Ausgabe 03/2014
1,54 Euro Stundenlohn ist nur gut gemeint
In der südbrandenburgischen Universitätsstadt Senftenberg wird in diesen Tagen Rechtsgeschichte geschrieben: von der 13. Kammer des Arbeitsgerichts Cottbus. Die hat - nicht am 1. April, sondern es war schon der 9. - zwei Klagen des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz gegen einen Rechtsanwalt abgewiesen, der in seiner offensichtlich gutgehenden Kanzlei zwei Beschäftigten für Aushilfstätigkeiten Stundenlöhne zwischen 1,54 und 1,65 Euro gezahlt hat. Richtig gelesen: Klage abgewiesen! Per Urteil unter den Aktenzeichen 13 Ca 10476/13 und 13 Ca 10477/13! Das Gericht stellte zwar ein "Missverhältnis zwischen der erbrachten Arbeitsleistung (...) und dem jeweils dafür entrichteten Entgelt" fest, hielt diesen Lohn also wohl für sittenwidrig. Aber: Der Rechtsanwalt habe es doch nicht böse gemeint. Jedenfalls habe die Kammer "wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls keine verwerfliche Absicht zur Ausnutzung einer Zwangslage der Mitarbeiter" erkennen können. Im Gegenteil, der Kollege Rechtsanwalt habe den zwei Hartz-IV-Aufstockerinnen doch nur einen Gefallen tun wollen - in einem Fall sogar ein ganzes Jahr lang. Schließlich hätten die Beschäftigten auf eigenen Wunsch zu diesen Konditionen angefangen, um erst einmal wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Überhaupt sind laut Kammervorsitzendem Dr. Sch. die Hartz-IV-Empfänger schuld daran, dass sittenwidrige Löhne zu einem "gesellschaftlichen Problem von großem Ausmaß" geworden sind: Die Leistungsempfänger wollten "dem Amt nichts schenken" und daher die Zuverdienstgrenzen nicht überschreiten. Andererseits hätten sich ganze Wirtschaftszweige darauf eingestellt, "Aufstocker" gegen "Billiglöhne" zu beschäftigen. Wohl deshalb auch hat das Arbeitsgericht Cottbus in anderen Fällen die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Nach § 266a des Strafgesetzbuchs (StGB) wird nämlich, wer "als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung (...) vorenthält", mit "Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft". Theoretisch zumindest. Henrik Müller