Ausgabe 06/2012
Gewerkschafter gnadenlos gemobbt
Wie die Möbelkette mit dem Elch in der Türkei ihr Geschäft auf Kosten ihrer Beschäftigten brummen lässt
Sieht aus wie überall, die Ikea-Filiale in Istanbul, in der Hasan Esmer bis Ende Februar noch arbeitete
Hasan macht einen eher zurückhaltenden Eindruck. Er redet leise und eigentlich nur, wenn er gefragt wird. Er kleidet sich unauffällig und ist von eher schmächtiger Statur. Dennoch ist Hasan zu einem Symbol des Widerstands geworden. "Ich wollte das nicht", sagt er, "ich wollte mit denen schon gut auskommen. Aber sie sollen uns ehrlich behandeln und unsere Rechte respektieren". "Sie", das sind die Bosse von Ikea in der Türkei.
Hasan Esmer, 32 Jahre alt, sitzt in einer kleinen, geschmackvoll eingerichteten Wohnung, die er zusammen mit seiner Mutter in Istanbul bewohnt. Das Viertel, in dem die beiden leben, liegt im Schatten der Bankentürme des Istanbuler Finanzdistrikts Levent. Es gehört nicht zur Schokoladenseite der Stadt, vom Wachstum der vergangenen Jahre ist hier nichts zu sehen. "Die Leute sind arm, aber der soziale Zusammenhalt ist gut", sagt Hasan. Man kennt sich und hilft sich. Seit März ist Hasan ein weiterer Mann in der Nachbarschaft, der keine Arbeit mehr hat. Ende Februar hat Ikea ihn nach knapp sechs Jahren, die er bei dem größten Möbelhaus der Welt beschäftigt war, gefeuert. "Man hat mir vorgeworfen, Anweisungen nicht zu befolgen, aufsässig zu sein. Aber das ist alles Quatsch. Sie haben mich gefeuert, weil ich in die Gewerkschaft eingetreten bin und im Betrieb auch für die Gewerkschaft geworben habe." Alles andere, sagt Hasan, "ist nur ein Vorwand".
Sein Arbeitsgerichtsprozess, den er mit Unterstützung seiner Gewerkschaft Koop-Is führt, schleppt sich hin, er wird noch bis Ende des Jahres Arbeitslosengeld bekommen, dann ist Schluss. Doch selbst wenn er den Prozess gewinnt, wird er kaum eine Chance haben, wieder bei Ikea anzufangen. "Die wollen mich nicht mehr", sagt Hasan, "wenn ich gewinne, zahlen sie mir eine Abfindung". Das werden ungefähr acht Monatslöhne sein, knapp 10.000 Lira, umgerechnet 4000 Euro. Für Ikea ein Klacks. Seit der Konzern vor knapp 10 Jahren in die Türkei kam, brummt das Geschäft. In der 15-Millionen-Metropole Istanbul gibt es bereits zwei Läden, ein dritter ist in Planung und soll nächstes Jahr eröffnet werden. Dazu kommen Ikea-Läden in Ankara, Izmir und Bursa. Und Ikea will in weitere Städte expandieren.
Das Betriebsklima ist schlecht
Aziz Hacisalihoglu, Vorsitzender der Koop-Is in Istanbul
"Für Ikea", sagt Aziz Hacisalihoglu, der Istanbuler Vorsitzende der Gewerkschaft Koop-Is, "ist die Türkei eine Goldgrube. Die Leute stürmen die Läden regelrecht." Allein an ihrem Hauptsitz im Istanbuler Stadtteil Ümraniye, kassieren die "an einem Wochenende eine Million Lira (rund 450.000 Euro)", schätzt Aziz Hacisalihoglu. Doch das schnelle Wachstum und die hohen Profite werden auf dem Rücken der Beschäftigten erwirtschaftet. "Das Hauptproblem ist", sagt der charismatische Gewerkschaftsführer, "dass Ikea zu wenig Leute einstellt. Deshalb gibt es einen hohen Arbeitsdruck. Ständig werden Überstunden erwartet, die aber nicht bezahlt werden. Die Arbeitsintensität ist enorm hoch, die Leute sind überlastet, deshalb ist das Klima im Betrieb schlecht."
