Seit 133 Jahren schreibt der Warenhauskonzern Geschichte. Über 120 Jahre lang ist es eine Erfolgsgeschichte, seit 2003/2004 eine Geschichte mit ungewissem Ausgang. Eine Chronik der Ereignisse, die exemplarisch ist für den Verfall unternehmerischer Verantwortung

14. Mai 1881. Rudolph Karstadt gründet in Wismar das "Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt", das die Kundschaft mit ungewohnten Festpreisen lockt. Drei Jahre später öffnet das Karstadt-Haus in Lübeck, wo Heinrich und Thomas Mann zu den Kunden gehören. 1900 übernimmt Rudolph Karstadt 13 Geschäfte seines verschuldeten Bruders, 1920 die Firma Althoff, deren Filialen erst 1963 in Karstadt umbenannt werden. Karstadt hat 44 Filialen, bis 1931 werden es 89.

Mit der Weltwirtschaftskrise und dem Naziregime gerät Karstadt in Turbulenzen: Die Nazis bezeichnen Warenhäuser als "jüdische Erfindung"; sie zwingen Karstadt, 830 jüdische Beschäftigte zu entlassen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es eine tiefe Zäsur. Karstadt verliert die Warenhäuser im Osten Deutschlands. Es bleiben 45 Standorte, viele liegen in Trümmern. Mit dem "Wirtschaftswunder" beginnt in den 50er Jahren die Expansion. Neben Neugründungen gibt es Übernahmen, etwa der Grimme- Warenhäuser in Schleswig-Holstein. 1969 wird der Hauptsitz nach Essen verlegt. 1977 wird die Mehrheit an der Neckermann Versand AG erworben. In diesem Jahr verbucht Karstadt einen Umsatz von 10,62 Milliarden D-Mark. 1978 haben Warenhäuser in der Bundesrepublik einen Marktanteil von 11 Prozent. 1984 übernimmt Karstadt Neckermann vollständig.

Nach dem Ende der DDR werden aus Centrum-Warenhäusern in Brandenburg/Havel, Dresden, Halle, Magdeburg, Wismar und Görlitz Karstadt-Filialen. 1994 folgt die Übernahme von Hertie - inklusive des Flaggschiffs KaDeWe, Wertheim und Wehmeyer. Hertie-Häuser werden zum Teil geschlossen, zum Teil in Karstadt umbenannt. 2005 entscheidet das Berliner Verwaltungsgericht, dass Karstadt die Wertheim-Erben entschädigen muss. 1997 gründen Karstadt und Lufthansa das Touristikunternehmen Condor&Neckermann (C&N), das 2001 das britische Reiseunternehmen Thomas Cook und dessen Namen übernimmt.

Mitte 1999 fusionieren die Karstadt AG und das Versandhaus Quelle zur KarstadtQuelle AG mit insgesamt 113.000 Beschäftigten und einem Börsenwert von 3,3 Milliarden Euro. Madeleine Schickedanz ist die Mehrheitsaktionärin. Im Herbst 2000 räumt Walter Deuss, von allen "Papa" genannt, seinen Chefposten, neuer Vorstandsboss wird Wolfgang Urban, der das Unternehmen flott fürs neue Jahrhundert machen soll. 2001 übernimmt der Konzern die Bekleidungskette SinnLeffers und steigt ins Geschäft mit Versicherungen und Anlageprodukten ein. 2003 verzeichnet der Konzern einen Gesamtumsatz von 15,2 Milliarden Euro, einen Vorsteuergewinn von 464 Millionen Euro und einen Börsenwert von 2,3 Milliarden Euro. Insgesamt gibt es noch 101.000 Beschäftigte.

Die Krise beginnt schleichend und erreicht 2004 einen vorläufigen Höhepunkt. Der Konzern rutscht in die Miesen. Die Beschäftigten leisten durch Verzicht auf Sonderleistungen mit 745 Millionen Euro einen erheblichen Sanierungsbeitrag. 5500 der noch rund 100.000 Arbeitsplätze sollen abgebaut werden. 77 kleinere Karstadt-Häuser werden zu sogenannten "Kompakt"-Häusern umgewandelt. ver.di handelt Sanierungstarifverträge mit Standort- und Beschäftigungssicherung aus. Thomas Middelhoff wird Aufsichtsratsmitglied, neuer Konzernchef ist Christoph Achenbach.

Auch 2005 geht's mit KarstadtQuelle bergab; der Umsatz sinkt um 6,8 Prozent auf 13,45 Milliarden Euro. 200 Millionen Euro werden durch den Verkauf großer Teile der Logistik erlöst. Achenbach tritt im April zurück, Middelhoff wird neuer Chef, Schickedanz hält die Anteilsmehrheit am Konzern. Im Sommer beginnt der Verkauf von SinnLeffers, Wehmeyer, Runners Point und Karstadt Kompakt. Letztere gehen an britische Investoren unter Führung von Dawnay Day. Das in "Karstadt Warenhaus GmbH" umfirmierte Unternehmen zählt noch 90 Waren- und 32 Sporthäuser.

