Ausgabe 07/2012
Wenn beim Presssack ein „s” fehlt
Wenn beim Presssack ein "S" fehlt
Was vielen Menschen dröge erscheint, ist meine Leidenschaft: Sprache, Grammatik und Orthografie. Das war schon in der Grundschulzeit so. Ich war wahrscheinlich der einzige Schüler, der sich in der Stadtbibliothek mit Nachschlagewerken zur deutschen Sprache eingedeckt hat. Seit einem Jahr arbeite ich als Berater in der Orthografie- und Normberatungsstelle am Zentrum für Sprache und Kommunikation der Universität Regensburg. Ich berate Studierende bei Haus- und Abschlussarbeiten in Sachen Grammatik und Formalitäten. Außerdem biete ich wöchentlich zwei Rechtschreibworkshops für Studierende an, für die Deutsch Fremdsprache ist. Dafür arbeite ich Übungen aus, erstelle Folien und Präsentationen. In der vorlesungsfreien Zeit finden die Workshops nicht statt, stattdessen veranstalte ich kurze Trainingskurse für Sekretär/innen oder Dozent/innen aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache.
Der Postler an der Uni
Mittwochs und freitags habe ich Sprechstunden, in denen Studenten mit Haus- oder Bachelorarbeiten zu mir kommen. Wir gehen die Texte gemeinsam durch und suchen Fehler. An anderen Tagen arbeite ich Professoren Material für Vorlesungen oder Seminare zu. Das heißt, dass ich in der Bibliothek oder am Schreibtisch nach Lösungen für schwierige Fragen suche. Dazu kommen Mails und Anrufe von Studierenden oder Mitarbeitern: Kommt hier ein Komma hin, werden diese Worte zusammen oder getrennt geschrieben? Der Bedarf ist groß, mit so einer Flut von Anfragen hätte ich nicht gerechnet.
An der Universität kann ich Ideen entwickeln und umsetzen - und das, obwohl ich hier ein Exot bin. Denn eigentlich bin ich Beamter bei der Deutschen Post AG. Nach der mittleren Reife habe ich im Unternehmen eine Ausbildung gemacht. Zuletzt habe ich im Briefzentrum Regensburg gearbeitet. Zur klassischen Postler-Laufbahn gehört auch die Mitgliedschaft bei ver.di, das ist selbstverständlich. Die Stelle an der Uni konnte ich annehmen, weil ich von der Post abgeordnet wurde. Das empfinde ich als riesiges Glück. Ich bin inzwischen seit Jahrzehnten an meinem Thema dran, habe darüber Bücher bei Verlagen wie Duden oder Langenscheidt veröffentlicht. Die Kollegen in der akademischen Welt kennen mich inzwischen. Am Anfang hat mancher aber sicher gestutzt, als da auf einmal jemand ohne Abitur als Rechtschreib-Experte auftauchte und Menschen beraten sollte, die ein klassisches Germanistikstudium hinter sich hatten.
Grammatik ist für mich nichts Trockenes. Mich fasziniert, wie die Regeln Kommunikation möglich machen und die Verständigung erleichtern. Aber immer weniger Menschen beherrschen sie wirklich. Wenn ich durch die Stadt laufe und Rechtschreibfehler sehe, fällt mir das natürlich auf. Ich stürme aber nicht in die Metzgerei, wenn der Presssack mal wieder ein "s" zu wenig hat. Auch wenn ich den Studierenden vermitteln will, wie es richtig geschrieben wird: Solche Fehler sind kein Weltuntergang.
PROTOKOLL: Susanne Kailitz