Dieses Blut nicht wegwischen

Diaz – Don’t clean up this Blood | „Das ist dein letzter G8-Gipfel“, sagt der italienische Carabinieri und knüppelt weiter auf einen am Boden liegenden und vor Schmerzen schreienden jungen Mann ein. Blut spritzt aus einer klaffenden Kopfwunde. Neben den beiden schlagen andere Polizisten auf Frauen und Männer ein, die mit ihren Armen versuchen, ihre Köpfe vor den Schlagstöcken zu schützen. Überall bilden sich Blutlachen, Rinnsale von Blut ziehen sich durch die Stockwerke des Gebäudes, in dem dieses Massaker stattfindet. Das Blut in der Diaz-Pascoli-Schule in Genua ist inzwischen weggewischt. Zwölf Jahre ist es her, dass in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli sieben Mannschaften der italienischen Polizei das Schulgebäude im Zentrum der Hafenstadt stürmten, das dem Sozialforum als Basis, Medienzentrum, Versorgungsstation und Unterkunft während des G8-Gipfels diente. Am 20. Juli 2001, dem ersten Tag der Proteste gegen die Politik der sogeannten G8-Staaten, war der 23-Jährige Carlo Giuliani von einem Polizisten mit einem Kopfschuss getötet worden. In der Folge kam es auf der Straße immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden. Steine und Flaschen flogen auf die Blauhelme, die setzen Tränengas und Wasserwerfer ein.

Soweit ist das alles bekannt. Doch wer sich Daniele Vicaris Film Diaz ansieht, der jetzt als DVD erscheint, erhält ein Bild von dem Geschehen, das sämtliche Vorstellungen, die man von den Ereignissen 2001 noch präsent hat, ins unvorstellbar Schreckliche verweist. Vor allem an der Filmfigur Alma Koch zerbrechen die letzten Funken Hoffnung auf Gerechtigkeit, die man vielleicht noch hatte. Wie die allermeisten Gipfelgegner ist sie durch den Tod Giulianis geschockt. Kann ihrer Aufgabe im Sozialforum, sich um bereits inhaftierte Demonstranten zu kümmern, kaum noch nachkommen. Und muss dann selbst in der Diaz-Schule ein Martyrium aus Knüppelschlägen und im Gefängnis weitere Folter und Erniedrigungen durchleiden.

Wie es zu ihrer Qual und der von am Ende 250 anderen jungen Menschen kommen konnte, zeigt der Film in klugen Vor- und Rückblenden, aus verschiedenen Blickwinkeln, die der Polizisten und anderer Verantwortlicher eingeschlossen. Zu Beginn wird ein O-Ton aus einem Bericht über die Gipfelgegner eingespielt: „Dies ist die erste Bewegung, die nichts für sich selbst will. Sie fordert Gerechtigkeit für die ganze Welt.“ Bis heute haben die Opfer von Genua keine Gerechtigkeit erfahren. Nicht zuletzt daran gemahnt dieser Film. Petra Welzel

DIAZ – Don’t clean up this Blood, R.: Daniele Vicari, D.: C. Santamaria, J. Ulrich, E. Germano u.a., 2012, DVD ab 20. Juni, 16,99 €


Tango Libre | Die Faszination des Tangos inspirierte schon zahlreiche Filmemacher – von Carlos Saura bis Sally Potter. In dieser kunstvollen, sinnlich inszenierten Tragikomödie greift sie sogar auf ein Gefängnis über: Zum Bersten eifersüchtig auf seinen Wärter, den seine Frau beim wöchentlichen Tangokurs zum Tanzpartner hat, und entschlossen, dem Rivalen Paroli zu bieten, bittet Fernand den einzigen argentinischen Mitinsassen, ihn den Tango zu lehren. So einfach ist der gefürchtete Südamerikaner zwar nicht von dieser ungewöhnlichen Idee zu überzeugen, aber sie nimmt Gestalt an. Schließlich bietet der Tango ein ideales Ventil für angestaute Energien, Wut, Leidenschaft und Sehnsucht nach Sex. Zudem enthemmt er den schüchternen Wärter, der anfangs beim Üben seiner Tanzschritte steif wirkt, der begehrten Alice aber mehr und mehr zeigt, was er fühlt. Tango Libre stellt indes nicht nur Klischees von Männlichkeit herrlich auf den Kopf, sondern erzählt zugleich von dem großen Mut einer attraktiven, selbstbewussten Frau und alleinerziehenden Mutter. Kirsten Liese

F/B/L 2013. R: Frédéric Fonteyne. D: Sergi López, Francois Damiens, Anne Paulicevich u.a. Start: 13. 6. 13


The Deep | Brutal, rücksichtslos und riskant: das Meer. Besonders in Spielfilmen, die sich auf historische Fakten beziehen, stürzen Menschen von fehlkonstruierten Luxuslinern (Titanic), werden bei Tauchgängen in Haijagdgründen vergessen (Open Water) oder sterben in ihrem pensionsreifen Fischerboot (Der Sturm). Auch in The Deep kentert 1984 ein Trupp Berufsfischer vor den isländischen Westmännerinseln. Alle versinken in der Tiefe des Nordatlantiks. Nur einer schwimmt durch die eisige Winternacht auf sein Heimat-Eiland zurück: das 22-jährige, moppelige Muttersöhnchen Gulli. Ein Mediziner vermutet, seine Speckschicht habe den „Seehundmann“ gerettet. Doch nicht die Fettzellen sind Helden, sondern Leute wie Gulli. Er versucht, seine Kollegen zu retten. Er verzweifelt und redet mit einer Möwe, um sich über Wasser zu halten. Er verspricht, zuverlässiger und fürsorglicher zu werden, ein besserer Mensch. Er hält sein Wort. So entwickelt sich ein Katastrophenfilm zur Anleitung, die innere Größe zu finden. Jutta Vahrson

IS/NO 2012. R: Baltasar Kormákur. D: Ólafur Darri Ólafsson, Jóhann G. Jóhansson, Theodór Juliussón, Terry Gunnel, 95 Min., Kinostart: 27. 6. 13