Ausgabe 06/2015
Musik
Da reißt der Himmel auf
Wanda: Bussi
Man muss das wohl erlebt haben. Ein voller, verschwitzter Marco Michael Wanda, der singt: "Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag für ..." Und ein voller, verschwitzter Saal, der im Chor antwortet: "Amore!" Seit gut einem Jahr sind Wanda, die Wiener Band von Marco Michael Wanda, der eigentlich Michael Marco Fitzthum heißt, mit diesem Lied nun unterwegs auf immer größer werdenden Bühnen, sie haben mittlerweile, erzählt der Sänger an einem sonnigen Spätsommertag in einem Berliner Café, buchstäblich Hunderttausenden ins Gesicht gesehen, während sie mitgesungen haben, und dabei festgestellt: "Die Menschen singen das so inbrünstig, man sieht in ihren Augen: Da geht es um Leben und Tod."
Tatsächlich: Leben und Liebe, Tod und Verzweiflung, Sehnsucht und Sex. Wanda gelingt es wie momentan wohl keiner anderen Rockband, die allergrößten Gefühle wiederzubeleben, ohne auch nur ansatzweise Gefahr zu laufen, in Peinlichkeit zu versinken. Für diese existenzielle Lässigkeit wird das Quartett geliebt von seinen Fans und analysiert vom Feuilleton, das sich irritiert fragt, wie es einem ehemaligen Studenten der Sprachkunst mit Haarproblem und seinen vier, ebenfalls kaum wie Popstars aussehenden Mitstreitern gelingen kann, dem bereits mehrfach nur mit knapper Not wiederbelebten Rock‘n‘Roll solch eine neue Vitalität zu verschaffen.
Nun erscheint das zweite Album der Band. Der Erstling Amore besitzt bereits Platinstatus in Österreich, Bussi könnte ähnliches auch hierzulande schaffen. Die Grundstimmung mag etwas zurückhaltender sein als noch auf dem Debüt, aber die Melodien sind weiterhin infektiös. Vor allem aber schreibt der "kleine Amateurdichter", so die kokette Eigeneinschätzung, Texte wie momentan kaum jemand sonst auf Deutsch, erst recht nicht so charmant wienerisch eingefärbt. Texte, die gedankliche Freiräume und Identifikationsflächen bieten, aber doch zielgerichtet aufs Innerste zielen. Liebeslieder, in denen das Wort "Liebe" tunlichst vermieden wird. Songs, zu denen man sich verlieben und dann doch lieber aufhängen, sich vollkommen verlieren oder doch wenigstens betrinken möchte.
Und dies hat Marco Michael Wanda an dem schönen Spätsommernachmittag nach einem weiteren Glas Weißwein, "dem dritten oder so", auch noch gesagt: "Wenn man derartige Hormon- und Euphorieausschüttungen erlebt wie wir auf der Bühne, dann ist es schwer, nicht zu denken, der Himmel reißt auf. Es ist schwer, das nicht als etwas ganz Heiliges wahrzunehmen." Ja, man muss das wohl, einmal zumindest, erlebt haben. Thomas Winkler
CD, Vertigo/ Universal.
Wanda Live: 25.11. Dortmund, 27.11. Heidelberg, 28.11. Wiesbaden, 29.11. Erlangen, 1.12. Hannover, 2.12. Bremen, 5.12. Leipzig, 6.12. Stuttgart, 7.12. Düsseldorf, 9.12. München
Diana Rasina: Romanian Tales
Weltmusik ohne Migration - nicht denkbar! Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat der Westen den Reichtum osteuropäischer Volksmusik-Traditionen wie Balkan Brass Bands und Roma-Ensembles kennengelernt. Zu den Musikerinnen und Musikern, die inzwischen westliche Metropolen um diese vitalen Roots bereichern, zählt die rumänische Wahl-Wienerin Diana Rasina. Auf ihrer Debüt-CD präsentiert die Sängerin moderne Versionen echter Song-Perlen - von ausgelassenen Hochzeitstänzen bis zu melancholischen Balladen, den Seufzern des East European Soul. Ein Sound, der einerseits tief in der Tradition wurzelt und dabei zugleich frappierend zeitlos ist. Zu ihrem Akustik-Quartett gehören der Bulgare Dimitar Karamitev an der Kaval (Hirtenflöte), der Ungar Laszlo Racz am Cimbalom, dem klavierähnlichen Pedal-Hackbrett, und der Serbe Jovan Torbica am Kontrabass. Damit sorgt Rasina nicht nur für klangliche Extravaganz, sondern schafft gleichzeitig eine nahtlose Verbindung von ländlicher Ursprünglichkeit und großstädtischer Finesse. Peter Rixen
CD, Bayla / Galileo
Romano: Jenseits von Köpenick
Der Mann ist ein wandelnder Widerspruch. Aber ein extrem unterhaltsamer. Romano, der neueste Hype aus dem hippen Berlin, ist einerseits überzeugter Provinzler aus dem wenig glamourösen Vorstadtbezirk Köpenick, andererseits mit seiner knackfrischen Melange aus Rap, Electro, Metal, Dubstep und, ja wirklich, Schlager geradezu unheimlich auf der Höhe der Zeit. In Bomberjacke und angetan mit sorgsam geflochtenen Zöpfen gelingt Romano, der eigentlich Roman Geike heißt und bereits diverse Karrieren als Metal-Shouter, Schlagersänger und Beinahe-Techno-Star hinter sich hat, der unwahrscheinliche Spagat zwischen Sido und Helene Fischer. Die Zeit wollte deshalb mit der überzeugten Rampensau zum Zweitliga-Fußball beim 1.FC Union Berlin und Spiegel Online fuhr mit ihm Straßenbahn durch Köpenick. Dem Bezirk - und generell der deutschen Provinz - setzt Romano ein Denkmal, fordert aber auch durchaus gesellschaftskritisch Brenn die Bank ab und plädiert dann mit Klaps auf den Po für ein liebevolles Miteinander. Dazu inszeniert er sich als androgynes Kunstwesen, das Vorurteile, Geschlechteridentitäten und politische Gewissheiten in Frage stellt. Klingt schräg? Ist schräg - und entfaltet seine Pracht zwischen Ironie und Größenwahn zu voller Blüte, wenn man sich die dazugehörigen, sehr witzigen Videoclips ansieht. Thomas Winkler
CD, Virgin