Der Verdingbub | Der Käse! Die Berge! Die Nummernkonten! Doch selbst die Schweiz hat ihre Schattenseiten. Dort wurden von 1800 bis in die Nachkriegszeit die sogenannten Verdingkinder wie Leibeigene benutzt, Waisen oder auch Kinder von mittellosen, allein erziehenden Müttern. An Bauern „verdingt“, verfrachtete man sie auf deren Höfe, als unbezahlte Arbeitstiere: Misshandlungen, Todesfälle, Landleben Noir. Im Film schleicht die Kamera durch die düsteren, aus Holz gezimmerten Räume eines heruntergewirtschafteten Hofs. Und arg hölzern stapft auch Katja Riemann als böse Bäuerin umher. Frustration macht sie zur Feindin der beiden Verdingkinder, die ohne Liebe auskommen müssen und ohne Rechte. Während der Bub auf den Steilhängen schuftet, wird das schutzlose Mädchen – die Magd – vom Sohn der Landwirte vergewaltigt, jede Nacht. Wer sich vom Stress auf der Arbeit ein wenig ablenken möchte, kann in diesem Alpendrama das Gruseln lernen. Heute leben noch etwa 10.000 Ex-Verdingkinder in der Schweiz; Entschädigungszahlungen werden diskutiert. Jutta Vahrson

CH 2011 R: MARKUS IMBODEN. D: MAX HUBACHER, STEFAN KURT, MAXIMILIAN SIMONISCHEK, KATJA RIEMANN, LISA BRAND, 103 MIN., KINOSTART 25.10.2012


Die Wand | Als unverfilmbar galt Marlen Haushofers viel beachteter Roman nach seinem Erscheinen, doch mit einem genialen Kunstgriff widerlegt Regisseur Pölsler diese Behauptung: Bild und Ton laufen auf separaten Spuren nebeneinander her. Visuell zeichnet der Film das Trauma einer Frau nach, die plötzlich mitten in herrlichem Gebirge vor einer unüberwindbaren Wand steht, hinter der alles tot zu sein scheint. Dazu spricht die Darstellerin aus dem Off Haushofers Prosa, stimmungsvoll untermalt von Klängen aus Bachs Violinpartiten. Martina Gedeck meistert den nur leicht gekürzten originalen Text in einem unverwechselbaren introvertierten Ton, in dem Schmerz, Trauer und Überlebenswillen mitschwingen. Mit einem Hund, einer Kuh und einer Katze muss ihre Heldin überleben, die sich allmählich zu einer Lebenskünstlerin entwickelt. Allerdings weniger als apokalyptisches Szenario oder feministische Robinsonade deutet Pölsler Haushofers kontrovers interpretierbaren Gedankenstrom schlüssig als Zustand einer Depression. Kirsten Liese

D/A 2011. R: JULIAN ROMAN PÖLSLER. D: MARTINA GEDECK. D: 108 MIN. KINO-START: 11. OKTOBER.