Neuer Film, echter Himmel, großes Publikum - und Tickets, die bezahlt werden, ehe es losgeht

VON Stephan Kolbe und Karin Wenk

Auf der Videoplattform kino.to konnte man sich kostenlos bedienen, bis die Staatsanwaltschaft dem ein Ende setzte. Ohne Bezahlung fanden Nutzer/innen dort ein riesiges Arsenal an Filmen und Serien, die sie sich direkt ansehen konnten. Die Betreiber verdienten Millionen über Werbeeinnahmen. Die Filmschaffenden gingen leer aus. Auch wenn es kino.to nicht mehr gibt, mit kinox.to hat die Seite längst einen Nachfolger gefunden. Daneben existieren zahlreiche weitere Streaming-Plattformen und sogenannte Tauschbörsen, in denen User Inhalte anbieten und herunterladen.

Wovon leben die Kreativen?

Doch dieser Zugang zu kreativen Inhalten im Netz ist nur auf den ersten Blick kostenfrei - und zwar nur für die Nutzer. "Wer urheberrechtlich geschützte Inhalte illegal im Internet konsumiert, enteignet die Kreativen, deren ökonomische Basis das Urheberrecht und die damit verbundenen Verwertungsrechte sind", sagt Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender und Leiter des Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie. Es sei ein Unterschied, ob man im Netz eine Nachrichtenseite aufrufe, die der Verlag kostenfrei anbietet, oder sich die Kopie eines Films anschaue, der gerade erst im Kino angelaufen und damit allein zur Kinoverwertung freigegeben ist. "Natürlich kann jeder Kreative seine Inhalte auch umsonst im Netz anbieten, aber das entscheidet der Urheber und nicht der Nutzer." Für die Masse der Kreativen gelte auch im Internetzeitalter, dass sie von ihrer schöpferischen Arbeit leben wollen - was für die Produzenten anderer Güter selbstverständlich sei. Daher seien sie auf ihr Urheberrecht angewiesen.

Wie diese Rechte im digitalen Zeitalter durchgesetzt werden können, darüber erhitzen sich die Gemüter. Wenn aufgrund der technischen Möglichkeiten jede/r alles und überall ungehindert kopieren und konsumieren kann, müssen dann die Kontroll- und Sanktionsmechanismen zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen ausgebaut werden? Oder müssen sich die Kreativen dem technisch Möglichen und den Wünschen der Nutzer beugen? Eine Lockerung des Urheberrechts hinnehmen?

Die politischen Parteien plädieren für unterschiedliche Umbauten am Urheberrecht. Für die Piratenpartei, den parlamentarischen Arm der Netzgemeinde, ist das Urheberrecht ein Schlüsselthema. Während die Piraten viele geltende Regelungen in Frage stellen, setzen CDU und CSU auf mehr Sanktionsmöglichkeiten bei Rechtsverstößen und denken über die Einführung von Warnhinweisen nach. Grüne und Linke diskutieren eine "Kulturflatrate" als Modell für eine pauschale Vergütung der Kreativen. Die SPD lehnt die Flatrate ab. Klar ist: Eine Weiterentwicklung des Urheberrechts ist notwendig - sowohl aus Sicht der Kreativen als auch der Verbraucher.

Zum Urheberrecht gehört auch das Persönlichkeitsrecht, wonach Urheber/innen entscheiden, ob und wie ihre Werke genutzt werden. Für private Kopien zahlen wir alle schon heute kleine pauschale Vergütungen für die Schöpfer von Musik, Bildern, Artikeln, Filmen - immer dann, wenn wir kopierfähige Geräte wie Drucker, Scanner und Computer oder einen Datenträger wie CD-ROM und USB-Stick kaufen. Diese pauschalen Vergütungen werden dann über die Verwertungsgesellschaften an die Kreativen ausgeschüttet.

Einer ähnlichen Logik folgt die Idee der Kulturflatrate. Hierbei soll das Vervielfältigen digitaler Inhalte im Internet für den privaten Gebrauch legalisiert und durch Pauschalabgaben abgegolten werden, zum Beispiel monatlich auf den Internetanschluss. Damit würden Tauschbörsen de facto legalisiert. Doch was im ersten Moment verlockend einfach klingt, birgt eine Menge Fragen: Welche Inhalte soll die Flatrate umfassen - neben Musik, Videos und E-Books auch Computerspiele und Software? Ist es gerechtfertigt, wenn alle für den Konsum von bestimmten Nutzergruppen zur Kasse gebeten werden? Und wo bleibt das Persönlichkeitsrecht der Urheber/innen?

