Ausgabe 06/2015
Griechenlands Recht auf Reparationen
Mehrere griechische Regierungen haben über die Jahre vergeblich Reparationen von Deutschland angemahnt. Für ihre bitteren Verluste durch den Überfall Hitler-Deutschlands
Eroberung Kretas am 20./21. Mai 1941 durch deutsche Fallschirmjäger
Niemand bestreitet, dass Hitler-Deutschland im April 1941 Griechenland in verbrecherischer Weise überfallen und bis Oktober 1944 gnadenlos ausgeplündert hat. Wehrmacht, SS und Militärverwaltung wüteten dort grausamer als in anderen, ebenso widerrechtlich besetzten Staaten, etwa in Frankreich, Luxemburg, Belgien oder den Niederlanden. Ganze Ernten wurden nach Deutschland abtransportiert, hunderttausende Griechen verhungerten. Fabrikanlagen und Rohstoffe wurden geraubt - zum Beispiel Chrom-Erz für die Rüstungsschmiede von Krupp in Essen. Die griechische Wirtschaft lag danieder. Griechenland musste, wie auch die anderen besetzten Staaten, sogar die Kosten der deutschen Besatzung tragen, etwa Unterbringung und Ernährung des kriegführenden Personals - ein Ausbund von Zynismus, wenn auch durch die Haager Landkriegsordnung juristisch gedeckt.
Juden mussten ihre Deportation bezahlen
Darüber hinaus aber wurde der griechische Staat von Deutschland gezwungen, die Verpflegung der deutschen Truppen unter Panzergeneral Rommel in Nordafrika zu bezahlen. Und das war und bleibt selbst nach Kriegs-Völkerrecht illegal. Abgewickelt wurden diese "Geschäfte" per Zwangsanleihe der griechischen Nationalbank an die Deutsche Reichsbank. Die Juden (oder die jüdische Gemeinde) mussten der Deutschen Reichsbahn pro Person 39 Reichsmark für ihren Abtransport von Thessaloniki nach Auschwitz und Treblinka bezahlen - das gehörte zu den routinemäßigen Besatzungskosten!
Die deutschen Besatzer trafen auf Widerstand - und reagierten blindwütig. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, des Sicherheitsdienstes und der Geheimen Feldpolizei richteten Partisanen hin, erschossen Geiseln, brannten Dörfer nieder, verübten Massaker an der Zivilbevölkerung. Der ehemalige griechische Widerstandskämpfer, Autor und Politiker Manolis Glezos schrieb 1995 unter dem Titel "Ein Unrecht muss gesühnt werden" in dem Wochenmagazin Die Zeit: "Bei einer Gesamtbevölkerung von damals sieben Millionen verlor Griechenland: 70.000 Personen infolge direkter kriegerischer Auseinandersetzungen; 12.000 Zivilisten infolge indirekter kriegerischer Auseinandersetzungen; 38.960 hingerichtete Menschen; 100.000 in Konzentrationslagern ermordete Geiseln (ein großer Teil davon griechische Juden); 600.000 Hungertote." Bei ihrem Abzug zerstörte die deutsche Wehrmacht, was ihr vor die Kanonen kam: Straßen, Brücken, Bahngleise, Bahnhöfe, Häuser, Fabriken, Schiffe, Häfen.
Nach dem Krieg, am 25. Februar 1946, trat das "Pariser Reparationsabkommen" zwischen den westlichen Siegerstaaten und den wichtigsten Ländern in Kraft, die von NS-Deutschland besetzt worden waren. Für 18 Staaten wurden Ansprüche an den Nachfolger des Deutschen Reiches festgeschrieben. Für Griechenland sollten das 7,1 Milliarden US-Dollar sein, die in Geld, Waren, Schiffen oder ähnlichem zu begleichen waren. Das sollte lediglich zum ersten Wiederaufbau dienen - eine spätere vollständige Aufrechnung der Schäden und Reparationen wurde offengehalten. Die Inter-Alliierte Reparations-Agentur IARA sollte diese ersten Ansprüche bis 1951 abwickeln. Die damaligen griechischen Ansprüche sind heute einschließlich der Zinseszinsen ein Vielfaches wert, Schätzungen reichen bis 90 Milliarden Euro.
