Rund 1000 Menschen nahmen an der 1. Mai-Demonstration in Marburg teil

von Renate Bastian

Die Sonne meinte es gut mit den rund 1000 Teilnehmer/innen der DGB-Kundgebung am 1. Mai in Marburg. Noch besser argumentierten die Redner. Im Zentrum stand dabei die Rede des hessisch/thüringischen DGB-Vorsitzenden Stefan Körzell - wohl seine letzte in dieser Funktion, denn am 12. Mai wurde er in Berlin zum Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands gewählt. Er listete das gewerkschaftliche Arbeitsspektrum auf, unter dem Motto "Gute Arbeit - Soziales Europa". Nicht weniger als eine neue Ordnung der Arbeit forderte er ein. An vorderster Stelle steht da der Mindestlohn. 8,50 Euro, darunter gehe gar nichts, so Körzell. Und das ohne Ausnahmen. Auszubildende, Langzeitarbeitslose oder Beschäftigte wie Zeitungszusteller/innen, aber auch Minijobber (über eine halbe Million in Hessen) hätten das gleiche Recht auf Würde der Arbeit, verlangte Körzell von der schwarz-grünen Koalition in Hessen.

Von Respekt kann allerdings beim größten Arbeitgeber im Marburger Hinterland nicht die Rede sein. So beabsichtigt die Firma Johnson Controls, ein Automobilzulieferer, bis zu 300 der 880 Arbeitsplätze abzubauen. Anfang April gab es eine Kundgebung von Beschäftigten vor dem Firmengebäude. Man hatte ihnen gesagt: Ihr seid zu schlecht, weil die Zahlen nicht stimmen. Die Industriegewerkschaft Metall rechnete aber vor, dass die Zahlen durch Missmanagement rot geworden sind. Zudem hat Wagner Solar in Cölbe, nahe bei Marburg, Ende April einen Insolvenzantrag gestellt. Das Unternehmen operiert weltweit im Bereich erneuerbare Energien und hat Tochterunternehmen in Spanien, Frankreich, Italien, England und den USA. Nun geht es darum, im Verfahren den Fortbestand - auch für die rund 150 Beschäftigten - zu sichern. Insider machen eine verfehlte Energiepolitik mehrerer Bundesregierungen verantwortlich.

Weiter ging es auf der gewerkschaftlichen To-do-Liste. Zu einer neuen Ordnung der Arbeit zählt Stefan Körzell, dass für Leiharbeit vom ersten Tag an der gleiche Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird wie für Festangestellte. Aber auch hier haben die profitfindigen Arbeitgeber schon ein Schlupfloch gefunden: Werkverträge für "Selbstständige". Wer betrügt, fliegt, heißt der populistische Spruch der CSU. Körzell meint, man könnte in der Tat so manches Flugzeug mit Arbeitgebern besetzen, die ihre Beschäftigten um angemessene Löhne betrügen.

Europa vor Zerstörung durch Rechtsradikale schützen

Zur Würde der Arbeit gehört auch ein würdiges Leben. Das heißt, Familie und Arbeit müssen aufeinander abgestimmt sein, zum Beispiel durch eine humane Flexibilität der Arbeitszeit. Würde in der Arbeit und Würde im Alter sind ebenfalls untrennbar miteinander verbunden. So ist das gesamte Leben, nicht allein die Arbeit, Thema der Gewerkschaften. Dafür müsse man sich rühren, so Körzell: "Von nichts kommt nichts."

Wie üblich bei Mai-Kundgebungen sprach auch in Marburg ein Vertreter der Kommune. Diesmal Oberbürgermeister Egon Vaupel, SPD. Er beließ es nicht bei höflichen Grüßen, sondern nahm selbst Stellung. Er verwies darauf, dass rund 70 Prozent der EU-Entscheidungen Einfluss auf das Leben auch in Marburg nehmen und nannte die Stichworte Wasserversorgung, Gesundheit, Freizügigkeit. Man hörte und staunte, dass in der nicht gerade großen Stadt in Mittelhessen Menschen mit 144 unterschiedlichen Nationalitäten leben. Die Stadt brauche sie, so Vaupel, und man wolle sie auch in der Stadt und werde Rechtsradikalen keinen Raum lassen. Europa müsse vor denen geschützt werden, die es zerstören wollen.

Was aber die aktuelle EU-Politik anrichten kann, beschrieb der griechische Gewerkschafter Christos Giavanopoulos. Er listete die Auswirkungen der Troika-Politik auf und verlangte, dass Kinder wieder geregelt in die Schule gehen können, dass Jugendliche nicht auswandern müssen, weil sie keine Aussicht auf Arbeit haben, dass die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist. Griechenland wolle in der EU nicht den Status einer Kolonie haben. Also stimmt das Mai-Motto: Kein Platz für Armut und Sozialabbau in Europa.