Militarisierung der Bildung

Forschen für den Tod - Lernen für den Frieden

An der wehrtechnischen Dienststelle der Universität Koblenz: Vorführung eines autonom gesteuerten Fahrzeugs für die Bundeswehr. Mit einem Laser tastet das Fahrzeug seine Umgebung ab

Zum diesjährigen Antikriegstag am 1. September liefert die deutsche Armee das Kontrastprogramm. Wenn bundesweit der Schrecken und Folgen der beiden von Deutschland ausgegangenen Weltkriege gedacht wird, startet in Strausberg bei Berlin die Summer School der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation (AIK) mit dem Titel "Krieg im 21. Jahrhundert". Laut Ankündigung dreht es sich dann zwei Wochen lang um Themen wie "Soldatenbilder - Kämpfer, Helfer, Brunnenbohrer", "Die Revolution in Military Affairs" oder "Wandel der operativen und taktischen Mittel der Kriegsführung". Warum das auf den Tag genau 75 Jahre nach Hitlers Überfall auf Polen starten muss, kann man den Verlautbarungen der AIK nicht entnehmen. Stattdessen beginnen die Macher gleich mit der Frage: "Wird heute eigentlich noch Krieg erklärt?" Einer der nach Strausberg geladenen Experten ist der Militärsoziologe Gerhard Kümmel vom Zentrum für Geschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Ihm stößt die in Deutschland verbreitete Indifferenz gegenüber dem "Soldatentod" bitter auf, eine Geisteshaltung, die es zu bekämpfen gelte. Manfred Hettling von der Martin-Luther-Universität Halle referiert über das "Gefallenengedenken im internationalen Vergleich". Der gewaltsame Tod sei für die politische Ordnung eine "besondere Legitimationsquelle, vielleicht sogar die wichtigste".

Zur Legitimation der Summer School leistet derweil die Universität Köln einen gewichtigen Beitrag. Sie tritt als Kooperationspartnerin des Seminars auf und wird bestimmt eine stattliche Zahl Bildungsreisender entsenden. Denn Mitmachen lohnt sich: Den Master-Studierenden und Promovierenden der Geistes- oder Sozialwissenschaften winken ein Teilnahmezertifikat sowie ein Leistungsschein von der Kölner Uni.

Unis forschen für die Rüstung

Die Bundeswehr in einem Boot mit einer Uni? Das ist fast schon Normalität. Seit dem Jahr 2000 sind an mindestens 50 deutschen Hochschulen Forschungsprojekte für und mit Unterstützung der deutschen Streitkräfte angestoßen worden. Das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) steckte in jüngeren Jahren regelmäßig rund eine Milliarde Euro in "Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung". Den Löwenanteil heimsen private Rüstungsfirmen und Einrichtungen der Bundeswehr ein, mit wachsender Tendenz partizipieren inzwischen aber auch außeruniversitäre Einrichtungen und die Hochschulen selbst - zuletzt mit rund zehn Millionen Euro jährlich.

Hinzu kommen die vielfältigen Kontakte, die Deutschlands höchste Bildungsanstalten inzwischen direkt mit der wehrtechnischen Industrie unterhalten. So mischte die Universität Freiburg bei der Entwicklung des Bundeswehr-Transportflugzeugs Airbus A440M mit, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) forscht an intelligenten Landfahrzeugen und die Technische Universität München (TUM) ließ sich schon vor sechs Jahren vom Luftfahrtunternehmen Eurocopter einen Lehrstuhl für Hubschraubertechnologie stiften.

Überhaupt sei Bayern so etwas wie "das Eldorado der Rüstungsindustrie", sagt Renate Bayer, Verwaltungsangestellte an der TUM. Im Freistaat würden durch das Geschäft mit dem Tod jährlich 6,5 Milliarden Euro umgesetzt und nirgendwo sei der Einfluss der Militärs auf Hochschulen und staatliche Forschungsinstitute größer. Doch Bayer nimmt das nicht tatenlos hin. Als Personalrätin und Betriebsgruppensprecherin von ver.di an der TUM hat sie die Arbeitsgruppe "Friedliche Schule und Hochschule" in München mit aufgebaut. Sie tritt seit Jahren gegen die schleichende Vereinnahmung öffentlicher Bildungseinrichtungen für militärische Belange in Aktion, auch im Autrag der ver.di-Bundesarbeitsgruppe Hochschule. Auslöser ihres Engagements sei ihr Missfallen über die "Indienstnahme der Schulen zur Nachwuchsrekrutierung durch die Bundeswehr" gewesen, sagt die Mutter eines 16-jährigen Sohnes. Mittlerweile hat die Truppe mit acht Bundesländern Kooperationsvereinbarungen getroffen, die Jugendoffizieren freies Geleit in die Klassenzimmer erlauben, um dort Werbung für die Sache der Bundeswehr und die sicherheitspolitische Doktrin der Bundesrepublik zu machen.