Doch insbesondere die USA schlugen damals eine andere Richtung ein. Sie bauten die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland zu einem Bündnispartner auf, dem bei der "Londoner Schuldenkonferenz" 1953 schrittweise die meisten Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsschulden erlassen wurden, der Rest bei niedrigen Zinsen auf Jahrzehnte gestundet. Reparationen wurden bis zum Abschluss eines zukünftigen Friedensvertrags verschoben. Nicht zuletzt auf diese Weise wurden der Wiederaufbau der Bundesrepublik und das westdeutsche "Wirtschaftswunder" der 1950er Jahre möglich.
Griechenland bekam aus dem IARA-Fonds einige Brosamen: 25 Millionen Dollar bis 1959, 1961 weitere 115 Millionen DM als "Globalentschädigung" für NS-Opfer, schließlich 2001 noch 20 Millionen Euro für griechische Bürger/innen, die während des Krieges in Deutschland Zwangsarbeit hatten leisten müssen. Alle weiteren Ansprüche griechischer Regierungen wurden immer wieder barsch abgewiesen.
Adenauers Arroganz
Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer ging dabei mit uneinsichtiger Arroganz vor. Die 115 Millionen DM wurden - natürlich öffentlich unausgesprochen - nur gezahlt, weil im gleichen Zug ein gewisser Max Merten aus dem Gefängnis in Griechenland freigelassen wurde. Merten war 1957 während einer Reise in Griechenland verhaftet und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden: Als Kriegsverwaltungsrat hatte er die Deportation der griechischen Juden nach Auschwitz und Treblinka organisiert und die jüdische Gemeinde von Thessaloniki erpresst. Die Adenauer-Regierung zahlte dem Mord-Organisator eine Haftentschädigung, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ließ die deutsche Justiz im Sande verlaufen.
Andere Staaten, Italien und Bulgarien, die als Verbündete Hitler-Deutschlands an der Besetzung Griechenlands beteiligt waren, leisteten ihre Zahlungen. Nicht so die Bundesrepublik. Deren Regierungen verzögerten die Leistungen ein ums andere Mal, zumal sie die Forderungen ohnehin für unberechtigt hielten. Ihre Argumentation: Wir warten auf einen Friedensvertrag, der dann auch die Reparationen klärt. Gleichzeitig sorgten die Bundesregierungen gemeinsam mit den USA, Großbritannien und Frankreich dafür, dass kein Friedensvertrag zustande kam.
Im Jahre 1990 wurde der "2+4-Vertrag" zwischen den seinerzeit noch zwei Regierungen in Deutschland und den vier Siegermächten des Weltkrieges geschlossen. Der technische Begriff "2+4" soll bezwecken, dass der Vertrag nicht als Friedensvertrag aufgefasst wird, und deshalb auch die Reparationen nicht geregelt werden müssen. Der Begriff "Friedensvertrag" war und ist tabu. Mit dem "2+4-Vertrag", der auch die deutsche Wiedervereinigung besiegelte, wurde die Reparationsfrage stillschweigend für endgültig erledigt erklärt.
So argumentierte denn auch die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans- Dietrich Genscher, und die heutige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel schließt sich dem an. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte am 12. März 2015 in der Sendung Kontraste: "Wir sind nach wie vor und fest der Meinung, dass alle Reparationsfragen, einschließlich von Zwangsanleihen, rechtlich abgeschlossen geregelt sind."
Das ist nicht nur moralisch, sondern auch politisch zweifelhaft. Die Bundesregierung erklärte im Jahr 2010 auf Anfrage der Linken im Bundestag in einer Drucksache: "65 Jahre nach Kriegsende und nach Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der internationalen Staatengemeinschaft einschließlich dem Nato- und EU-Partner Griechenland hat die Reparationsfrage ihre Bedeutung verloren." War der von der Nato in Griechenland organisierte Militärputsch 1967 gegen den wahrscheinlichen Sieg eines Wahlbündnisses Ausdruck von "vertrauensvoller Zusammenarbeit"? Und zeugen die von der Nato den Griechen auferlegten überproportionalen Rüstungsausgaben von friedlichen Absichten? Und die gnadenlose Kürzungspolitik, die die EU dem kleinen Land seit 2010 auferlegt und damit dessen Verschuldung und wirtschaftlichen Niedergang und somit auch die Verarmung großer Teile der Bevölkerung verursacht? Die EU, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa Frieden stiften wollte, stiftet heute gegen Griechenland Unfrieden und Verachtung.
