INTERVIEW

"Er war der Radikalste"

ver.di publik – Der Name Johann Georg Elser ist bis heute nahezu unbekannt und wird nur selten in Verbindung gebracht mit dem ersten Versuch eines Attentats auf Hitler. Oft ist gerade mal bekannt, dass da jemand 1939 im Münchener Bürgerbräukeller eine Bombe gezündet hat, die zwar pünktlich hochging, aber nicht Hitler traf, der 13 Minuten früher überraschend die Veranstaltung verlassen hatte. Warum ist die Person Georg Elser so bedeutsam?

FRED BREINERSDORFER – Weil er ein großer Held war. Er war ein Einzelkämpfer und der erste, der Hitler massiv angegriffen hat. Er war der Radikalste und hat das Attentat ohne eigene Interessen geplant und umgesetzt. Vergleicht man das mit dem Kreis um Stauffenberg, waren da ja keine in Wolle gewaschenen Demokraten am Werk. Die Offiziere hatten auch Eigeninteressen. Eher kann man Elser mit der Weißen Rose vergleichen, ein intellektueller Widerstand, bei dem die Beteiligten auch ihr Leben riskiert haben. Was die Weiße Rose gemacht hat, war ehrenhaft und mutig, aber nüchtern betrachtet aussichtslos. Georg Elser hingegen hätte die Welt verändert.

ver.di publik – Wie erklären Sie sich, dass diese historisch wichtige Person bis heute in unserer Erinnerungskultur keine Rolle spielt?

BREINERSDORFER - Elser war ein einfacher Mann, ein Linker, er hatte nach dem Krieg keine Lobby. Das ist bis heute so. Ich hätte mir beispielsweise gewünscht, dass die Baden-Württembergische Landesregierung am 9. April, dem 70. Jahrestag seiner Ermordung, in einem Staatsakt seiner gedenkt. Sogar in seiner Heimat tut man sich bis heute schwer mit seiner Würdigung. Das ist erschütternd.

ver.di publik – Dabei kann man auf so einen doch stolz sein.

BREINERSDORFER - Elser war überall verfemt. Ihn hat die krasse Ablehnung jeglichen Widerstands gegen die Nazis in Deutschland auch nach dem Krieg am stärksten getroffen. Die Schwester von Sophie Scholl hat mir berichtet, dass in Ulm die Leute die Straßenseite gewechselt haben, wenn die Familie durch die Stadt gegangen ist. Die ganze Gegend um Königsbronn ist nach dem Attentatsversuch von der SA und von der Gestapo drangsaliert worden. Diese Einschüchterungen haben nachgewirkt. Das ging so weit, dass in der ganzen Gegend Elsers Heimatdorf Königsbronn "Attentatshausen" genannt wurde. Elser war eben ein Einzelkämpfer, hinter dem dort keiner stand.

ver.di publik – Wie grenzt sich Ihr Elser-Film von der Verfilmung von Klaus-Maria Brandauer von 1989 ab?

Fred Breinersdorfer (69) ist Drehbuchautor, Filmproduzent, Rechtsanwalt und lebt in Berlin. Von 1997-2005 war er der Bundesvorsitzende des VS, Verband Deutscher Schriftsteller in ver.di.

BREINERSDORFER – Brandauer hat einen Film darüber gemacht, wie Elser die Bombe gebaut hat, und wir haben einen Film darüber gemacht, warum er sie gebaut hat.

ver.di publik – Wie haben Sie sich bei der relativ dürren Aktenlage der Person Elser angenähert?

BREINERSDORFER – Zum einen gibt es noch die Verhörprotokolle aus Berlin. Es gab auch nach dem Krieg Ermittlungen der Staatsanwaltschaften gegen Einzelne, und auch postum gegen Elser, um die Vorgänge aufzuklären. Dazu kommen noch Berichte von Zeitzeugen, und natürlich liegen auch aus der Nazizeit Dokumente vor. Göbbels hat in seinem Tagebuch noch 1942 erwähnt, dass diese Elser-Geschichte mit einem Schauprozess zu Ende gebracht werden müsse - nach dem "Endsieg", den Elser ja hatte verhindern wollen. Über Elser und seine Tat gibt es schon Material, aber sehr verstreut und viel weniger im Vergleich zur Weißen Rose oder dem Kreis um Stauffenberg. Aber bei einer Filmrecherche sind nicht nur historische Fakten wichtig, auch der Zeitgeist, das Leben auf einem Dorf wie Königsbronn, die Infiltration des Nazismus in eine intakte, enge Gesellschaft. Darüber kann man heute auch noch viel erfahren. Mit meiner Tochter, mit der ich das Drehbuch zusammen geschrieben habe, bin ich oft nach Königsbronn und Heidenheim gefahren und diesen Spuren nachgegangen.

ver.di publik – Hat man Ihre Arbeit dort unterstützt?

BREINERSDORFER – In der Gemeinde Königsbronn hat sich die Stimmung völlig verändert. Dort hat man vor über 20 Jahren angefangen, sich des Erbes dieses deutschen Helden bewusst zu werden. 2009 hat man Georg Elser am Bahnhof ein Denkmal errichtet. Es gibt eine Gedenkstätte mit einem kleinen Museum, das sehr liebevoll gemacht ist. Die Hobelbank von Elser steht dort, die er als Schreiner benutzt hat, andere Artefakte und sogar ein Nachbau des Zündmechanismus der "Höllenmaschine", die er in seiner Haft anfertigen musste. Die Gemeinde Königsbronn hat uns in allen Belangen großartig unterstützt. Aber auch das Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart hat uns sehr mit historischem Filmmaterial geholfen, das zwar nicht Elser zeigt, aber das Leben damals auf dem Land in und um Heidenheim. Wir haben davon Ausschnitte in unserem Kinofilm, beispielsweise die Szene mit dem Schäferlauf. Auch Aufnahmen aus dem zerstörten Bürgerbräukeller befinden sich im Fundus. Sie stammen von dem Kameramann der Wochenschau, der die nicht verwendeten Filmstreifen aufgehoben hat, die die wahre Zerstörung des Gebäudes zeigen.

ver.di publik – Welche Zeitzeugen haben Sie noch angetroffen?