In dieses Bild passt für die Gewerkschafterin auch die Summer School in Strausberg. "Dieses Seminar ist einer der zahlreichen Versuche, gerade Intellektuelle in die Think Tanks der Bundesregierung zur Kriegsvorbereitung mit einzubinden", sagt sie und verweist auf jüngere Äußerungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundespräsident Joachim Gauck bei der Münchner Sicherheitskonferenz, sich "außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substantieller einzubringen" und mit der "Kultur der Zurückhaltung" bei Militäreinsätzen Schluss zu machen. Was daraus für Bildung und Forschung folgt, erfährt man im Koalitionsvertrag von Union und SPD: "Der Bereich Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus technologie- und sicherheitspolitischer Sicht von nationalem Interesse."

„Lernen für den Frieden”

Was aber Hoffnung macht: Die Militarisierung der Unis ist kein Selbstläufer. Vielerorts widersetzen sich Studierende und Hochschulbeschäftigte dem Trend und versuchen, ihre Alma Mater mit einer Zivilklausel zu einer friedlichen und friedenschaffenden Ausrichtung zu verpflichten. Ein derartiger Passus in ihrer Grundordnung, ihrem Leitbild oder ein entsprechender Senatsbeschluss konnte bisher an bundesweit 18 Hochschulen durchgesetzt werden. Zwölfmal gelang das allein in den Jahren seit 2010. Ihre Stärke verdanken die Aktiven dabei auch der intensiven Bündnisarbeit. So haben sich unter dem Dach der Kampagne "Lernen für den Frieden" seit Juni 2013 schon mehr als 60 Organisationen zusammengetan, darunter Friedensgruppen, Schüler-, Studierenden- und Parteijugendverbände, Sozialinitiativen, ver.di und die GEW.

Ihr gemeinsames Ziel ist es, im Gedenken an den Ausbruch des 1. Weltkriegs vor 100 und des 2. Weltkriegs vor 75 Jahren der Ablehnung von Rüstungsforschung und Krieg mit einer Unterschriftensammlung Ausdruck zu verleihen und für eine Kehrtwende zu wirken. Auf der Bündnisseite im Internet heißt es: Bis zum Antikriegstag am 1. September sollen mindestens 25 000 Unterschriften zusammenkommen, die man dann am 9. Oktober in Essen der dort tagenden Kultusministerkonferenz (KMK) übergeben will. Uwe Wötzel vom Bereich Politik und Planung der ver.di-Bundesverwaltung fände es "großartig, wenn die Aktion von allen ver.di-Mitgliedern unterstützt wird, denn: Wir sagen Nein zur Präsenz von Bundeswehr an Schulen und Hochschulen". Im Mai sind schon mehr als 13 000 Unterzeichner beisammen. An Fahrt hat die Diskussion zuletzt durch die Enthüllungen gewonnen, wonach auch ausländische Militärs, allen voran das Pentagon, eifrig an hiesigen Unis - mindestens 18 - für sich forschen lassen. Für die Bundesregierung ist das kein Aufreger. Auf eine parlamentarische Anfrage hin befand sie nur, sie sehe "keinen Handlungsbedarf".

Peter Förster studiert Geschichte an der Universität Köln und ist einer der Mitbegründer von "Lernen für den Frieden". Über die beiden Weltkriege sagt er, sie "wären ohne die Militarisierung der Köpfe, ohne die vorauseilende Zuarbeit von Wissenschaftlern zu Krieg und Vernichtung nicht möglich gewesen". Zuversicht schöpft Förster aus neueren Verlautbarungen der Rüstungslobby. "Die sieht wegen der Zivilklauselbewegung doch glatt den Rüstungsstandort Deutschland in Gefahr."

Die Unterschriftenkampagne "Lernen für den Frieden" läuft auf www.lernenfuerdenfrieden.de

Die "Initiative Hochschulen für den Frieden" auf www.zivilklausel.de beleuchtet die Aktivitäten an den Hochschulen

Mit der Bundeswehrpräsenz an den Schulen befasst sich www.schulfrei-für-die-bundeswehr.de

Mehr Infos: ver.di-Fachbereichsbeilage biwifo 1/2013 (Bildung-Wissenschaft-Forschung), http://biwifo.verdi.de