Fäuste hoch!

Irie Révoltés: Irie Révoltés - Eigentlich könnten sie gleich Demo-Aufrufe verteilen. Oder einen Kommentar schreiben in der Zeitung. Vielleicht wäre es auch erfolgversprechender, sie würden für ein Amt kandidieren. Aber Irie Révoltés sind eine Band. Sie machen Musik. Ziemlich großartige Musik. Musik zum Tanzen. Aber Musik auch, die mehr will. So viel mehr als andere Popmusik. Aus der Welt einen besseren Ort machen. Den Nazis die Stirn bieten. Eine kleine Revolution lostreten, so Sachen halt.

Schon als Irie Révoltés vor 15 Jahren in Heidelberg gegründet wurden, war klar: Hier gehören Musik und Politik zusammen. Heute mögen die neun Mitglieder der aktuellen Besetzung verteilt in verschiedenen Städten leben, das neue, schlicht Irie Révoltés betitelte Album mag ihr fünftes sein und dürfte es seinem zwei Jahre alten Vorgänger Allez nachmachen und sich in den Charts platzieren. Aber die Band ist doch vor allem eins geblieben: ein mobiles Einsatzkommando für die linke Sache.

Das bedeutet: Nicht nur "Wir proben den Aufstand" singen wie im Song Fäuste hoch, während der Rhythmus hüpft wie ein Gummiball. Nicht nur in Jetzt ist Schluss das Schweigen beklagen angesichts von Fremdenfeindlichkeit und rechtem Terror. Nicht nur zu modisch klappernden Beats Freiheit und zwar Jetzt fordern.

Sondern auch: sich ganz konkret sozial und politisch engagieren. Das fängt in der eigenen Band an, die streng basisdemokratisch organisiert ist, und wird im künstlerischen Ausdruck konsequent weitergedacht. Konzerte von Irie Révoltés sind dank der ansteckenden Mischung aus Reggae, HipHop und Ska zwar in erster Linie große, ausgelassene Partys, tragen aber auch Züge einer Informationsveranstaltung, weil die Band eng mit Initiativen wie "Respekt!" oder "Viva con Aqua" zusammenarbeitet. Regelmäßig tritt die Band bei politischen Veranstaltungen auf, spielt für Flüchtlinge und streikende Studenten, sammelt auf Tourneen Rollstühle für behinderte Menschen in Afrika. Für "Kein Platz für Rassismus" haben Irie Révoltés einen Song geschrieben, manche ihrer Konzerte münden in einen spontanen Solidaritätsmarsch zur nächstgelegenen Asylbewerberunterkunft.

Ganz unproblematisch ist das nicht. Die Szene ist fordernd. Es findet sich immer jemand, der die Konzerttickets für zu teuer hält oder meint, die Band solle noch mehr Soli-Konzerte spielen. Doch mittlerweile haben sich Irie Révoltés einen Status in der linken Szene erspielt, der heranreicht an den von Ton Steine Scherben in den Siebzigerjahren. Sie sind das neue linke Gewissen im deutschen Pop. Aber vor allem der Beweis, dass Musik und Politik nicht nur zusammengehören, sondern im Fall von Irie Révoltés sogar zusammenpassen.Thomas Winkler

