Für rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland gilt seit dem 1. Januar 2015 der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Allerdings war die Bundesregierung dem Druck aus der Wirtschaft schon vor der Verabschiedung des Gesetzes erlegen und hat Ausnahmen für Langzeitarbeitslose, Unter-18-Jährige und Beschäftigte bestimmter Branchen wie der Zeitungszustellung ins Gesetz geschrieben. ver.di lehnt diese Ausnahmen ab und fordert überdies, den gesetzlichen Mindestlohn so schnell wie möglich auf zehn Euro pro Stunde anzuheben.

Die Politik scheint das Gesetz hingegen noch weiter aufweichen zu wollen, auf weiterhin anhaltenden Druck der Arbeitgeber. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, kündigte Anfang Februar an, sie wolle sich bis zum Sommer einen Überblick über erste Erfahrungen und praktische Fragen verschaffen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel knickte schon einige Tage vorher ein. In seiner Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht zeigte er sich offen für Änderungen. Noch am Tag zuvor hatte er das abgelehnt.

Für den Wirtschaftsflügel der Union war das Gesetz bereits wenige Tage nach der Einführung ein "Bürokratiemonster". Die Politiker/innen kritisierten die Pflicht der Arbeitgeber, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ihrer Beschäftigten festzuhalten. Obwohl das Bundesfinanzministerium noch vor Weihnachten zwei Verordnungen auf den Weg gebracht hatte, die bestimmte Branchen von dieser Pflicht befreien (ver.di publik berichtete). Dabei handelt es sich um sogenannte mobile Tätigkeiten. Zu diesen Branchen zählen auch die Taxifahrer/innen. Mira Neumaier, die diesen Bereich im ver.di-Bezirk Hannover/Leine-Weser betreut, bezeichnet die Verordnungen als "Knieschuss" für die ehrlichen Unternehmen der Branche. So hätten die Kontrolleur/innen nur wenig Handhabe bei Missbrauch.

Stundenlöhne aller Beschäftigten in Deutschland 2012: Von allen Beschäftigten in Deutschland verdienten im Jahr 2012 allein fünf Prozent weniger als fünf Euro pro Stunde.

Ohnehin fehlen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren soll, Mitarbeiter/innen. Die derzeit 6700 Beschäftigten waren schon mit ihren bisherigen Aufgaben am Limit. Die Regierung hat angekündigt, 1600 neue Kräfte einstellen zu wollen. Doch damit die Kontrollen wirksam werden, fordern die Gewerkschaften die Aufstockung um 3300 auf dann 10.000 Beschäftigte. Allerdings hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, CDU, die Stärkung der Kontrollen Anfang Februar gleich ganz in Frage gestellt: Er brauche mehr Geld für die Terrorabwehr.

Wie gering das Interesse der Arbeitgeber ist, die Arbeitszeiten korrekt festzuhalten, hat ein Programmierer der ver.di publik berichtet. Er habe eine Software entwickelt, mit der Beschäftigte in mobilen Branchen ohne großen "bürokratischen" Aufwand per Smartphone Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeit übermitteln können. Als er das Arbeitgebern und ihren Verbänden vorgestellt hat, habe man ihm zu verstehen gegeben, dass es gar nicht von Interesse sei, alles minutiös zu erfassen.

Telefonhotline hilft

Deswegen sollten Beschäftigte, die Anspruch auf den Mindestlohn haben, ihre eigenen Arbeitszeiten notieren und in der Lohnabrechnung überprüfen, ob alle Stunden bezahlt worden sind. Hilfe bei diesen und weiteren Fragen gibt es bei einer Telefonhotline des Deutschen Gewerkschaftsbundes unter 0391 / 4088003* oder in den ver.di-Geschäftsstellen vor Ort. ver.di-Mitglieder können mit dem ver.di-Rechtsschutz ihre Ansprüche notfalls auch vor Gericht durchsetzen. Der Beratungsbedarf jedenfalls ist groß. 5350 Anrufe gingen allein im Januar bei der Hotline ein.

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* erreichbar zum Festnetztarif montags bis freitags von 7 bis 20 Uhr, samstags von 9 bis 16 Uhr