Das Schulkind Deutschland atmet auf, sein PISA-Zeugnis ist dieses Jahr besser als bisher angenommen. Klassenbeste ist es freilich nicht geworden, immerhin hat es sich zwei Pluspunkte geholt. Ob diese Leistung gelobt oder als unzureichend getadelt wird, niemals werden die Autorität und die Kriterien des Examinators angefochten. Dabei verfolgt die OECD, Urheberin der Studie, durchaus fragwürdige Ziele. "Heute versteht es sich von selbst, dass es genauso notwendig ist, Menschen für die Wirtschaft vorzubereiten wie Sachgüter und Maschinen. Das Erziehungswesen steht nun gleichwertig neben Autobahnen, Stahlwerken und Kunstdüngerfabriken." Diese poetischen Zeilen stammen aus dem Bericht einer OECD-Konferenz anno 1961. Seitdem wird die klassische Bildung systematisch durch die wirtschaftsrelevante "Kompetenz" ersetzt. Das heranwachsende "Humankapital" wird für Konsum und Arbeit formatiert, ohne einmal argwöhnen zu können, dass es Wissenswertes auch außerhalb dieser Sphären gibt.

Indoktrination bedeutet nicht unbedingt die Auferlegung einer totalitären Ideologie. Sie fängt schon mit der Selektion bestimmter Fächer und dem Ausschluss anderer an. Ganz oben auf der PISA-Skala steht natürlich Mathe. Der Homo Oeconomicus muss wohl ständig Rechenaufgaben lösen. Auch ist Lesekompetenz nur in dem Maße wichtig, wie Informationen verarbeitet und Befehle richtig verstanden werden wollen. Dafür sind Literaturkenntnisse nicht erforderlich. Eine naturwissenschaftliche Grundbildung ist für die Karriere von Vorteil, eine sozialwissenschaftliche dagegen nicht. In Zeiten der Mobilität behält Geographie einen gewissen Wert; man muss wohl wissen, auf welchem Erdteil sich dieser Flughafen oder jener Lieferant befindet. Hingegen spielen für das Ranking Geschichtskenntnisse gar keine Rolle. Der Grund dafür ist ziemlich offenbar. Wer glaubt, in einer fortdauernden Gegenwart zu leben, wird seine Lebensbedingungen fraglos hinnehmen. Der kritische Geist wird zusammen mit dem historischen Empfinden gebildet - und abgebaut. Was wir über das dunkle Zeitalter wissen sollen, das vor unserer durchökonomisierten Epoche lag, wird in Nietzsches ironischer Bemerkung zusammengefasst: "Ehemals war alle Welt irre."

Guillaume Paoli