Die Bundesregierung verdrängt die Klärung
Niemals hat Griechenland auf Reparationen verzichtet. Griechische Regierungen haben sie wiederholt diplomatisch angemahnt. Vom "2+4-Vertrag" war Griechenland ausgeschlossen, hat also auch da nicht zugestimmt. Nach der "Haager Landkriegs-Ordnung", die seit über einem Jahrhundert das Kriegs-Völkerrecht regelt, dürfen Besatzer kein Privateigentum enteignen, aber auch die Zerstörung von Privateigentum stellt eine Enteignung dar. Für solche Enteignungen sind also Entschädigungen auch rechtlich geboten. Die von Griechenland aus der Zwangsanleihe gezahlten Kosten für Rommels Panzertruppe in Nordafrika müssen nach Völkerrecht ebenfalls erstattet werden. Und überhaupt: Staatsanleihen müssen immer zurückgezahlt werden; jedenfalls wird das derzeit gerade von Griechenland so unumstößlich gefordert.
Das alte Völkerrecht ist ein schwieriges Gelände. Festzustellen ist: Die Reparationsfrage ist nicht geklärt. Die Regierungen der Bundesrepublik haben alles darangesetzt, auch mit dem formalen Trick des "2+4-Vertrags", ihre Klärung zu verdrängen, zu verschieben und zu diskreditieren. Aber auch die griechischen Regierungen haben bisher nie ein völkerrechtlich formelles Verfahren eingeleitet, zum Beispiel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) der Uno in Den Haag. Das sollte die jetzige Regierung nun schleunigst tun. Vor dem IGH können nur Staaten klagen, dafür ist er da. Der vom griechischen Parlament schon unter der abgewählten Vorgängerregierung eingesetzte Reparations-Ausschuss hat in jahrelanger Arbeit hunderttausende Dokumente gesichtet. Die mussten teilweise aus muffigen Kellern und vergammelten Säcken hervorgeholt werden, darunter noch viel Unbekanntes.
Europa demokratisch neu begründen
Die Vorlage gerichtsfester Unterlagen sollte mit internationaler Unterstützung möglich werden. Erst dann werden die Forderungen verbindlich, und erst dann gelangt das Reparationsproblem in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Ein solches Verfahren, begleitet von europaweiter Aufklärung, hätte mit der Diskussion über die aktuellen Schulden nichts zu tun, die dem griechischen Staat seit dem Eintritt in die Eurozone durch einheimische Regierungen ebenso wie durch ausländische Akteure in New York, Paris, Berlin, Frankfurt und Brüssel aufgebürdet wurden.
Die griechische Reparationsfrage ist vor allem eine politische Frage. Und sie ist eine aktuelle Frage, und zwar eine europäische, nicht nur eine deutsche. Sie rührt an die korrekturbedürftigen Mechanismen des Euro und der Europäischen Union. Auch deshalb heißt es: Europa demokratisch, friedlich und sozial neu begründen.
ver.di-Jugend fordert Schuldenbegleichung
ver.di soll sich auf politischer Ebene und in der Öffentlichkeit "für die Begleichung der offenen Reparationsschuld gegenüber Griechenland" einsetzen, so hatte es die ver.di-Bundesjugendkonferenz im Antrag (Nummer K 122) an den ver.di-Bundeskongress gefordert. Die jungen Kolleg/innen verwiesen unter anderem auf ein aktuelles Buch des Historikers Karl-Heinz Roth mit dem Titel Griechenland am Abgrund - Die deutsche Reparationsschuld - Eine Flugschrift. Der Autor beziffert die heutigen griechischen Ansprüche an die Bundesrepublik Deutschland auf bis zu 90 Milliarden Euro. Der Antrag wurde angenommen. Mehr zum Kongress Seiten B1-B5