BREINERSDORFER – In Heidenheim haben wir einige Kommunisten von früher getroffen. Das ist insofern interessant, als dass diese Gegend immer schon eine Industriegegend war, die durch ein stark sozialdemokratisches und kommunistisches Klima geprägt war. Da hatten die Braunen zunächst wenig zu sagen. Die "Schwäbischen Hüttenwerke", die auch im Film vorkommen, gibt es seit 250 Jahren, sie sind heute Weltmarktführer für Offset-Trommeln im Zeitungsdruck. Umso interessanter ist, wie sich das Leben in Königsbronn verändert hat, als die Nazis an die Macht kamen. Viele haben damals sehr schnell die Seiten gewechselt. Bei den Kommunisten in Heidenheim genießt Elser bis heute einen exzellenten Ruf. Unsere Zeitzeugen haben weder aus der Nazizeit Dokumente und Akten noch aus der Adenauer-Republik, denn dort sind sie auch gleich wieder verboten worden. Bei der Recherche kamen trotzdem viele interessante Dinge heraus. Beispielsweise floss das in die Szene, wie Elser mit Freunden aus der KP an das Werkstor schreibt "Wählt KPD" und sie das "h" vergessen. Es gab in Heidenheim einen Fabrikschornstein, da haben Kommunisten 1932 den Aufruf nachts rangepinselt und das "h" vergessen. Wenn Elser das "h" am Fabriktor ergänzt, das gibt jedes Mal einen Lacher im Kino. Es sind diese Details, die man sich als Autor nur schwer ausdenken kann, die einen Film authentisch machen.

ver.di publik - Gibt es noch Mitglieder aus der Familie?

BREINERSDORFER - Es gibt einen Neffen und verschiedene Verschwippschwägerte und Verwandte, die haben bis vor kurzem auch uns gegenüber vor Scham geschwiegen. Meine Tochter hat es dann mühsam geschafft, sie zur Premiere unseres Films einzuladen. Wir haben den Eindruck, dass sie inzwischen stolz auf ihren Georg sind.

ver.di publik - Um sein Attentat auszuführen, verzichtete Elser ja auf alles: seine Freundin, seine Familie, sein gesamtes Umfeld. Was glauben Sie, hat Elser, der kleine Arbeiter vom Dorf, damals gesehen, was angeblich kein anderer gesehen hat?

BREINERSDORFER - Ich glaube, er hat einfach sehr genau hingesehen und eins und eins zusammengezählt. So schwer war das nicht. Das Ende des ersten Weltkriegs mit seinen grauenhaften Grabenkriegen, mit Millionen Opfern auf beiden Seiten lag 1933 gerade mal 15 Jahre zurück. So lange wie heute die Jahrtausendwende. Dieser Krieg hat in jeder Familie Opfer gefordert, auch bei Elser. Da kann man schon auf die Idee kommen und hochrechnen, was passiert, wenn die Kriegshetzer wieder anfangen. England und Frankreich hatten am 2. September 1939 Deutschland den Krieg erklärt, Polen war besiegt - dass sich die Spirale der Gewalt weiter drehen würde war klar. Da musste man nur den Stürmer lesen und genau zuhören, was Hitler und Konsorten sagten. Das ist auch einer der Charakterzüge, die mich an Georg Elser faszinieren, seine Hellsichtigkeit. Diese Klarheit und sein Mut, den entscheidenden Schritt dann auch wirklich zu gehen.

INTERVIEW: Jenny Mansch


Elser – Der Film

Schon die Eingangssequenz zeigt die Mühen, die das Präparieren der Säule hinter Hitlers Rednerpult dem Technik-Tüftler Georg Elser bereitet hat. 30 Nächte lang schürft sich nach einjähriger Vorbereitung der Schreiner aus Königsbronn im Münchener Bürgerbräukeller die Knie wund, um die selbst gebaute Bombe zu legen und zu schärfen. Anschließend lässt ein dummer Zufall ihn kurz vor der Flucht über die Schweizer Grenze in die Hände der Gestapo fallen, während in München die Bombe hochgeht, pünktlich auf die Minute – und dennoch ihr Ziel verfehlt. Von diesem Moment an rekapituliert Oliver Hirschbiegels (Der Untergang) Verfilmung in zwei Erzählsträngen und mit bemerkenswert modernem Schnitt und Sounddesign die Geschichte der Radikalisierung des Hitler-Attentäters Johann Georg Elser, dargestellt von Christian Friedel (Das weiße Band). Zum einen die beklemmende Verhörsituation, die Folter und Seelenqual des zunächst Ungeständigen. Zum anderen portraitiert der Film in Rückblenden die Metamorphose der schwäbischen Heimat Elsers unter den Nazis und zeigt seine Entwicklung vom freiheitsliebenden Womanizer zum hellsichtigen, aber isolierten Kämpfer. Und schließlich sein Scheitern in historischer Dimension.

Jenny Mansch

D 2015, R: OLIVER HIRSCHBIEGEL NACH EINEM DREHBUCH VON FRED UND LÉONIE-CLAIRE BREINERSDORFER. D: CHRISTIAN FRIEDEL, KATHARINA SCHÜTTLER, BURGHART KLAUSSNER, JOHANN VON BÜLOW. MUSIK: DAVID HOLMES. KINOSTART: 2. APRIL