Die meisten Beschäftigten werden zwar regulär sozialversicherungspflichtig angestellt, aber die Löhne sind unterer Durchschnitt. Ein einfacher Arbeiter bekommt 1100 Lira brutto, das sind knapp 500 Euro, ein Supervisor vielleicht 100 Euro mehr. Wer sich gegen den Arbeitsdruck wehrt, wer überhaupt nur kritische Fragen stellt, hat mit keinerlei Verständnis zu rechnen. "Die Leute werden gnadenlos gemobbt", sagt Aziz Hacisalihoglu. Die bevorzugten Opfer des Mobbings sind aktive Gewerkschafter/innen.
Hasan kann davon sehr plastisch erzählen. "Als die Geschäftsführung durch einen Kollegen erfahren hatte, dass ich im Betrieb für den Eintritt in die Gewerkschaft geworben habe, ging der ganze Ärger los." Hasan arbeitete als Supervisor an der Kassenaufsicht. Er war auch für Beschwerden von Kunden zuständig. "Manchmal wurden die richtig pampig, und ich musste das dann abfangen. Außerdem waren wir dafür zuständig, dass an den Kassen alles lief. Meine Freundin arbeitet als Kassiererin, wir haben kein Geheimnis aus unserer Beziehung gemacht, jeder wusste Bescheid. Doch nachdem die Geschäftsführung mitbekommen hat, dass ich in der Gewerkschaft bin, hat sie das plötzlich zu einem Problem gemacht. Man hat angedeutet, gemeinsam könnten wir Ikea betrügen."
Vom Abteilungsleiter zum Rapport bestellt
Hasan wurde vom Supervisor zum einfachen Arbeiter degradiert und im Laden herumgeschoben. Er protestierte, doch es nutzte nichts. Stattdessen wurde er immer wieder von seinem Abteilungsleiter zum Rapport einbestellt und mit negativen Berichten konfrontiert. Jede Beschwerde Hasans wurde zum Anlass genommen, ihn schlechter zu behandeln. Er bekam die unattraktivsten Schichtdienste zugeschoben. "Dann", sagt Hasan, "holten sie auf einmal Berichte hervor aus der Zeit, als ich noch für Kundenbeschwerden zuständig war. Ich hätte Kunden beleidigt, hieß es." Ein Abteilungsleiter sagte offen, die Rechtsabteilung des Hauses habe das angeordnet, um Hasans Kündigung vorzubereiten.
Hasan vor dem Wohnhaus, in dem er in Istanbul mit seiner Mutter lebt
Ende Februar dieses Jahres war es dann soweit - Ikea setzte Hasan Esmer vor die Tür. Der Zeitpunkt war kein Zufall und auch die Person Hasan Esmer nicht. Die Geschäftsleitung von Ikea Türkei wollte ein Zeichen setzen.
Denn just im März, kurz darauf, gab es in Istanbul ein internationales Treffen von Ikea-Betriebsräten aus aller Welt, auf dem eine "Ikea global Union Alliance" für alle gewerkschaftlich organisierten Ikea-Beschäftigten gegründet wurde. Mit dem Zusammenschluss soll vor allem erreicht werden, dass die Standards, die für Ikea-Beschäftigte in Schweden, Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern selbstverständlich sind, auch in Osteuropa und den Schwellenländern, in die Ikea verstärkt drängt, durchgesetzt werden.
Zwei Jahre zuvor hatte Koop-Is in den türkischen Ikea-Filialen begonnen, die Beschäftigten zu organisieren. Gewerkschaftliche Arbeit findet in der Türkei nur unter sehr erschwerten Bedingungen statt. Damit eine Gewerkschaft in einem Konzern tätig werden kann, muss sie nachweisen, dass sie 50 Prozent der Beschäftigten plus 1, in ihren Mitgliedslisten hat. Wer Gewerkschaftsmitglied werden will, muss deshalb seinen Beitritt notariell beglaubigen lassen, was unverhältnismässig teuer ist. Für türkische Konzerne ist es deshalb die einfachste Strategie, sich die Gewerkschaft vom Hals zu halten, zu verhindern, dass diese das gesetzliche Quorum von 50 Prozent plus 1 erreicht.
