Ausgabe 02/2014
Vom Netto bleibt wenig
"Wir sind es wert": Das gilt heute genauso wie bei dieser Streikaktion 2012
In der aktuellen Diskussion zu den Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst ist eine Debatte entbrannt, die für alle Betriebe und Dienststellen im Ballungsraum München von Bedeutung sein kann. Die Forderung nach Zuschlägen zum Ausgleich der teuren Lebenshaltungskosten. Sie wird in Begriffen wie Münchenzulage, Ballungsraumzulage oder Hochpreiszulage zum Ausdruck gebracht.
"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit", mit diesem Kampfbegriff sind die Gewerkschaften jahrzehntelang gegen die Lohnwillkür der Unternehmen vorgegangen. Das Ziel war und ist, in so genannten Flächentarifverträgen die Löhne für die einzelnen Berufstätigkeiten bundesweit einheitlich zu regeln. In der Praxis gelang dies aber immer nur innerhalb der verschiedenen Tarifbranchen, wie zum Beispiel Metall- und Elektroindustrie, Chemische Industrie, Handel oder Öffentlicher Dienst. Eine Bürokauffrau in der Metallindustrie verdient um einiges mehr als ihre Kollegin, die die gleiche Tätigkeit im Öffentlichen Dienst ausübt.
Die Lebenshaltungskosten haben sich in den letzten rund 30 Jahren in unserem Land sehr unterschiedlich entwickelt. Wir haben nicht nur ein Gefälle von West nach Ost, inzwischen ist auch die Kluft von Nord nach Süd sehr weit auseinandergedriftet. Im Ballungsraum München sind die Mieten bundesweit am höchsten. Das bedeutet, dass hier vom Nettogehalt nach Abzug der monatlichen Miete am wenigsten übrig bleibt. Arbeitnehmer in Hochpreisregionen sind die Verlierer, weil ihr verfügbares Nettoeinkommen niedriger ist als andernorts. Kurzum: Sie leben schlechter, obwohl sie die gleiche Arbeitsleistung erbringen. Der neue Kampfbegriff in Lohnverhandlungen muss deshalb lauten: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei gleichen Lebenshaltungskosten".
Betriebliche Lohnaufschläge erkämpfen
Lohnaufschläge in Flächentarifverträgen zu vereinbaren, scheiterte bislang nicht nur an den Arbeitgebern. Auch gewerkschaftsintern gibt es etwa in den bundesweiten und landesweiten Tarifkommissionen starkes Abwehrverhalten. Ob dies auf mangelnde Solidarität oder auf eine gewisse Neiddebatte zurückzuführen ist, sei dahingestellt. Die Beschäftigten in Hochpreisregionen werden die Lohnaufschläge wohl oder übel im jeweiligen Betrieb, in der jeweiligen Dienststelle durchsetzen müssen. Sei es durch zusätzliche betriebliche Tarifverträge oder durch andere Vereinbarungen.
Die Zeit erscheint dafür günstig. Aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation haben Arbeitgeber bei manchen Berufen große Probleme, ausreichend Personal zu finden. Besonders deutlich wird dies im Ballungsraum München am Beispiel der Erzieherinnen. Sowohl die Stadt München als auch die Wohlfahrtsverbände und die freien Träger müssen teilweise Gruppen schließen, weil sie ihre offenen Stellen nicht besetzen können.
Wenn wir betriebliche Lohnaufschläge durchsetzen wollen, müssen wir ganz dicke Bretter bohren. Ohne Druck aus den jeweiligen Betrieben und Dienststellen werden sie nicht durchgesetzt werden können. Nur wenn die Beschäftigten selbst bereit sind, sich für Lohnaufschläge zu engagieren, kann das gelingen. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Aber wie sagte schon Bert Brecht: "Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren."
Heinrich Birner