Niedecken: Zosamme alt | Keine Angst, Deutschland, du kannst weiter ruhig schlafen. Wolfgang Niedecken wacht auch nach seinem Schlaganfall noch über deine Nachtruhe. Den Eindruck erweckt der BAP-Sänger jedenfalls in einem der Songs von Zosamme alt, seinem neuen Solo-Album. Dazu jammert eine Mundharmonika, die akustische Gitarre wird angeschlagen, eine Fiedel klagt und der mittlerweile 62-jährige Niedecken verarbeitet - nach seinem kürzlich erschienenen Buch Zugabe: Die Geschichte einer Rückkehr - die 2011 erlittene Nahtoderfahrung auch in diesen Songs, allesamt Liebeslieder an seine Frau. Also singt er - natürlich in Kölscher Mundart - von dem Wahnsinn, in dem man sich verlieren kann, von dem Strohhalm, an den man sich klammert, er singt vom Leben und davon, wie es zu Ende geht, und von der Liebe, die hilft, diesem Ende in Würde entgegen zu gehen. Auch musikalisch kehrt Niedecken zu seinen Wurzeln zurück. Während BAP zuletzt sogar mit Weltmusik experimentierte, inszeniert sich Niedecken diesmal als nachdenklicher Songschmied in der Tradition seines Helden Bob Dylan. Thomas Winkler

CD, VERTIGO BERLIN/ UNIVERSAL


Keule: Dick sein ist fett | Ja, das ist billig und blöde, flach und geschmacklos. Ja, aber das soll so sein. Genau so. Keule suchen den toten Winkel zwischen Comedy und Popmusik - und finden mit ihrem zweiten Album, so wie es aussieht, nun den großen Erfolg. Da mag die Musik noch so lieblos hingerotzt sein, die Scherze über BWL-Studenten und Bulimistinnen, über Hippies, Anglizismen oder Abkürzungswahn noch so erwartbar. Der mit der Band ohne Namen einst eher unbekannt gebliebene Popmusiker Claus Capek und der auch nicht viel erfolgreichere Rapper Sera Finale bearbeiten die Marktlücke, die sie sich gegraben haben, weiter konsequent. Sie haben erkannt: Auch Mario-Barth-Fans wollen mal tanzen. Also lässt das Berliner Duo keinen Witz aus und dazu die Synthies quietschen wie Gummibärchen, packt bei Bedarf auch scheppernde Gitarren aus und zieht Beats aus der Kloschüssel des Techno-Clubs. Folgerichtig klingen die beiden immer anders, aber immer krank: mal wie die Sportfreunde Stiller, mal wie Andreas Dorau und manchmal wie ein Abend auf Ibiza, bei dem außer Lachgas die Drogen alle waren. Doch, das ist dann tatsächlich ganz lustig. Denn über Humor kann man bekanntlich streiten - und über den von Keule ganz bestimmt. Thomas Winkler

CD, POLYDOR/ UNIVERSAL


Teitur: Story Music | Von der "Insel" kam schon immer großartige Popmusik, aber nicht von dieser: Teitur Lassen, Singer-Songwriter und hervorragender Arrangeur, stammt von den Färöern. Er hat die Inselgruppe zwischen den britischen Inseln und Island im Alleingang auf die Landkarte der Musik gesetzt. Musikalisch sozialisiert in Kopenhagen, London und den USA, hat Teitur nun erstmals ein Album in seiner Heimat aufgenommen. Rund 60 Musiker zwischen neun und 86 Jahren, fast alles Färinger, machen das Album zu einem Mehr-Generationen-Projekt. Die Songs erzählen vom Fischen, von einem Kumpel, der, egal wo auf der Welt, immer mit seinem Mobiltelefon herumsteht und von harter Arbeit spricht - von der Sorte, die wehtut und einen nicht reich macht. Auf seinem vierten Album zieht Teitur alle Register von simpelsten Zwei-Akkord-Songs bis zu opulent orchestriertem Musical-Streicher-Pomp. Er spielt gekonnt angeordnete Text- und Melodieteile und luftig arrangierte Pianoballaden. Dazwischen sind Banjo, Cello und Harfe, Kinderchöre und Ringtänze zu hören. Das klingt unglaublich eingängig. Wenn Teitur dazu mit seiner melancholischen, aber irgendwie leichten Stimme singt, erinnert das ein bisschen an Paul Simon. 1A Herbstmusik. Martin Kaluza

CD, ARLO AND BETTY RECORDINGS/INDIGO