert, etwas zum Aufheben und unter der Hand Weitergeben. Wenn das mit diesem Buch massenhaft gelänge, bis es etwa zum Pflichtstoff in den Schulen wird, dann wäre schon mal was erreicht. Was Laurie Penny hier analysiert, lässt sich jeden Tag im Fernsehen und auf der Straße beobachten, und doch machen alle mit. Junge Mädchen nutzen ihre vermeintliche Freiheit, um sich dem Diktat einer gnadenlos die weibliche Eigenständigkeit unterdrückenden Konsumgesellschaft zu unterwerfen. Verkörpert etwa durch Heidi Klum und einige schwule Designer mit Vorliebe für dünne Knabenkörper.
Bereits 10-Jährige füllen die psychiatrischen Abteilungen für Magersüchtige, weil die Mädchen mit Einbruch der Pubertät die Anforderungen einer pornofizierten Sexualität realisieren und erschreckt resignieren, weil ihnen niemand mehr ein Gegenmodell anbietet. Statt eine gesunde weibliche Sexualität zu vermitteln, die eben nicht klinisch rein ist, bringen wir kleinen Mädchen bei, dass sie nur lasziv an einer Stange tanzen müssen, um Erfolg in der Gesellschaft zu haben. Und verkaufen ihnen das als individuelle Freiheit zur Selbstentfaltung. „Eine Gesellschaft kann nicht wachsen und sich entwickeln, solange sie darauf besteht, dass die Hälfte ihrer Bürger ihre Energie damit vergeudet, physisch und psychisch zu schrumpfen“, schreibt Penny. Statt sozialen Raum zu beanspruchen, oder gar Macht. In ihrem feministischen Manifest ermutigt sie zur Auflehnung. Randaliere, statt zu hungern, fordert sie von Mädchen und Frauen, Müttern und Vätern, die ihren Nachwuchs eben dieser menschenverwertenden Popkultur zum Fraß vorwerfen. „Beautiful agony“ heißt eine Webseite, die sie empfiehlt. Auf der Seite stellen ganz normale Menschen ihre Gesichter ein, die sie im Augenblick ihres Orgasmus zeigen. Das ist nicht immer schön anzusehen. Aber tausendmal schöner als Heidi Klum. Jenny Mansch Edition Nautilus, 126 S., Ü: Susanne von Somm, 9,90 € Pennys Blog: www.penny-red.com
Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe | Dieser Debutroman der Berliner Journalistin Marion Brasch dreht sich um die tragische Geschichte ihrer eigenen Familie. Und die Braschs waren in der DDR nicht irgendwer. Der Vater spielte eine wichtige Rolle in der ostdeutschen Kulturpolitik, der älteste Sohn Thomas war Schriftsteller wie auch der jüngste Bruder Peter. Klaus wiederum versuchte sich als Schauspieler, so etwa im Kultfilm Solo Sunny. Gegenüber dem Bohème-Leben der Brüder entwickelt sich Nesthäkchen Marion zunächst eher brav. Abitur, Lehre als Schriftsetzerin. Kurz vor der Wende dann kommt sie zum legendären Radiosender DT64. Jetzt erzählt sie sehr anrührend vom Aussterben dieser Familie. Alle gehen früh – zuletzt Thomas und Peter, beide 2001, gezeichnet vom Alkohol- und Drogenmissbrauch. Parallel zum Niedergang der Familie lesen wir auch von dem der sozialistischen Gesellschaft, in der die Brasch-Brüder nie ihren Platz gefunden haben. Und wir verfolgen, wie sich die kleine Schwester von diesem Familienerbe emanzipiert. Nicht zuletzt mit diesem lesenswerten Buch. Tina Spessert
Verlag S. Fischer, 2012, 389 S., 19,99 €
Caroline Brothers: Niemandsland | „Tausende von einsamen afghanischen Jugendlichen bahnen sich ihren Weg durch Europa.“ Darauf wies die Journalistin Caroline Brothers 2009 in einem Artikel hin, in dem sie vom Schicksal unbegleiteter Minderjähriger berichtete, die vor Gewalt und Armut flüchten. In Niemandsland, ihrem ersten Roman, begleitet sie zwei Brüder auf ihrer dramatischen Flucht. Der Jüngere hat die Stationen der Reise auswendig gelernt, falls er von seinem Bruder getrennt werden sollte: „KabulTeheranIstanbulAthenRomParisLondon!“ Es wird aber mit jeder Grenze schwieriger, in die „Festung Europa“ vorzudringen. Dieses Buch sollte uns die Augen öffnen: Dafür, wo wir leben – und ob wir wirklich wollen, dass mit Menschen, die hier eine Zukunft für sich sehen, so grausam umgegangen wird, wenn sie die Grenzen überschreiten. Bettina Klix
Bloomsbury Berlin, 2012, Ü: Monika Schmalz, 260 S., 19,90 €