Launische Legende

Eine Dame in Paris | Wer genau die Pariser Dame des Titels nun sein soll, lässt der Film offen. Ist es die grummelige, vor Jahrzehnten eingewanderte Wohlhabende, die zum Frühstück Buttercroissants aus der Edel-Boulangerie verlangt? Oder ihre frisch aus Osteuropa importierte Pflegerin, die sich vom still dienenden Provinzmütterchen in eine selbstsichere Städterin verwandelt? Beide Frauen stammen, wie Regisseur Ilmar Raag, aus Estland. Beide hat die Sehnsucht nach einem Leben angetrieben, wie es nur in charismatischen Metropolen möglich zu sein scheint. Und es gibt diesen Mann, der verliebter Arbeitgeber der Pflegerin ist, gleichzeitig aber der treue Ex-Lover der Kranken. Eine erotische ménage à trois böte sich an. Doch die in Filmen und Romanen gefeierte ‚Stadt der Liebe‘ lässt Wünsche offen, selbst in einem Stuckdeckendomizil um die Ecke vom Arc de Triomphe.

Stattdessen machen sich die drei bloß das Leben und die Liebe schwer. Dass das nicht bedrückend, sondern spannend wirkt, liegt vor allem an der Besetzung der mies gelaunt kränkelnden Appartementbesitzerin: Die 85-jährige Kinolegende Jeanne Moreau in ihrer 140sten Rolle. Einhundertundvierzig Mal Dreharbeiten, das Denken, Sprechen und Bewegen als Filmfigur während der Arbeit als Schauspielerin. Ob hier in der Satinmorgenrobe durch ihre Gemächer wallend, angekleidet und ausführlich geschminkt auf dem Bett liegend oder als verwöhnter Gast im Bistro ihres Ex. Oder als alte, der Erschöpfung verfallene Frau, die durch ihre Egozentrik schon viele Freunde und Liebhaber verloren hat und vielleicht sogar die Option, mit ihren Mitmenschen jemals glücklich werden zu können. In jeder Szene spürt man Moreaus Leinwandpräsenz. Und das Echo ihrer rasanten Filmographie.

Da ist ihr gefährlicher Durchsetzungswille aus Fahrstuhl zum Schaffott, 1958, vor 55 Jahren der Karrierestart für sie und Jungregisseur Louis Malle. Das Begehrtwerden aus Jules et Jim, 1962 von Francois Truffaut. Die Eleganz und Lebensklugheit in Nikita, 1990 von Luc Besson gedreht. Doch spielt sich Jeanne Moreau nicht in den Vordergrund, sondern lässt ihren wesentlich jüngeren Schauspielerkollegen, Laine Mägi und Patrick Pineau, den Raum zur Entfaltung. Gleichzeitig entwickelt sie die Persönlichkeit ihrer Filmfigur. Und im Gegensatz zu Michael Hanekes übermäßig gefeierter Beziehungstragödie Amour wird es dann einen Neuanfang geben, für diese Damen in Paris. Jutta VahrsonF/EST/B 2012 R: ILMAR RAAG, 94 MIN., KINOSTART: 18.4.13


Die Jagd | Kinder lügen nicht, heißt es. Aber das lässt sich ebenso wenig verallgemeinern wie die Annahme, alle Männer seien Schweine. Die kleine Klara zumindest belastet ihren Kindergärtner mit dem falschen Vorwurf, er habe sie sexuell missbraucht, keineswegs in unschuldiger Naivität. Die Kleine will sich an ihrem Erzieher rächen, weil er sie auf Distanz gehalten hat. Prompt treibt sie der eilends herbeigeholte Psychologe durch Suggestivfragen immer weiter ins Lügengeflecht hinein – die Hexenjagd auf einen Unschuldigen ist eröffnet. Wie aus einem Wort erst ein Verdacht und schließlich ein Urteil erwächst, das den Ausschluss aus der Gemeinschaft besiegelt, schildert Regisseur Vinterberg unnachgiebig realistisch und unabhängig von jedweden pädagogischen oder feministischen Ideologien. Ihm gelingt damit das scharfsichtige Psychogramm einer Gesellschaft, die über ihre übertriebene Sorge vor Kindesmissbrauch paranoid geworden ist. Nicht nur die Dänen sollte dieser kaum erträgliche, aber großartige Film alarmieren! Kirsten Liese

DÄNEMARK/SCHWEDEN. R. THOMAS VINTERBERG. D: MADS MIKKELSEN, ANNIKKA WEDDERKOPP, THOMAS BO LARSEN U. A., 111 MIN., KINOSTART: 28.3.13


Anfang 80 | Ex-Betriebsrat Bruno transportiert seinen eingeschläferten Kater durchs sommerlich blühende Wien. Dabei trifft er auf Rosa. Die hat gerade eine Röntgenassistentin geohrfeigt und sich darauf samt ihren Metastasen aus dem Hospital entlassen. Die Krebskranke lässt sich zu einer Busfahrt einladen, um Brunos Liebling ebenso sentimental wie illegal in einem Parkbeet zu beerdigen: der Beginn einer wunderbaren Verliebtheit zwischen zwei Leuten über achtzig. Die beschließen, trotz Brunos öder Ehe und Rosas Krebs den Neuanfang zu wagen und zusammenzuziehen. Doch ihre erwachsenen Kinder und Nichten wollen das verhindern, mit Wohnungskündigung, Entmündigung, Polizeieinsatz. Die Altersheimleiterin duldet bloß stummes Frühstücken, aber keinen Seniorensex. Das Pärchen widersetzt sich allen und allem. Zumindest, solange es geht. „Das Alter ist ein unbekannter Planet, ein unbekannter Kontinent, und da wird es auch ganz gerne hin geschoben“, meinen die Regisseure und drehten diese rebellische Sommertragödie. Jutta Vahrson

ÖSTERREICH 2012, R: SUSANNE HIEBLER, GERHARD ERTL. D: CHRISTINE OSTERMAYER, KARL MERKATZ, BRANKO SAMAROVSKI, 9O MIN., KINOSTART: 28.3.13