GESCHÄFTSMODELLE

Der User als neuer Habenichts

GUILLAUME PAOLI ist Schriftsteller und Philosoph

Wir dachten, dass der Kapitalismus auf dem Schutz des Privatbesitzes basiert. Nun wird von ihm der Privatbesitz zunehmend abgeschafft. Ein kleines Beispiel: Nachdem das Gebaren der Firma Amazon einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden ist, haben nicht wenige Kunden ihr Konto gekündigt. Dann kam die böse Überraschung: Auf einmal war ihre ganze Kindle-Bibliothek gelöscht. Sie meinten, digitale Bücher so wie früher Papierbücher gekauft zu haben; falsch gedacht: Was sie erworben hatten, war "das Recht, Inhalte zu nutzen", formal also eher mit einem Bibliothek-Konto vergleichbar, nur mit unbestimmter Ausleihfrist und teureren Gebühren.

Gewiss kann man da sagen: selber schuld. Es gibt doch genug Möglichkeiten, aus dem Internet Bücher, Musik und sonstige "Inhalte" herunterzuladen. Und überhaupt ist ein Gang in nicht-digitale Buch- oder Plattenläden auch nicht verkehrt. Aber wie lange wird das noch gehen? Das Kindle-Modell ist erfolgreich, es wird bereits von vielen anderen Firmen und Verlagen praktiziert. Es könnte also durchaus sein, dass wir in wenigen Jahren nichts anderes tun können werden, als kulturelle Produkte gegen Bezahlung zu nutzen, ohne diese jemals besitzen zu dürfen.

Mit dem User wird ein neuartiger Status eingeführt, der sowohl dem Eigentum als auch dem Besitz unterlegen ist. Der User ist nicht wie der Mieter, der, obschon nicht Eigentümer, immerhin Besitzer seiner Wohnung ist. Eher wäre er mit dem Hotelgast vergleichbar, mit ähnlicher Einschränkung seiner Verfügungsrechte. Die Welt wird zum Hotel. Was früher Besitz war, ist heute Diebstahl.

Das erinnert an einen anderen Fall, der sich nicht auf dem Gebiet der Kultur, sondern der Natur abspielt. Letztens brachte es der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern fertig zu sagen: "Wenn jeder unbegrenzt sein Saatgut nachbauen kann, ist das Diebstahl." Dabei entwickeln Bauern seit Jahrtausenden traditionelle Sorten und bauen sie nach. Dennoch werden sie jetzt gezwungen, registriertes Saatgut von großen Konzernen jedes Jahr neu zu kaufen. Sie sind dann die User von Monsanto. Private Tyranneien haben sich die elementaren Beziehungen zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Natur angeeignet.