"Eine Kulturflatrate ist untauglich - sowohl für Urheber als auch für Verbraucher", sagt Frank Werneke. "Weder gibt es seriöse Berechnungen, wie hoch eine solche Abgabe ausfallen müsste, noch ist sie in Sachen Datenschutz unproblematisch." Denn auch bei einer Flatrate müsste erfasst werden, welche Inhalte wie oft gehört oder gesehen werden, um die Vergütungen für die Kreativen entsprechend auszuschütten. Werneke spricht sich stattdessen dafür aus, dass die Inhalte im Netz bezahlt werden - von denen, die sie nutzen.

Für erfolgversprechender als die Kulturflatrate hält ver.di es deshalb, die bestehenden Regeln des Urheberrechts konsequent umzusetzen und die rechtlich vorgeschriebene angemessene Vergütung kreativer Arbeit ernst zu nehmen: Von der Durchsetzung entsprechender Verträge für Journalisten, Musikerinnen, Filmleute und andere Kreative in Presse, Rundfunk und Internet bis zur Einführung eines Verbandsklagerechts, damit nicht Einzelne gegen rechtswidrige Klauseln klagen müssen, sondern ein Verband wie ver.di das für sie übernehmen kann.

Die Gruppe zur Koordination des Urheberrechts in ver.di spricht sich außerdem dafür aus, konsequent gegen Betreiber rechtswidriger Tauschbörsen oder Streaming-Seiten im Internet vorzugehen. Sie fordert, die indirekten Profiteure dieser Angebote in die Verantwortung zu nehmen: die Werbewirtschaft und die Anbieter von Bezahlsystemen im Internet. Zudem sollen Verbraucher, die gegen das Urheberrecht verstoßen haben, ermahnt werden und eine Mahngebühr zahlen. Die soll beim ersten Verstoß die Höhe des Verwaltungsaufwands jedoch nicht übersteigen. Das wäre keine Riesensumme. "Da nicht jeder Fehltritt im Netz mutwillig und wissentlich geschieht, kann mit so einer maßvollen Sanktion den Verbrauchern die Bedeutung des Urheberrechts verdeutlicht werden", sagt Werneke. Die Forderung stehe deshalb bewusst im Gegensatz zum Abmahn(un)wesen, mit dem manche Anwaltskanzlei ihr Geschäftsmodell auf das Eintreiben oft überzogener Schadensersatzforderungen aufgebaut hat.

Für sanfte Sanktionen

In einigen Ländern wie in Frankreich werden Urheberrechtsverletzungen massiver verfolgt, bis zur Kappung des Internetanschlusses bei mehrfachem Verstoß. "Netzsperren wird es mit ver.di nicht geben. Die stehen in keinem Verhältnis zur Straftat", so Werneke. "Was den Kreativen mehr bringt, sind urheberfreundlichere Strukturen. Verwerter und Plattformen wie Youtube müssen immer wieder daran erinnert werden, dass sie eine Verantwortung für Urheberrechte haben." Deshalb müssten sie die Schöpfer angemessen an den Erlösen beteiligen.

kino.to ist Vergangenheit. Die Freiheit, mit der Leistung anderer unrechtmäßig Geld zu machen, tauscht der Gründer gegen eine Gefängniszelle ein. Er wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt.

ACTA vor der Abstimmung

Heftige Proteste hat das Dokument Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) hervorgerufen. Zehntausende - auch in Deutschland - gingen dagegen auf die Straße. ACTA wird derzeit im Europäischen Parlament beraten, Anfang Juli steht es zur Abstimmung. Ein Scheitern ist wahrscheinlich. Entwicklungs-, Innen-, Industrie-, Rechts- und Handelsausschuss haben den Entwurf bis 21. Juni bereits abgelehnt.

ACTA ist ein internationales Abkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie sowie von Urheberrechtsverletzungen. Ziel ist es, einheitliche Mindeststandards festzulegen. Die öffentliche Kritik richtet sich dagegen, dass das Vertragswerk intransparent, quasi im Geheimen, zustandegekommen ist. Sie wendet sich auch gegen die inzwischen nicht mehr enthaltene Forderung, Internetsperren als Sanktionsmaßnahme einzuführen.

"Die Angst vor ACTA ist nachvollziehbar, aber unbegründet", sagt ver.di- Vize Frank Werneke, "denn ACTA hätte in Deutschland nicht zu rechtlichen Änderungen geführt, weil wir bereits ein hohes Schutzniveau haben. In anderen Ländern sieht das anders aus."