Ausgabe 04/2015
Neue Löhne braucht das Land
Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen im Streik
von Petra Welzel
Würden in den sozialen Berufen mehr Männer als Frauen arbeiten - sie wären vermutlich längst aufgewertet. Das gilt ebenso für den Pflegebereich, in dem ebenfalls deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten. Und im Einzelhandel - das gleiche Bild. Laut Statistischem Bundesamt liegt das Einstiegsgehalt einer Erzieherin bei 1800 Euro brutto. Im Durchschnitt kommt sie in ihrem Berufsleben auf ein Maximaleinkommen von 2500 Euro brutto. Die Gehälter, die die Kommunalen Arbeitgeber in der laufenden Tarifrunde in den Sozial- und Erziehungsdiensten bisher unhinterfragt verbreiten - 2589 Euro Einstiegsgehalt, 3289 Euro Endgehalt, bei Leitungsfunktionen bis zu 4748 Euro -, erhalten landauf, landab tatsächlich nur eine Handvoll Frauen pro Bundesland.
Zudem: Eine Erzieherin finanziert ihre vier- bis fünfjährige Ausbildung zu großen Teilen selbst, kommt anschließend wegen unfreiwilliger Teilzeit meist nur auf eine 80-Prozent-Stelle und damit nicht über die Runden. Also geht sie noch einem Zweitjob nach, kellnert oder putzt, wofür sie zwar keine besondere Qualifizierung braucht, aber doch Kraft. Auch die Frauen im Handel sind von erzwungener Teilzeit betroffen. Auch bei ihnen reicht ein Job oft nicht mehr zum Überleben.
Dass es einen Zusammenhang zwischen dem Anteil der Frauen in einer Branche - in den sozialen Berufen sind es 79 Prozent - und der Bezahlung gibt, haben jetzt Soziologen der Universität Lausanne auch wissenschaftlich bewiesen. Nach wie vor seien Denkmuster verbreitet, nach denen die Arbeit von Frauen grundsätzlich weniger wertgeschätzt wird als die Arbeit von Männern. Wirtschaftlich gebe es dafür allerdings keine Erklärung, die schlechtere Bezahlung von Frauen sei ein Ausdruck von Diskriminierung.
Hoch beansprucht, schlecht bezahlt
"Hoch beansprucht, schlecht bezahlt" ist daher auch das Fazit einer neuen, von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie zu den Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen. Sie sind erheblichen körperlichen Belastungen ausgesetzt, häufiger krank als andere Arbeitnehmer/innen, aber dennoch öfter krank am Arbeitsplatz zugegen. Die schlechte Bezahlung ist das i-Tüpfelchen obendrauf. Man könnte diese Studie auch für den Pflegebereich machen und käme wohl zu nahezu gleichen Ergebnissen.
Etwas läuft hier gehörig schief. Die überwiegend männlichen Beschäftigten in den technischen Berufen, etwa der Chemieindustrie, die eine annähernd gleiche Qualifizierung wie eine Erzieherin haben, verdienen - ebenfalls laut Statistischem Bundesamt - im Schnitt durchweg 700 Euro brutto mehr im Monat. Von Anfang an. Und auch ihre Ausbildung wird ihnen bereits ordentlich vergütet. Dass sie sich ständig fortbilden, versteht sich von selbst. Schließlich wollen die Menschen in diesem Land ja nicht permanent befürchten müssen, dass ihnen Hoechst und Bayer um die Ohren fliegen. Aber woher die gebildeten Chemielaboranten nehmen, wenn sie nicht von Kindheit an von qualifizierten Kräften auf den richtigen Weg gebracht worden sind? Oder dank einer ebenso hochqualifizierten Sozialarbeiterin von der schiefen Bahn geholt wurden?
Dieser Tage gehen hunderttausende Frauen aus den Sozial- und Erziehungsdiensten, aus dem Handel und der Pflege auf die Straße, um das einzufordern, was ihnen schon lange zusteht: Anerkennung und Löhne, von denen sie leben können. Vor zwei Jahren noch haben knapp 24.000 Frauen eisern für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze beim Drogisten Schlecker gestritten und sie doch verloren. 2002 legte sich die Politik für das insolvente Bauunternehmen Philipp Holzmann derartig ins Zeug, dass von knapp 11.000 Beschäftigten 7000 Männer ihren Job behielten.
Frauen lassen sich nicht länger diskriminieren
Heute lassen sich die Frauen nicht länger diskriminieren. Und die Männer, die sich trotz der schlechten Bezahlung für die Arbeit in diesen "Frauenberufen" - wie sie oft noch abwertend bezeichnet werden - entschieden haben, reihen sich ganz selbstverständlich ein. Aufwertung und gleiche Bezahlung sind das Gebot in einer Zeit, in der immer mehr Beschäftigte mit mickrigen Löhnen abgespeist werden.