Die Umsätze gehen weiter zurück. 2006 werden KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger zur Premium-Group zusammengefasst. Immobilien im Wert von 4,5 Milliarden Euro werden offeriert. Die US-Investmentbank Goldman Sachs übernimmt 51 Prozent davon. Dawnay Day macht 2007 aus 75 Karstadt-Kompakt-Filialen Hertie-Häuser. Die neue Holding für KarstadtQuelle bekommt den Namen "Arcandor". Auch der restliche Immobilienbesitz wird verkauft: Im März 2008 gehen 49 Prozent des Grundbesitzes an Highstreet; Karstadt ist nun Mieter in den ehemals eigenen Warenhäusern. Im August werden die letzten beiden Wertheim-Filialen in Berlin in Karstadt umbenannt. Die 75 Hertie-Häuser gehen in die Insolvenz und werden ein Jahr später geschlossen.

Ex-Telekom-Finanzchef Karl-Gerhard Eick löst im März 2009 Middelhoff als Arcandor-Boss ab. Im Juni reicht Arcandor einen Antrag auf Insolvenz ein. Die Verfahren beginnen im Herbst für die Karstadt Warenhaus GmbH, die Holding Arcandor und die Primondo GmbH mit Quelle. Insolvenzverwalter ist Klaus Hubert Görg; Vorstandschef Eick geht. Verhandlungen über Sanierungsbeiträge beginnen; die Tarifkommission stimmt einem Sanierungstarifvertrag zu, wonach die nunmehr nur noch rund 28.000 Karstadt-Beschäftigten bis zum 31. August 2012 jährlich auf rund 50 Millionen Euro Sonderzahlungen und mehr verzichten; dafür handelt ver.di die Sicherung von Standorten und Beschäftigtenzahl aus. Das Versandhaus Quelle wird aufgelöst; einzelne Karstadt-Filialen werden geschlossen. Es bleiben 120 Häuser.

Karstadt soll 2010 an einen Investor verkauft werden, nachdem weitere Kosten gedrückt werden: Highstreet senkt die Mieten, Kommunen verzichten auf Gewerbesteuer. Im Mai tritt Nicolas Berggruen auf den Plan; er verlangt weitere Mietsenkungen für die Filialen. Am 7. Juni erhält er für 1 Euro den Zuschlag, im September senkt Highstreet die Mieten. Am 1. Oktober wird das Insolvenzverfahren über die Karstadt Warenhaus GmbH aufgehoben; Berggruen hat freie Hand. Thomas Fox wird Karstadt-Chef. Anfang 2011 löst Ex-Woolworth-Manager Andrew Jennings Fox ab, im April wird der Berggruen-Vertraute Jared Blue-stein Aufsichtsratschef. Karstadt wird in drei eigenständige Geschäftsbereiche aufgeteilt: 83 Warenhäuser, 26 Sport- filialen, drei Premiumhäuser. Jennings präsentiert "Karstadt 2015" mit neuen Ideen für die Sortimente.

Mit Auslaufen des Sanierungstarifvertrages kehrt Karstadt zum 1. September 2012 in die Tarifbindung zurück. Die Beschäftigten bezahlen die Managementfehler der Vergangenheit und Gegenwart mit dem Abbau von 2000 der jetzt nur noch 24.400 Stellen bis Ende 2014. Im Dezember 2012 kauft der österreichische Investor René Benko mit seiner Signa-Gesellschaft für 1,1 Milliarden Euro von Highstreet 17 Karstadt-Immobilien, darunter das KaDeWe. Zuvor war Signa mit dem Projektentwickler Centrum für 250 Millionen bei Oberpollinger und einem Karstadt-Sporthaus in München eingestiegen.

Im Mai 2013 kündigt Karstadt die Tarifflucht an. ver.di und Betriebsräte demonstrieren und fordern Nicolas Berggruen zu Investitionen bei Karstadt auf, was nicht passiert. Berggruen hat jedoch von Karstadt für die Namensrechte Millionen kassiert, die Karstadt in Form von Lizenzgebühren zahlen musste. Im Herbst übernimmt Benko für 300 Millionen Euro je 75,1 Prozent am operativen Geschäft der Premiumhäuser und an Karstadt-Sport; die restlichen Anteile an diesen Sparten und 100 Prozent der 83 Warenhäuser bleiben bei Berggruen. Zum Jahresende hört Andrew Jennings auf. Nachfolgerin wird Anfang 2014 Ex-Ikea-Managerin Eva-Lotta Sjöstedt. Sie hört nach fünf Monaten auf, weil Berggruen nicht bereit ist, in Karstadt zu investieren. Am 14. August übernimmt René Benkos Signa für 1 Euro die restlichen Anteile an Premium, Karstadt-Sport und allen Warenhäusern. Das Bundeskartellamt genehmigt das Geschäft. ver.di und die Karstadt-Betriebsräte fordern den neuen Eigentümer zu substanziellen Investitionen und zum Erhalt von Häusern und Arbeitsplätzen auf.

Zusammenstellung: Gudrun Giese

Quellen: Hagen Seidel, Arcandors Absturz, Frankfurt/M. 2010, Wikipedia, www.textilwirtschaft.de/business/Die-Karstadt-Chronik_63334.html, Flugblätter ver.di und GBR Karstadt