Um dieses Ziel wird zäh gekämpft. Ikea ist dabei nicht zimperlich. In Istanbul, erzählt Aziz Hacisalihoglu, haben sie sogar versucht, einen Spitzel in die Gewerkschaft einzuschleusen. Der sollte Informationen über die Absichten der Gewerkschaftsführung und den Organisationsgrad beschaffen. Die Gewerkschaft versucht die Zahl ihrer Mitglieder geheim zu halten, um unbemerkt von der jeweiligen Konzernführung das notwendige Quorum zu erreichen. Allerdings ist sie natürlich auf Leute angewiesen, die innerhalb des Betriebes für einen Gewerkschaftsbeitritt werben und sich dabei als Gewerkschafter outen müssen. Gegen diese richtet sich dann die Mobbing-Strategie des Konzerns.
Einer von diesen Gewerkschaftern bei Ikea war Hasan Esmer. Er hat sein Engagement mit seinem Rausschmiss bezahlt. Und da Koop-Is das Quorum bei Ikea noch nicht erreicht hat, konnte seine Gewerkschaft auch wenig für ihn tun. "Wir sind natürlich für unsere Leute da", sagt Aziz Hacisalihoglu, "wir unterstützen sie moralisch, aber im Betrieb können wir nicht als Verhandlungspartner auftreten".
Deniz Akdogan, Mann fürs Internationale bei Koop-Is
In dieser schwierigen Situation fand die internationale Tagung der Ikea-Betriebsräte in Istanbul statt. Vertreter des internationalen Ikea-Managements sagten Dialog und gute Zusammenarbeit zu. Deniz Akdogan, in der Koop-Is-Zentrale in Ankara für internationale Beziehungen zuständig, ist stolz, dass es ihm im Frühjahr gelungen war, das Treffen nach Istanbul zu holen. "Unsere Kontakte zu den Kollegen im Ausland sind jetzt viel besser, wir können auf mehr Unterstützung von außen hoffen."
Die unmittelbare Wirkung des Treffens war für Koop-Is und die Ikea-Beschäftigten in der Türkei jedoch erst einmal negativ. "Statt besser ist es noch viel schlechter geworden", sagt Deniz Akdogan. Der Konzern steigerte den Druck auf Gewerkschaftsmitglieder, statt auf den geforderten Dialog einzugehen. Erleichtert wird Ikea die harte Linie in der Türkei dadurch, dass ihre Filialen am Bosporus von dem Franchiseunternehmen "Mapa Mobilya" geführt werden und juristisch damit rein türkische Unternehmen sind.
"Natürlich", sagt Deniz Akdogan, "könnte Ikea bei Mapa durchsetzen, dass sie ihre Leute anständig behandeln, aber warum sollten sie? Mapa verdient für Ikea einen Haufen Geld."
"Wie viel Angst muss der gehabt haben?"
Insgesamt hat Ikea in der Türkei zurzeit rund 2000 Beschäftigte. In der Ikea-Filiale in Bayrampasa, wo Hasan gearbeitet hat, gibt es ungefähr 350 Mitarbeiter. Vor seinem Rausschmiss waren davon rund 180 Beschäftigte in der Gewerkschaft. "Mit Hasans Rauschmiss haben viele Beschäftigte Angst bekommen", sagt der Istanbuler Gewerkschaftsvorsitzende. "Ungefähr 40 Leute sind nach seiner Kündigung von der Geschäftsleitung derart bedrängt worden, dass sie aus der Gewerkschaft wieder ausgetreten sind." Aziz Hacisalihoglu knallt ein Dokument auf den Tisch. "Dies ist die Austrittserklärung eines Ikea-Mitarbeiters, der nie in der Gewerkschaft war", sagt Aziz und fragt: "Wie viel Angst muss der gehabt haben?"
