Radikale Frauen

Man mag darüber staunen, dass sich das Kino nicht schon früher von den mutigen Engländerinnen inspirieren ließ, die vor über hundert Jahren für ihr Wahlrecht kämpften. Doch erscheint der Zeitpunkt für den allerersten Film über die Suffragetten ideal, sind doch Frauenrechte, mit denen jüngere Generationen so selbstverständlich aufwuchsen, seit der Kölner Silvesternacht wieder ein Thema. Lebendig und mit dokumentarischer Schärfe rekapituliert das Emanzipationsdrama, wie sich die Pionierinnen nach Phasen friedlicher Revolten, von den Männern verhöhnt, um 1912 radikalisieren.

Meryl Streep ist die berühmte Emmeline Pankhurst, die mit der von ihr gegründeten "Women's Social and Political Union" die Frauenbewegung anführt. Ihr Auftritt ist kurz, aber großartig: Mit einer flammenden Rede ermutigt sie ihre Mitstreiterinnen, sich nicht unterkriegen zu lassen - egal, wie hart der Staat gegen sie zurückschlägt.

Für Maud Watts, die Protagonistin, wird diese Begegnung zum Schlüsselerlebnis. Sie begreift, dass es ohne die Forderungen der Aktivistinnen keine bessere Zukunft geben kann.

Maud malocht in einer Wäscherei, in der sich schon ihre Mutter zu Tode schuftete. Viele Jahre hat sie sich brav in ihr Schicksal gefügt, und als Frauenrechtlerinnen auf offener Straße Schaufenster einschlagen, schaut sie anfänglich nur zu. Aber sie wird nachdenklich, und als Kolleginnen sie bitten, im Parlament ihre unmenschlichen Arbeitsbedingungen darzulegen, willigt sie ein. Ihre Schilderungen machen die Parlamentarier betroffen, aber am Ende erteilen sie den Frauen, denen angeblich das "ruhige Naturell und die Charakterfestigkeit" fehlen, um am politischen Leben teilzuhaben, wieder eine Absage.

An solchen Misserfolgen wächst Maud. Sie widersteht Einschüchterungsversuchen und schließt sich den Rebellinnen an, die nun zusehends militanter auftreten, Telegraphendrähte kappen und Briefkästen sprengen. Carey Mulligan, deren traurige Augen sich einem schon in anderen Filmen stark einprägten (Alles was wir geben mussten), durchlebt diese Entwicklung mit vielsagenden Blicken von Schmerz, aber auch Kampfesgeist.

Freilich hat Mauds Ungehorsam seinen Preis: Prügel, Gefängnisstrafen, Zwangsernährung im Hungerstreik und sogar den Verlust ihres Sorgerechts für den geliebten Sohn. Solch einer großen Opferbereitschaft gebührt Respekt. Meryl Streep hat Recht, wenn sie meint: "Jede Tochter sollte diese Geschichte kennen, jeder Sohn sie in seinem Herzen tragen." Kirsten Liese

GB 2015. Regie: Sarah Gavron. D: Carey Mulligan, Helena Bonham-Carter, Brenda Gleeson, Meryl Streep u.a. 106 Min. Kinostart: 4.2.2016


Colonia Dignidad

Es gibt kein Zurück - Chile 11. September 1973: Das Militär putscht gegen Präsident Salvador Allende. Auf den Straßen Santiagos herrscht Augusto Pinochets Terror- regime. Auch Stewardess Lena und ihr Freund, der Grafikdesigner Daniel, geraten in die Fänge seiner Geheimpolizei. Während Lena freikommt, gehört er zu den zahllosen "Verschwundenen". Verzweifelt macht sich die junge Frau auf die Suche nach ihm. Die Spur führt zur berüchtigten "Colonia Dignidad" (Kolonie der Würde). Um ihn zu befreien, schließt sie sich der mysteriösen Gemeinschaft an. Sie ahnt nicht, was ihr bevorsteht. Die packende Handlung des fesselnden Thrillers beruht auf Begebenheiten in der deutschen Sekte des pädophilen Predigers Paul Schäfer. Oppositionelle wurden in dieser teutonischen Mustergemeinde gefoltert und ermordet. Für sein temporeiches Politdrama versammelt Oscar-Gewinner Florian Gallenberger mit der Britin Emma Watson, dem Deutschen Daniel Brühl und dem Schweden Michael Nyqvist ein hochkarätiges Ensemble. Ein brisantes Stück Zeitgeschichte, das juristisch nicht bewältigt ist. Nicht nur der EX-CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß war gern gesehener Gast in der einstigen Folterkammer des Pinochet-Regimes. Selbst zur deutschen Botschaft unterhielt die Sekte beste Beziehungen. Bis heute unterliegen die Akten der Geheimhaltung. Luitgard Koch

