Rhythmus wie für Rollatoren

Element of Crime: Lieblingsfarben und Tiere - Irgendwann erreicht man ein Alter, in dem der Uhrzeiger nur noch die Jahre zu zählen scheint. Wenn es soweit ist, dann kann man die Uhr auch getrost nach Sven Regener stellen. Denn zuerst kommt ein neues Buch und ein Jahr später kommt dann eine neue Platte seiner Band Element of Crime. Nun, da das neue Album Lieblingsfarben und Tiere erscheint, darf man feststellen: Wieder ein Jahr rum. Und, zum Glück: Alles beim Alten.

Denn das wäre ja noch schöner, wenn sich so eine Institution wie Element of Crime auf ihre alten Tage noch dramatisch verändern würde. Seit 1985 gibt es die Band, nach einigen Jahren mit englischen Texten singt Regener jetzt schon sehr lange auf Deutsch. Wenn man das Singen nennen darf. Mit den dreieinhalb Tönen, die Regener trifft, erzählt er aber immer noch so fesselnde Geschichten, dass man ganz gebannt zuhören muss. Geschichten, in denen Menschen so lächeln wie die Flut an der Nordsee und Autos erst anspringen, wenn man gegen die Karosserie tritt. Geschichten, in denen die Sonne ewig nicht untergeht, es in der Nacht aber dann doch regnet. Geschichten, in denen es ein Wiedersehen im Baumarkt gibt, aber auch den Trost, dass die Liebe kälter ist als der Tod. Kurz: niedere Gefühle und große Einsichten, die Regener vorträgt mit leichtem Spott um die Mundwinkel. Die Band spielt die gemütlich schlürfenden Country-Chansons so lakonisch und zurückgenommen, als wollte sie sich am liebsten selbst abschaffen.

Im Titelsong wird es dann programmatisch. Ein Rhythmus wie für Rollatoren gemacht, eine Gitarre, die im Hintergrund jault wie ein getretener Hund, und Regener beschwört die Entschleunigung als Notwehr gegen die modernen Zeiten und ihre kommunikativen Zumutungen: "Denk an Lieblingsfarben und Tiere, Dosen- ravioli und Buch. Und einen Bildschirm mit Goldfisch, das ist für heute genug." Dann, in dem Moment, in dem die Melancholie zum Lebensgefühl wird, setzt auch noch Regeners wimmernde Mariachi-Trompete ein.

Gäbe es Element of Crime noch nicht, man müsste sie erfinden und auf Rezept verschreiben. Ihre hin- getupfte Schwergewichtigkeit macht einem selbst das Alter leicht. Der mittlerweile 53-jährige Regener liefert einem - ob in seinen Büchern oder seinen Liedern - genau jene leichte, ganz und gar nicht zynische Selbstironie, die sogar die Erbärmlichkeit des Alltags ertragen hilft. Irgendwann ist wieder ein Jahr rum. Dann gibt es vielleicht einen Song über die Schönheit der Frühverrentung. Thomas Winkler

CD, VERTIGO/UNIVERSAL


Johanna Borchert: FM Biography - Ja, der deutsche Jazz. Dümpelt irgendwo so vor sich hin. Hat weder den Schritt aus dem Elfenbeinturm richtig gewagt noch die Windbeuteleien eines Till Brönner verkraftet. Doch es gibt Hoffnung. Die heißt Johanna Borchert und ist der neue Stern am eher trüben Jazz-Himmel. Die Sängerin und Pianistin hat bereits mit ihren Projekten Schneeweiss & Rosenrot und Little Red Suitcase für Furore gesorgt und die einschlägigen Preise abgeräumt. Nach einem ersten Solo-Album mit Klavier-Improvisationen geht Borchert - nun zusätzlich singend - auf FM Biography einen weiteren Schritt Richtung Pop, um dem Jazz neuen Lebensraum zu eröffnen im hierzulande so toten Winkel zwischen biederem Traditionalismus und anbiederndem Populismus. Unterstützt von namhaften Musikern wie dem englischen Gitarristen Fred Frith werden zu keinem Moment die überkommenen, aber immer noch so beliebten Klischees reproduziert, ob sie aus Cool-, Free- oder Fusion-Jazz stammen. Stattdessen komplexe Melodien, verschachtelte Rhythmen und verschiedenste Einflüsse, die Borchert mit leichter Hand zu etwas montiert, das Traditionen respektiert und doch seinesgleichen sucht. Es ist Jazz. Immer noch irgendwie. Aber zum Glück nicht nur. Thomas Winkler

CD, YELLOWBIRD/SOULFOOD


Foaie Verde: Musik der Sinti und Roma - Roma und Sinti leben einen Alltag zwischen Ausgrenzung und erzwungener Anpassung. Wie gerade in jüngster Zeit populistische Politiker in Teilen Europas gegen diese Volksgruppe Stimmung machen, um für sich selbst daraus Kapital zu schlagen, ist beschämend. Und es zeugt von der Unkenntnis gegenüber der kulturellen Einzigartigkeit dieser noch immer marginalisierten Ethnie. Foaie Verde nennt sich ein rumänisch-russisch-ungarisch-deutsches Sextett, das auf seiner CD Musik der Sinti und Roma die Emotionalität, hohe Improvisationskunst und atemberaubende Virtuosität des Genres zelebriert. Damit dürfte die Gruppe alle, die davon noch nichts wussten, zutiefst erstaunen. Schließlich bedeutet der rumänische Bandname nicht nur "Grünes Blatt", sondern ist zugleich ein Ausruf des Staunens und der Betroffenheit. Doch belehren will das Sextett nicht. Stattdessen auf hohem Niveau unterhalten, mit einem unwiderstehlichen Mix aus rasend schnellem Swing und anrührenden Balladen, der auch für Hörer außerhalb der Roma-Community absolut kompatibel ist. Peter Rixen

CHAOS/EDEL KULTUR