Hasan Esmer und seine Freundin, noch Kassiererin bei Ikea
Es ist Ende August, die Ferien und der muslimische Fastenmonat Ramadan sind vorbei, und Koop-Is beginnt mit großen Protestaktionen bei Ikea. "Wir werden jedes Wochenende vor den Ikea-Einkaufszentren demonstrieren. Man kann sich auch vorstellen, dass hundert Leute mit vollgefüllten Wagen zur Kasse gehen und dann entscheiden, doch nichts zu kaufen. Das würde ein ziemliches Chaos verursachen. Viele Aktionsformen sind denkbar."
Entscheidend aber wird sein, dass Koop-Is von den Ikea-Kolleg/innen im Ausland unterstützt wird. "Eine Delegation schwedischer Gewerkschafter war erst kürzlich da", erzählt Deniz Akdogan. "Die haben uns versprochen, parallel zu unseren Aktionen auch in Schweden zu demonstrieren und für öffentlichen Druck zu sorgen." "Als wir vor einigen Jahren eine ähnliche Kampagne beim Praktiker-Markt gemacht haben", sagt Aziz Hacisalihoglu, "hat uns auch ver.di sehr unterstützt." Darauf hoffen die türkischen Gewerkschafter jetzt wieder. Auch Hasan will sich an den Protestaktionen beteiligen. "Ich hab ja jetzt nichts mehr zu verlieren, und auch meine Freundin hat von Ikea die Nase voll. Sie will demnächst aufhören."
Wir gehen mit Hasan zusammen noch einmal zu seinem alten Arbeitsplatz. Er war schon lange nicht mehr da, das letzte Mal hat der Sicherheitsdienst ihn erst gar nicht reingelassen. Dieses Mal hält ihn niemand auf. Die meisten alten Kollegen freuen sich, ihn wiederzusehen. Überall wird er freundlich begrüßt. Doch der Sicherheitsdienst lässt nicht lange auf sich warten. Der Laden ist komplett videoüberwacht. Hasan stellt uns als Gäste aus Deutschland vor. "Die wollen hier die Preise vergleichen", sagt er. "Na dann", murmelt der Aufpasser und lässt uns ziehen. Doch Hasan ist froh, als er wieder draußen ist. Der clevere Elch hat ihm nicht gut getan.
Weltweite Allianz der Ikea-Beschäftigten
Bei einem Treffen von 20 Gewerkschaften aus 14 Ländern wurde im März 2012 in Istanbul für die rund 100.000 Beschäftigten im weltweiten Ikea-Konzern eine "IKEA global Union Alliance" gegründet. Sie will dafür sorgen, dass die Rechte der Beschäftigten in allen Ländern, in denen Ikea präsent ist, denen in Schweden und Deutschland angeglichen werden. Die globale Allianz derjenigen Gewerkschaften, bei denen Ikea-Beschäftigte organisiert sind, soll vor allem die Kollegen in den Schwellen- und Drittweltländern unterstützen, in denen Gewerkschaften stark behindert werden und die gesamte arbeitsrechtliche Situation den westeuropäischen Verhältnissen noch stark hinterherhinkt. Als erstes forderte die gewerkschaftliche Allianz vom Ikea-Management, dass "in allen IKEA-Filialen weltweit der Zugang und die freie Betätigung für Gewerkschaften garantiert wird".
Gegründet wurde die weltweite Allianz für die Ikea-Mitarbeiter/innen unter dem Dach von UNI, dem weltweiten Dachverband für Dienstleistungsgewerkschaften mit Sitz in der Schweiz. Der Zusammenschluss fand bewusst in der Türkei statt: Seit zwei Jahren versucht die Gewerkschaft KOOP-Is, die für die Beschäftigten von Ikea zuständig wäre, in dem Betrieb Fuß zu fassen. Die Ikea-Angestellten in Istanbul und Ankara klagen über schlechte Bezahlung, lange Arbeitszeiten und auch fehlende soziale Absicherung, weil viele nicht mehr sozialversicherungspflichtig angestellt werden, sondern auf Honorarbasis jobben müssen.