Mehr als Klicktivismus

Everyday Rebellion - Internet, Facebook, die schöne neue virale Welt. Aber eins bleibt, wie es immer war. Revolutionen werden weiterhin auf der Straße gewonnen, sagt der serbische Aktivist, der mittlerweile als Berater für gewaltlosen Widerstand arbeitet: "Alles andere ist bloß Klicktivismus."

Nein, mit dem Internet halten sich die Helden von Everyday Rebellion nicht weiter auf. Das ist ihnen nur Mittel zum Zweck, um sich zu informieren und zu vernetzen. Sie sind längst den nächsten Schritt gegangen. Der Dokumentarfilm folgt Menschen aus aller Welt, die für ein besseres Leben, für mehr Gerechtigkeit oder einfach nur ums blanke Überleben kämpfen. Was sie alle verbindet, ist ihre Strategie: Ihr Widerstand ist gewaltlos.

Die Brüder Arash und Arman T. Riahi haben sich mit der Kamera auf den Weg gemacht, um, wie sie bei einer Vorführung in Berlin berichteten, herauszufinden, "wie diese horizontalen Bewegungen ohne Führer und Strategie gerade die Welt verändern". Die beiden österreichischen Filmemacher sind auf Geschichten gestoßen, die in Madrid und Teheran, New York und Damaskus, Kiew und Kairo spielen.

Die Femen-Aktivistin erklärt, warum es revolutionär ist, sich zu entblößen. Die Indignados, die sich in Spanien gegen die Banken wehren, verstehen nicht, wie es rechtens sein kann, dass sie aus ihren Wohnungen geworfen werden. Die Occupy-Protestanten in New York proben, wie man sich ohne Gewalt und doch effektiv gegen die Staatsmacht schützt. Im Iran erzählt eine Frau, die anonym bleiben muss, wie die Grüne Revolution blutig niedergeschlagen wurde, sie aber weiter Widerstand leistet - im Kleinen und Geheimen. In Syrien erinnert sich der Aktivist inmitten von Trümmern wehmütig an die gewaltlosen Zeiten.

Das Bild ist nicht einheitlich, kann es nicht sein. Zu unterschiedlich sind die Rahmenbedingungen, die Möglichkeiten und vor allem die Zielsetzungen. In Spanien marschieren in der Bankenkrise die Pfarrer mit den Protestlern, in der Ukraine kämpft Femen gegen alle Religionen. Deshalb verzichten Arash und Arman T. Riahi bewusst auf eine Wertung, wollen "Meinungen und Herangehensweisen zeigen, ohne sich an der Selbstzerfleischung der Linken zu beteiligen". So hinterfragen sie weder die Motive der Aktivisten noch die Rechtmäßigkeit ihrer Ziele. Stattdessen versteht sich Everyday Rebellion selbst als Teil der Bewegung. Die Website zum Film soll Plattform für Aktivitäten und Informationskanal für die Bewegten sein, eine App soll spielerischen Protest möglich machen. Aber gewonnen, auch das macht Everyday Rebellion klar, wird die Revolution dann doch wieder auf der Straße. Thomas Winkler

DOKU Ö/CH 2014, R: ARASH UND ARMAN T. RIAHI

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Phönix - Warum erkennt er sie nicht? Trotz schwerer Gesichtsoperation sieht Nelly doch fast so aus wie früher. Doch Johnny stutzt nicht mal beim Anblick der unverkennbaren Handschrift seiner Ex-Frau, sondern initiiert ein absurdes Rollenspiel, bei dem Nelly zu ihrer eigenen Doppelgängerin wird wie die Protagonistin in Hitchcocks Vertigo. Ein merkwürdiges Verhalten in einer Geschichte, die weniger mysteriös-fantastisch als vielmehr erschütternd real sein will. Immerhin verortet Petzold sie sehr konkret im zertrümmerten Nachkriegs-Berlin. Wie kann ein intelligenter Mann nur so auf dem Schlauch stehen? Und warum sucht eine Auschwitz-Überlebende wie besessen die schmerzliche Konfrontation mit einem Unaufrechten, der sich von ihr scheiden ließ, kurz bevor sie deportiert wurde, und nun schamlos ihr Vermögen erschleichen will? Aber solche Fragen machen diesen gespenstischen Psychokrimi um die Kunst des Verdrängens zugleich ungemein spannend. Schließlich ist es auch ein Film über eine Generation, die sich ihre Mitschuld am Holocaust nicht eingestand. Nicht zufällig widmet Petzold ihn dem Juristen Fritz Bauer, der während seiner Auschwitz-Prozesse daran verzweifelte, dass die Täter kein Wort der Reue über die Lippen brachten. Kirsten Liese