D, F, L 2015 R: Florian Gallenberger, D: Emma Watson, Daniel Brühl, Richendaq Carey, 110 Min., Kinostart: 18.2.16


Das Tagebuch der Anne Frank

Ein Mädchen aus Frankfurt wächst in Amsterdam zum Teenie heran. Für das von Wunschträumen und Hormonen gebeutelte Mädchen ist Holland nicht nur neue Heimat, sondern ein Exil. Als ihre Eltern, das jüdische Ehepaar Frank, vom Auswanderungsverbot der Nazis überrumpelt werden, können die Familie und Bekannte nicht mehr in die USA fliehen, sondern nur noch ins Hinterhaus der Geliermittelfirma des Vaters. Zwei Jahre, bis zum Verrat und dem Ende in Konzentrationslagern. Nach dem Drehbuch von Fred Breinersdorfer (Elser) inszeniert nun die erste deutsche Verfilmung des Tagebuchs der Anne Frank den Alltag im Versteck: Kochen, Klo putzen, Streits und Hoffen auf Befreiung. Nur Anne findet sich nicht mit dieser Enge ab und rebelliert gegen alle Erwachsenen, ihre Mutter, ihre Schwester, den geliebten Vater. Aus dem Mythos Anne Frank wird so ein authentischer Teenager, wenn auch mit pathosbeladenen Monologen, eine wortgewandt aufmüpfige Zicke. Ob sie eine Autorin, eine Aktivistin oder nur eine ganz normale Frau geworden wäre? Wir können es nicht wissen. Exakt das ist die Message dieser Kinoadaption. Jutta Vahrson

D 2016, R: Hans Steinbichler. D: Lea van Acken, Ulrich Noethen, Martina Gedeck, 128 Min., Kinostart: 3. 3. 16


The Hateful Eight

Einige Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg zwingt ein Eissturm acht Gestalten zur Rast in einer abgelegenen Hütte. Alle haben gute Gründe, sich nicht über den Weg zu trauen. Doch über dem scheinbar zufälligen Zusammentreffen schwelt weit mehr. Nur der schwarze Yankeemajor scheint zu spüren, dass hier irgendwas nicht stimmt. Haben auch andere als der Kopfgeldjäger Jim ein Interesse an der Mörderin Daisy Domergue, die er in Red Rock abliefern will, um das Kopfgeld zu kassieren? Als sich die Kamera von der Landschaftstotalen in die Enge der Hütte begibt, lässt Tarantino seine amerikanischen Archetypen aufeinander los, und schon bald zeigt sich, dass die westliche Gesellschaft sich seit dieser Zeit nicht sonderlich weiterentwickelt hat. Zunächst sind es sehr lange, fast hypnotische Dialoge um politische Korrektheit, Rassismus und Frauenfeindlichkeit, die so aktuell sind, dass es einem die Sprache verschlägt. Natürlich aber wird jeder der acht Hasserfüllten am Ende der mittlerweile legendären Gerechtigkeit dieses Regisseurs zugeführt, der hier auf der Höhe seiner Schaffenskraft ist. In ausgewählten Kinos wird das Western-Epos in 70 mm mit Ouvertüre, Intermezzo und Raucherpause gezeigt, die Musik von Ennio Morricone wurde bereits mit dem Golden Globe ausgezeichnet. Jenny Mansch

USA 2015. R: Quentin Tarantino. D: Jennifer Jason Leigh, Kurt Russel, Tim Roth, Samuel L. Jackson, Bruce Dern, u.a., L: 247 Min., Kinostart: 28.1.2016