CD, FERRYHOUSE PRODUCTIONS/WARNER


Cheikh Lô: Balbalou - Eine betont freundliche Ausstrahlung, imposante Dreadlocks und eine markante Stimme. Dazu auffallend bunte Patchwork-Kleidung, die seiner Zugehörigkeit zur Baye Fall, einer islamischen Bruderschaft geschuldet ist. Musik und Spiritualität gehören für Cheikh Lô, Jahrgang 1955, untrennbar zusammen. Nicht das, was die Menschen voneinander unterscheidet, sondern was sie miteinander verbindet, ist wichtig, sagt Cheikh Lô. Diesem Credo folgt der Senegalese auch in seiner Musik. Senegals Top-Sänger legt - unter Beteiligung von Gastsängerinnen Flavia Coelho und Oumou Sangaré sowie Akkordeonist Fixi und Orient-Trompeter Ibrahim Maalouf - nach fünf Jahren sein neues Album Balbalou vor, einen Mix aus infektiösen Mbalax-Rhythmen und entspannten Rumba-Grooves. Lô, der ein Zeit lang auch in Paris gelebt hat, ist ein afrikanischer Kosmopolit, der Tradition und Moderne in eine Balance bringt, die sich auch westlichen Hörern sofort erschließt. Der Sound von Talking Drums und Kora-Harfe ist in ein Songwriting eingebunden, das stets Cheikh Lôs positives Lebensgefühl transportiert - seinen Appell für ein geeintes Afrika eingeschlossen. Peter Rixen

CD, CHAPTER TWO/INDIGO


Konstantin Wecker: Ohne Warum - Auch der gute alte Willy muss noch mal ran. Der Willy, den die Nazis doch eigentlich erschlagen haben. Aber der Willy wird noch gebraucht. Willy 2015 heißt die aktualisierte Version des Talking-Blues, mit dem Konstantin Wecker einst berühmt wurde. Fast vier Jahrzehnte später ist der Münchner Liedermacher auf seinem neuen Album Ohne Warum immer noch der wütende, kraftstrotzende Kämpfer, der seinen alten Kumpel Willy aufsucht, um mit ihm die Weltlage zu diskutieren. Jeder der 16 Songs ist eine Anklage, ist Wutrede oder Solidaritätsadresse. Der 68-jährige Wecker ist lange noch nicht bereit fürs Altenteil. Er kämpft gegen "menschenverachtende Ideologie" und "unser völlig krankes Wirtschaftssystem", polemisiert gegen "Knechtschaft und Tyrannei". In dem Beitrag Die Mordnacht von Kundus rechnet er ab mit den Bundeswehr-Generälen und Politikern. Er fragt sich, ob die Gedanken tatsächlich noch frei sind, und fordert angesichts der Not und Katastrophen, die den Flüchtlingen widerfahren, "eine grenzenlose Welt, in der ich leben will". Konstantin Wecker gibt so überzeugend mal das altbekannte Blues-Tier, mal den nachdenklichen Mahner, dass man ihm gern auch den bisweilen unnachgiebigen Tonfall verzeiht. Thomas Winkler

CD, STURM & KLANG/ALIVE


Melody Gardot: Currency Of Man - Erneut wirbt die 30-jährige Sängerin für die Massentauglichkeit des Jazz. Gleichzeitig prangert die gelernte Modedesignerin Rassismus an. In den Lyrics ihres Songs Preacherman erinnert die Amerikanerin an das Schicksal des 14-jährigen Emmet Till. Weil er angeblich einer weißen Frau hinterherpfiff, wurde der afroamerikanische Junge 1955 auf brutale Weise ermordet. Vor den Augen der verzweifelten Mutter sprach eine weiße Geschworenen-Jury die Verdächtigen frei. Die Geschichte von Emmet Till gehört für sie immer noch nicht der Vergangenheit an. Nur wer sich zurückliegende Fehler bewusst mache, könne umdenken. Getragen vom sphärischen Timbre Gardots und dem Country-Vibe der Saiteninstrumente sind ihre verzehrenden Urban-Soul-Balladen diesmal überraschend erdig arrangiert. Die außergewöhnliche Songschreiberin schlägt eine vollkommen andere Richtung ein, als auf ihrem letzten Album The Absence, auf dem sie mit Elementen von Samba, Tango, Bossa und Fado experimentierte. Mit einer fulminanten Bläsersektion präsentiert sie nun ihre Songs teilweise auf satten, treibenden Grooves. Luitgard Koch

CD, DECCA/UNIVERSAL