D 2014. R: CHRISTIAN PETZOLD. D: NINA HOSS, RONALD ZEHRFELD, NINA KUNZENDORF, U.A. START: 25.9.14


A most wanted man - Hamburg war schuld an 9/11, via Einreise der Attentäter. Mit dieser Schuldzuweisung startet die John-Le-Carré-Verfilmung am heutigen Hafen, an dessen Mole jemand mit einer illegalen Einreise beschäftigt ist. Ein junger, bärtiger, muslimischer Typ, getrieben von einer Mission. Noch Fragen? Zumindest der rauchende, übergewichtige Boss eines Hamburger Anti-Terrorteams hat welche, die er dem verdächtigten Subjekt stellen möchte, bevor dieses dank Araberklischees wegverhaftet wird. Dabei wird er von Spionagebürokraten und einer CIA-Agentin mehr behindert als unterstützt. Philip Seymour Hoffman spielt den melancholischen Chef des Antiterrorteams derart famos, dass die Trauer um den dieses Jahr gestorbenen Oscargewinner so schmerzt wie der Verrat, den sich die Protagonisten gegenseitig zufügen. Wer will, kann sich an Nebenröllchen für Nina Hoss und Daniel Brühl freuen oder am seltsamen Auftritt von Herbert Grönemeyer (verantwortlich für die Musik). Alles wacker werkelnde Spionagearbeitsbienen in einer ungerechten Welt. Jutta Vahrson

GB/D/USA 2014, R: ANTON CORBIJN. D: PHILIP SEYMOUR HOFFMAN, ROBIN WRIGHT, WILLEM DAFOE, NINA HOSS, DANIEL BRÜHL, 123 MIN., KINOSTART: 11.9.14


Pride - 1984, mitten im Streik der Minenarbeiter gegen Thatchers Grubenschließungen mit zig Tausenden verlorener Jobs. Ein gewerkschaftlich organisiertes Kohlegrubendörfchen in Wales akzeptiert das Hilfsangebot einer Gruppe von Londoner Schwulen und Lesben. Quasi aus Versehen. Denn solche Leute sind arg schrill und sterben alle an AIDS, richtig? Die zunächst misstrauisch beäugten Londoner Spendensammler versorgen den auf seine Grube ebenso stolzen wie von ihr abhängigen Ort während vieler Monate mit lebensrettenden Geldern, Nahrungsmitteln, Loyalitäten. Und auch sie überdenken ihre Klischees von tumben Provinzmachos. Diese gegenseitige Solidarisierung führte damals ganz real zum öffentlichkeitswirksamen Marsch jener walisischen Grubengewerkschafter an der Spitze der ersten Gay Pride-Demo in London - und schließlich zur Gleichstellung von Lesben und Schwulen in Großbritannien. Pride ist manchmal zum Schreien witzig und immer zum Schluchzen wichtig. Vor seinem regulären Filmstart eröffnet Pride zunächst das Hamburger Filmfest am 25. Sepember. Jutta Vahrson

GB 2014, R: MATTHEW WARCHUS. D: BEN SCHNETZER, PADDY CONSIDINE, BILL NIGHY, IMELDA STAUNTON, DOMINIC WEST, 117 MIN., KINOSTART: 30.10.14