Bittere Heimat

Songs of Gastarbeiter Vol. 1 | Als im Zuge des deutschen Wirtschaftswunders immer mehr Gastarbeiter in Italien, Jugoslawien und der Türkei angeworben wurden, empfing man sie in der Bundesrepublik alles andere als freundlich. Als Fließbandarbeiter oder billige Hilfskraft ruinierte manch einer von ihnen seine Gesundheit. Läden, in denen sie heimische Lebensmittel kaufen konnten, gab es in den 1960ern noch nicht, ganz zu schweigen von einer türkischen Community. Die Zimmer, die man ihnen vermietete, waren in der Regel die letzten Bruchbuden. Von ihren deutschen Kollegen wurden sie misstrauisch beäugt und als Kaffer oder Kanaken tituliert. Und ihre Frauen und Kinder lebten getrennt von ihnen im armen Mezzogiorno, im wilden Kurdistan oder im bäuerlichen Anatolien, wohin sie jeden Pfennig schickten, der übrig blieb, damit ihre Familien überleben konnten. Trost fanden die wie der letzte Dreck behandelten Arbeitsmigranten allein in den Liedern von Landsleuten, die Imran Ayata und Bülent Kullukcu in jahrelanger mühsamer Arbeit zusammengetragen und nun auf dem Sampler Songs of Gastarbeiter Vol. 1 wiederveröffentlicht haben.

Während ihre deutschen Kollegen in den 1970ern im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt sich ihren Frust von der Seele schrieben und unmenschliche Arbeitsbedingungen anprangerten, griffen türkische Musiker zur Zil, zum Tulum und zur Saz, zur Zimbel, zur Sackpfeife und einem Saiteninstrument also, um Lieder voller Wehmut und Heimweh anzustimmen, in denen nicht selten Deutschland als "bittere Heimat" bezeichnet und über die Arbeit in der Fabrik geklagt wurde. Für Ayata und Kullukcu sind Musiker wie Ozan Ata Canani, Derdiyoklar oder Yüksel Erkasap denn auch Pioniere, "weil sie sich und ihren Alltag zum Thema machten, sich nicht nur leidend, sondern auch kämpferisch und ironisch gaben und scharfsinnige Beobachter der deutschen Gesellschaft waren". Und die nebenbei neue Musikstile wie den anatolischen Disco-Folk kreierten, mit Sprechgesang experimentierten (lange bevor Bushido den Rap in Verruf brachte) und auch der deutschen Sprache einen eigenen Akzent verliehen. Insbesondere die deutschen Texte von Yusuf ("Ich türkisch Mann, ich nix deutsch sprechen kann") oder Cem Karaca ("Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an") bleiben zunächst im Ohr hängen. Aber das zeigt eben auch nur, wie fremd uns die türkische Kultur trotz aller Urlaubsreisen nach Antalya noch immer ist. Hollow Skai

CD, SONGS OF GASTARBEITER VOL. 1 (TRIKONT/INDIGO)


Adrian Raso & Fanfare Ciocărlia: Devil's Tale | Als Mitte der Neunziger eine Dorfkapelle aus Rumänien ihre ersten Konzerte im Westen spielt, ahnt noch niemand, dass das verschüchtert dreinblickende Dutzend innerhalb weniger Jahre die Spitze der internationalen Brass-Band-Szene erklimmen würde. Heute sind die Roma-Musiker der Fanfare Ciocărlia mit ihrem authentischen Balkan-Groove eine weltweite Berühmtheit - von Tokyo über London und Mexico City bis ins kanadische Toronto, wo zuletzt gemeinsam mit dem Manouche-Gitarristen Adrian Raso das neueste Kapitel der Gipsy-Brass-Legende entstanden ist. Brass-Band plus Gitarre, eine bizarre Kombi, über die man zunächst stutzen mag. Doch etwaige Zweifel verblassen nach nur wenigen Takten angesichts der gebotenen Vitalität und des breit gestreuten Repertoires. Flamenco-Rumba, melancholische Musette-Walzer, Gipsy-Swing à la Django Reinhardt, Bigband-Attacken und wilde Balkan-Grooves inklusive Peer-Gynt-Zitat - ein East meets West, das man gar nicht auf der Rechnung hatte. Eine teuflisch gut gelungene Überraschung. Peter Rixen

CD, ASPHALT TANGO RECORDS, ERHÄLTLICH AB MITTE JANUAR


Eminem: Marshall Mathers LP 2 | Eins vorweg: Das neue Album von Eminem ist großartig. Der 41-Jährige beweist wieder einmal, warum er als einer der besten MCs der Welt gehandelt wird, und die wuchtige rockaffine Musik-Produktion von Rick Rubin tut ihr übriges dazu. Eminem gelingt es an vielen Stellen, kongenial an den größten Erfolg seiner Karriere, der Marshall Mathers LP 1 anzuknüpfen, indem er geniale Fortsetzungen der damaligen Geschichten schreibt. Er brettert aggressiv und auf höchstem raptechnischen Niveau durch die 21 Tracks, und man spürt deutlich, dass er immer noch brennt. Bei aller Klasse wirkt sein Vortrag aber leider auch immer ein wenig bemüht, und das Gefühl, das man hatte, als man Eminem vor nunmehr fast 15 Jahren zum allerersten Mal gehört hat, will sich einfach nicht mehr einstellen. Das macht dieses Album nicht schlechter, lässt einen aber schmerzhaft erkennen, wie viel Zeit mittlerweile verstrichen ist. Trotzdem ist sein neuer Wurf eine absolute Empfehlung, und für jemanden, der den Rapper ganz neu entdecken darf, vielleicht sogar eine Offenbarung. Marcus Staiger

CD, UNIVERSAL