Unterm Sonnenschirm

Die Sterne: Flucht in die Flucht - Dieses Leben ist bekanntlich eines der schwersten. Das ist der Grund, warum Popmusik nur sehr selten tatsächlich von den politischen und gesellschaftlichen Realitäten erzählt und stattdessen lieber der Flucht zum schönen Schein frönt. Die Sterne sind hierzulande einerseits eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel. Andererseits aber geht der Funk-Rock der Hamburger Band so in die Beine, dass selbst die starrsten Verhältnisse zu tanzen beginnen.

Das gilt auch für ihr neues, Ende August erscheinendes Album Flucht in die Flucht. Und dann wieder gar nicht. Denn zwar ist alles beim alten, aber doch auch vieles ganz neu. Nicht nur musikalisch geben sich Die Sterne auf ihrem zehnten Studiowerk so abwechslungsreich wie nie zuvor, auch inhaltlich schlagen sie ein neues Kapitel auf: Sänger und Songschreiber Frank Spilker begegnet der Welt nicht mehr nur mit aus Abscheu geborenem Zynismus und beißendem Spott. Auf seine alten Tage entdeckt der 48-Jährige nun auch den Silberstreif am Horizont.

Doch bis es soweit ist, führt uns Spilker durch die Tiefen des modernen Lebens, beleuchtet in seinen Texten ein Leben im Wartestand ("Wo hört das Warten auf? Wo fängt der Anfang an?"), die uneigentliche Existenz im Kapitalismus ("einfach herrlich, nicht bei sich zu sein"), schlüpft anlässlich der grassierenden Gentrifizierung in die Rolle eines Immobilieninvestors und ergötzt sich schließlich an der Leidensfähigkeit des Menschen ("Es fühlt sich gut an, wenn der Schmerz nachlässt").

Diesmal kapitulieren Die Sterne nicht vor dem erbärmlichen Zustand der Welt, sondern halten dem ganzen Elend einen Song wie Mein Sonnenschirm umspannt die Welt entgegen. Der hält die Erkenntnis bereit: Es gibt Hoffnung. "Wie soll man Euch Idioten das erklär'n?", fragt Spilker und antwortet gleich selbst mit einem denkbar schlichten, aber positiven Mantra: "Ich bin, was ich bin. Ich bin es gern."

Ebenso gern scheinen Die Sterne wieder eine Band zu sein. War ihr letztes Album 24/7 noch ein bisweilen eher ungelenker Ausflug in die Elektronik, erkunden sie nun voller Freude ein denkbar breites musikalisches Spektrum. Das reicht von geisterhafter Americana, durch die ein trockener Wüstenwind weht, über monoton pluckernden Krautrock und kühle Avantgarde-Experimente bis zu psychedelischen Exkursionen in die verstrahlten Sixties. So federleicht, wie Die Sterne durch die Popgeschichte fliegen, wirkt das Leben plötzlich gar nicht mehr so beschwerlich. Thomas Winkler

CD, Staatsakt/RTD


Aynur: Hevra (Together) - Dass dem kurdischen Mädchen Aynur Doğan später einmal eine internationale Karriere als Sängerin bevorstehen würde, war nicht zu erahnen. Denn in der türkischen Provinz, wo Aynur inmitten von Schafen und Lämmern aufwächst, spielt Musik so gut wie keine Rolle. Das ändert sich jedoch mit dem Umzug ihrer Familie nach Istanbul. Dort entdeckt die Heranwachsende ihre Berufung, studiert schließlich Gesang und etabliert sich als neue Interpretin der traditionellen kurdischen Musik. Nach Erfolgen in ihrem Heimatland fasst Aynur Fuß in der internationalen Weltmusikszene. Sie gibt Konzerte in Europa, den USA und Fernost. Die Begegnung mit dem spanischen Gitarristen Javier Limón bestimmt Aynurs musikalische Ausrichtung auf ihrer neuen CD. Hier trifft kurdische Volksmusik auf Flamenco. Es ist nicht nur die Eindringlichkeit von Aynurs Gesang, die betört. Es ist auch der Mix aus Archaischem und Kosmopolitischem in einer Balance, wie sie nur ganz selten gelingt. Peter Rixen

CD, Network/Membran


Tom Petty and the Heartbreakers: Hypnotic Eye - Tatsächlich wurde Tom Petty bereits 2002 in die "Rock and Roll Hall of Fame" aufgenommen. Aber für jemanden, der seit zwölf Jahren im Museum eingesperrt ist, klingt der große alte Mann der amerikanischen Rockmusik erstaunlich lebendig. Hypnotic Eye ist das bereits dreizehnte Album von Tom Petty and the Heartbreakers, aber bei dem alten Herren und seinen nicht minder betagten Mitstreitern knarzen die Gitarren immer noch gewaltig. Tatsächlich kehrt der 63-Jährige nach vorsichtigen Experimenten nun zu seinen Ursprüngen zurück: Hypnotic Eye ist geprägt von stimmungsvollen Balladen und simplen, ehrlichen Rocksongs. Petty besingt sich als Forgotten Man, bedauert die Sins of My Youth oder trägt den American Dream Plan B zu Grabe. Dabei nölt seine Stimme, wie man es von ihm kennt, aber das Erstaunliche ist, dass dieses Nörgeln nach all den Jahren nichts von seiner Kraft verloren hat. In dieser Stimme liegt noch immer die Unzufriedenheit mit den Zuständen, eine maulige Widerständigkeit, die einst das Erfolgsgeheimnis des Rock'n'Roll war und die hier ganz und gar nicht museumsreif wirkt. Thomas Winkler

CD, Reprise/Warner